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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band.

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wenige Wochen vorher seinem Superintendenten gegenüber jede Betheili¬
gung, ja jede Mitwissenschast von der Sache auf Ehre und Gewissen
abgeleugnet, ja sein Leugnen noch durch das Hinzufügen verstärkt hatte,
die Gemeinde habe ihm absichtlich und aus zarter Rücksicht auf seine Stel-
lung Alles verschwiegen, was geschehen sei. Und dieser Aeußerung gegen¬
über muß der Pastor kurz nachher in öffentlicher Gerichtssitzung zugestehen,
daß er selbst das fragliche Schriftstück verfaßt habe!

Wahrhaft vernichtend war der Eindruck der öffentlichen Schlußverhand-
lung vor dem Obergericht zu Celle, in welcher Schlag auf Schlag die ganze
Intrigue enthüllt wurde. Besonders peinlich aber wirkte auf Gerichtshof
und Publicum die Zeugenaussage, daß die Art des Vorgehens wider Pastor D.
durch Beschwerden -- anscheinend aus der Gemeinde heraus -- mit Vorwissen, ja
auf Anrathen des Oberconsistorialraths U. (Uhlhorn) zu Hannover geschehen sei.
Allgemeine Entrüstung aber zeigte sich, als Pastor S. sich erbot, für die
gegen seinen Amtsbruder geschleuderte Verleumdung, derselbe bemühe sich, den
schändlichsten Unglauben in der Gemeinde zu verbreiten, den Beweis der
Wahrheit anzutreten und als er diesen Versuch nun wirklich machte.

Nie ist uns der schneidende Gegensatz der Orthodoxen gegen den Geist
des 19 ten Jahrhunderts schärfer zum Bewußtsein gekommen, als in dieser
Verhandlung. Die incriminirten Aeußerungen des Pastor D.. durch welche
derselbe eben den schändlichsten Unglauben in der Gemeinde verbreitet haben
sollte, waren nämlich folgende gewesen:

Zunächst hatte er in einer Predigt geäußert: die Hyper-Orthodoxie. wie
sie heutigen Tages stellenweise gelehrt werde, führe zum Aberglauben und
die Bibel müsse vernünftig ausgelegt werden.

Mit feiner Ironie fragte der Gerichtsvorsitzende den Angeklagten S.:
"Also die Forderung, die Bibel vernünftig auszulegen, finden Sie anstößig
und gegen die Grundlehren der lutherischen Kirche?"-

"Gewiß", war die mit eherner Stirn gegebene Antwort, "nur die sym
bolischen Bücher geben die Norm für die Bibelauslegung und nicht die
irrende Vernunft des Einzelnen."

Als zweite ketzerische Aeußerung wurde der Ausspruch angeführt: "Durch
die Nachfolge Christi kommen wir in den Himmel."

Hier fragte der Präsident mit wirklich ernstlichem Erstaunen: "Und das
ist eine unchristliche Aeußerung und verstößt wider die Bibel?"

"Gewiß", war wiederum die Antwort, "denn nur durch den Glauben
werden wir gerecht."

Welch' entsetzlichen Eindruck es aber machte, einen Mann, der eben als
Lügner und feiger Urheber aus dem Hinterhalt treffender Pamphletist ent¬
larvt ist, mit erhobenem Haupte und mit dem Tone stolzer Unfehlbarkeit


wenige Wochen vorher seinem Superintendenten gegenüber jede Betheili¬
gung, ja jede Mitwissenschast von der Sache auf Ehre und Gewissen
abgeleugnet, ja sein Leugnen noch durch das Hinzufügen verstärkt hatte,
die Gemeinde habe ihm absichtlich und aus zarter Rücksicht auf seine Stel-
lung Alles verschwiegen, was geschehen sei. Und dieser Aeußerung gegen¬
über muß der Pastor kurz nachher in öffentlicher Gerichtssitzung zugestehen,
daß er selbst das fragliche Schriftstück verfaßt habe!

Wahrhaft vernichtend war der Eindruck der öffentlichen Schlußverhand-
lung vor dem Obergericht zu Celle, in welcher Schlag auf Schlag die ganze
Intrigue enthüllt wurde. Besonders peinlich aber wirkte auf Gerichtshof
und Publicum die Zeugenaussage, daß die Art des Vorgehens wider Pastor D.
durch Beschwerden — anscheinend aus der Gemeinde heraus — mit Vorwissen, ja
auf Anrathen des Oberconsistorialraths U. (Uhlhorn) zu Hannover geschehen sei.
Allgemeine Entrüstung aber zeigte sich, als Pastor S. sich erbot, für die
gegen seinen Amtsbruder geschleuderte Verleumdung, derselbe bemühe sich, den
schändlichsten Unglauben in der Gemeinde zu verbreiten, den Beweis der
Wahrheit anzutreten und als er diesen Versuch nun wirklich machte.

