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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band.

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moiren erzählt, "Geschmack an der republikanischen Regierung in Schweden",
d. h. an dem Treiben der oligarchischen Parteien, welche nach dem Tode
Carls XII. um die -Herrschaft über die skandinavische Halbinsel haderten, ge¬
wonnen, und die damalige schwedische Constitution ebenso gründlich studirt,
wie die Kunst, den Ehrgeiz der Großen für diese Form des Staatsdienstes
zu wecken.

Rußland, dessen wilder und stolzer Adel das eherne Joch seines für
westeuropäische Ideale begeisterten Zaaren nur widerwillig trug und allen
Schreckensgerichten zum Trotz immer wieder die Zügel zu zerreißen versuchte,
an denen er gelenkt wurde -- Rußland schien für die Verpflanzung des in
Schweden herrschenden Oligarchenregiments einen besonders günstigen Boden
abzugeben. Zwar konnte, so lange Peter im Regiment saß. nur von der
urtheilslosesten Thorheit an eine Aenderung der Regierungsform gedacht wer¬
den -- aber, wie wahrscheinlich erschien damals, daß das große Werk des
despotischen Reformers seinen Schöpfer nicht überleben und mit dem Ende
desselben eine ungeheure Reaktion Platz greifen werde. Was versprach diese
nicht dem Ehrgeiz eines kühnen und in den Geschäften erfahrenen Mannes,
der sich den moskowitischen Großen an Bildung und Geist unendlich über¬
legen wußte, jenen Halbbarbaren, die nur instinktiv ahnten, daß liberaler
Despotismus und Bojarenthum nicht mit einander gingen und die von dem
kunstreichen Gefüge der königlichen Adelsrepublik jenseit des baltischen Mee¬
res kaum etwas gehört haben mochten.

So lange Peter lebte, wußte Fick die Resultate seiner schwedischen Po¬
lizei - und Cameralstudien in seiner Brust zu verschließen. Nach dem Tode des
Mannes aber, der der erste Beamte seines Reichs, die halbe Kraft seines
Staats gewesen war, trat ein, was sein kluger Kammerrath in der Stille vor¬
hergesehen. Während die Ausländer und Peters nächste Günstlinge sich der
Kaiserin-Wittwe anschlössen und durchsetzten, daß diese den Thron bestieg,
ging die altrussische Partei mit dem Plane um, den unmündigen Gro߬
sohn Peters, nachmaligen Peter II. (Sohn des im Gefängniß verstorbenen
Alexei) als Kaiser auszurufen und die Negierung durch eine aus ihrer Mitte
gewählte Regentschaft führen zu lassen. Mentschikow aber, der sich für eine
Zeit lang mit seinem Todfeinde, dem Herzog von Holstein ausgesöhnt hatte,
kam seinen a'ristocratischen Feinden zuvor. So lange Katharina lebte, stand
er an der Spitze der Geschäfte, nach ihrem Ableben führte er die Regent¬
schaft für Peter II. Kurz vor dem Tode des Letzteren erbleichte der Glücks¬
stern des ehrgeizigen Mannes aber, der sich aus dem Staube zum Beherr¬
scher eines mächtigen Reichs aufgeschwungen hatte. Während er die bekannte
Straße nach Nordosten zog, die er so manchem seiner Feinde gewiesen, be¬
mächtigte die Familie Dolgoruki sich der Negierung und als wenig später


moiren erzählt, „Geschmack an der republikanischen Regierung in Schweden",
d. h. an dem Treiben der oligarchischen Parteien, welche nach dem Tode
Carls XII. um die -Herrschaft über die skandinavische Halbinsel haderten, ge¬
wonnen, und die damalige schwedische Constitution ebenso gründlich studirt,
wie die Kunst, den Ehrgeiz der Großen für diese Form des Staatsdienstes
zu wecken.

Rußland, dessen wilder und stolzer Adel das eherne Joch seines für
westeuropäische Ideale begeisterten Zaaren nur widerwillig trug und allen
Schreckensgerichten zum Trotz immer wieder die Zügel zu zerreißen versuchte,
an denen er gelenkt wurde — Rußland schien für die Verpflanzung des in
Schweden herrschenden Oligarchenregiments einen besonders günstigen Boden
abzugeben. Zwar konnte, so lange Peter im Regiment saß. nur von der
urtheilslosesten Thorheit an eine Aenderung der Regierungsform gedacht wer¬
den — aber, wie wahrscheinlich erschien damals, daß das große Werk des
despotischen Reformers seinen Schöpfer nicht überleben und mit dem Ende
desselben eine ungeheure Reaktion Platz greifen werde. Was versprach diese
nicht dem Ehrgeiz eines kühnen und in den Geschäften erfahrenen Mannes,
der sich den moskowitischen Großen an Bildung und Geist unendlich über¬
legen wußte, jenen Halbbarbaren, die nur instinktiv ahnten, daß liberaler
Despotismus und Bojarenthum nicht mit einander gingen und die von dem
kunstreichen Gefüge der königlichen Adelsrepublik jenseit des baltischen Mee¬
res kaum etwas gehört haben mochten.

So lange Peter lebte, wußte Fick die Resultate seiner schwedischen Po¬
lizei - und Cameralstudien in seiner Brust zu verschließen. Nach dem Tode des
Mannes aber, der der erste Beamte seines Reichs, die halbe Kraft seines
Staats gewesen war, trat ein, was sein kluger Kammerrath in der Stille vor¬
hergesehen. Während die Ausländer und Peters nächste Günstlinge sich der
Kaiserin-Wittwe anschlössen und durchsetzten, daß diese den Thron bestieg,
ging die altrussische Partei mit dem Plane um, den unmündigen Gro߬
sohn Peters, nachmaligen Peter II. (Sohn des im Gefängniß verstorbenen
Alexei) als Kaiser auszurufen und die Negierung durch eine aus ihrer Mitte
gewählte Regentschaft führen zu lassen. Mentschikow aber, der sich für eine
Zeit lang mit seinem Todfeinde, dem Herzog von Holstein ausgesöhnt hatte,
kam seinen a'ristocratischen Feinden zuvor. So lange Katharina lebte, stand
er an der Spitze der Geschäfte, nach ihrem Ableben führte er die Regent¬
schaft für Peter II. Kurz vor dem Tode des Letzteren erbleichte der Glücks¬
stern des ehrgeizigen Mannes aber, der sich aus dem Staube zum Beherr¬
scher eines mächtigen Reichs aufgeschwungen hatte. Während er die bekannte
Straße nach Nordosten zog, die er so manchem seiner Feinde gewiesen, be¬
mächtigte die Familie Dolgoruki sich der Negierung und als wenig später


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120686/444>, abgerufen am 04.07.2024.