Nie ist uns der schneidende Gegensatz der Orthodoxen gegen den Geist
des 19 ten Jahrhunderts schärfer zum Bewußtsein gekommen, als in dieser
Verhandlung. Die incriminirten Aeußerungen des Pastor D.. durch welche
derselbe eben den schändlichsten Unglauben in der Gemeinde verbreitet haben
sollte, waren nämlich folgende gewesen:

Zunächst hatte er in einer Predigt geäußert: die Hyper-Orthodoxie. wie
sie heutigen Tages stellenweise gelehrt werde, führe zum Aberglauben und
die Bibel müsse vernünftig ausgelegt werden.

Mit feiner Ironie fragte der Gerichtsvorsitzende den Angeklagten S.:
»Also die Forderung, die Bibel vernünftig auszulegen, finden Sie anstößig
und gegen die Grundlehren der lutherischen Kirche?"-

„Gewiß", war die mit eherner Stirn gegebene Antwort, „nur die sym
bolischen Bücher geben die Norm für die Bibelauslegung und nicht die
irrende Vernunft des Einzelnen."

Als zweite ketzerische Aeußerung wurde der Ausspruch angeführt: „Durch
die Nachfolge Christi kommen wir in den Himmel."

Hier fragte der Präsident mit wirklich ernstlichem Erstaunen: „Und das
ist eine unchristliche Aeußerung und verstößt wider die Bibel?"

„Gewiß", war wiederum die Antwort, „denn nur durch den Glauben
werden wir gerecht."

Welch' entsetzlichen Eindruck es aber machte, einen Mann, der eben als
Lügner und feiger Urheber aus dem Hinterhalt treffender Pamphletist ent¬
larvt ist, mit erhobenem Haupte und mit dem Tone stolzer Unfehlbarkeit


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[0431] wenige Wochen vorher seinem Superintendenten gegenüber jede Betheili¬ gung, ja jede Mitwissenschast von der Sache auf Ehre und Gewissen abgeleugnet, ja sein Leugnen noch durch das Hinzufügen verstärkt hatte, die Gemeinde habe ihm absichtlich und aus zarter Rücksicht auf seine Stel- lung Alles verschwiegen, was geschehen sei. Und dieser Aeußerung gegen¬ über muß der Pastor kurz nachher in öffentlicher Gerichtssitzung zugestehen, daß er selbst das fragliche Schriftstück verfaßt habe! Wahrhaft vernichtend war der Eindruck der öffentlichen Schlußverhand- lung vor dem Obergericht zu Celle, in welcher Schlag auf Schlag die ganze Intrigue enthüllt wurde. Besonders peinlich aber wirkte auf Gerichtshof und Publicum die Zeugenaussage, daß die Art des Vorgehens wider Pastor D. durch Beschwerden — anscheinend aus der Gemeinde heraus — mit Vorwissen, ja auf Anrathen des Oberconsistorialraths U. (Uhlhorn) zu Hannover geschehen sei. Allgemeine Entrüstung aber zeigte sich, als Pastor S. sich erbot, für die gegen seinen Amtsbruder geschleuderte Verleumdung, derselbe bemühe sich, den schändlichsten Unglauben in der Gemeinde zu verbreiten, den Beweis der Wahrheit anzutreten und als er diesen Versuch nun wirklich machte. Nie ist uns der schneidende Gegensatz der Orthodoxen gegen den Geist des 19 ten Jahrhunderts schärfer zum Bewußtsein gekommen, als in dieser Verhandlung. Die incriminirten Aeußerungen des Pastor D.. durch welche derselbe eben den schändlichsten Unglauben in der Gemeinde verbreitet haben sollte, waren nämlich folgende gewesen: Zunächst hatte er in einer Predigt geäußert: die Hyper-Orthodoxie. wie sie heutigen Tages stellenweise gelehrt werde, führe zum Aberglauben und die Bibel müsse vernünftig ausgelegt werden. Mit feiner Ironie fragte der Gerichtsvorsitzende den Angeklagten S.: »Also die Forderung, die Bibel vernünftig auszulegen, finden Sie anstößig und gegen die Grundlehren der lutherischen Kirche?"- „Gewiß", war die mit eherner Stirn gegebene Antwort, „nur die sym bolischen Bücher geben die Norm für die Bibelauslegung und nicht die irrende Vernunft des Einzelnen." Als zweite ketzerische Aeußerung wurde der Ausspruch angeführt: „Durch die Nachfolge Christi kommen wir in den Himmel." Hier fragte der Präsident mit wirklich ernstlichem Erstaunen: „Und das ist eine unchristliche Aeußerung und verstößt wider die Bibel?" „Gewiß", war wiederum die Antwort, „denn nur durch den Glauben werden wir gerecht." Welch' entsetzlichen Eindruck es aber machte, einen Mann, der eben als Lügner und feiger Urheber aus dem Hinterhalt treffender Pamphletist ent¬ larvt ist, mit erhobenem Haupte und mit dem Tone stolzer Unfehlbarkeit

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120686/431>, abgerufen am 04.07.2024.