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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band.

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er behaupte, die Religion führe zum heidnischen Aberglauben, er glaube nicht
an die Göttlichkeit Cyristi" ze. Dann wird in der Eingabe gebeten, den
Pastor D. seines Amts zu entsetzen und dem Pastor S., der die allgemeinste
Liebe, Verehrung und Anerkennung genieße, die Pfarrstelle zu verleihen."

Diese Schrift wird von dem Schullehrer Müller-abgeschrieben und es
werden -- während Autor und Abschreiber sich wohl hüten, sie selbst zu
unterschreiben -- heimlich in der Gemeinde eine Anzahl Bauern dahin be¬
arbeitet, daß sie ihren Namen darunter setzen; so geht die Schrift nach
Hannover ab.

Zufällig findet in denselben Tagen eine Localverhandlung der sogenannten
Kirchencommisston, bestehend aus dem Bezirks-Superintendenten und einem
Beamten, mit dem Kirchenvorstände statt. Bei dieser Gelegenheit wird auch
mündlich die Beschwerde gegen Pastor D. wegen angeblich unchristlicher
Aeußerungen vorgebracht und namentlich von dem Lehrer M. in so heftiger
und maßloßer Form, daß die Kirchencommission sich genöthigt sieht, dem
Lehrer eine scharfe Rüge zu ertheilen und auch im Uebrigen darauf hinzu¬
weisen, daß die Beschwerde wider Pastor D. anscheinend eine leichtfertige
und unbegründete sei und jedenfalls diese Art, den alten würdigen Seelsorger
bei der Oberbehörde zu verklagen und die Gemeinde wider ihn aufzuregen,
Mißbilligung verdiene.

Das hatte Herr S. nicht gewollt und nicht erwartet; um indeß ja einem
ungünstigen Bericht der Kirchencommission zuvorzukommen, entwirft er sofort
eine neue Eingabe an das Landesconsistorium, in welcher die Kirchencom¬
mission beschuldigt wird, in dem fraglichen Termin "mit himmelschreiender
Parteilichkeit, Gewissenlosigkeit und Ungerechtigkeit" verfahren zu sein und
allerlei unchristliche Aeußerungen, wie "es sei einerlei, was Jemand
glaube" !e. gemacht zu haben.

Diese Schrift läßt Herr S. ebenfalls von dem Lehrer Müller abschreiben
und, wiederum zu feige, um ihre Namen dazu herzugeben, wissen sie zwei
Bauern zu der Unterzeichnung zu bewegen, und die Schrift wird abgesandt.
Während das Consistorium nun vom Pastor D. eine Vertheidigung und eine
Erklärung über sein Glaubensbekenntniß einfordert, auch von der Kirchen¬
commission wegen der ihr zur Last gelegten Parteilichkeit :c. Bericht verlangt,
legt diese, rasch entschlossen, das ganze Gewebe gründlich enthüllt zu sehen,
die Angelegenheit der Kronanwaltschaft vor und bittet um Einleitung der
gerichtlichen Untersuchung. Diese wird beschlossen und damit ist natürlich die
Thängkeit des Consistoriums einstweilen sistirt.

In der gerichtlichen Verhandlung wurden nun obige Thatsachen durch
die Aussagen beeidigter Zeugen constatirt und schließlich von sämmtlichen
Angeklagten, auch von dem Herrn Pastor S., zugestanden, obwohl derselbe


er behaupte, die Religion führe zum heidnischen Aberglauben, er glaube nicht
an die Göttlichkeit Cyristi" ze. Dann wird in der Eingabe gebeten, den
Pastor D. seines Amts zu entsetzen und dem Pastor S., der die allgemeinste
Liebe, Verehrung und Anerkennung genieße, die Pfarrstelle zu verleihen."

Diese Schrift wird von dem Schullehrer Müller-abgeschrieben und es
werden — während Autor und Abschreiber sich wohl hüten, sie selbst zu
unterschreiben — heimlich in der Gemeinde eine Anzahl Bauern dahin be¬
arbeitet, daß sie ihren Namen darunter setzen; so geht die Schrift nach
Hannover ab.

Zufällig findet in denselben Tagen eine Localverhandlung der sogenannten
Kirchencommisston, bestehend aus dem Bezirks-Superintendenten und einem
Beamten, mit dem Kirchenvorstände statt. Bei dieser Gelegenheit wird auch
mündlich die Beschwerde gegen Pastor D. wegen angeblich unchristlicher
Aeußerungen vorgebracht und namentlich von dem Lehrer M. in so heftiger
und maßloßer Form, daß die Kirchencommission sich genöthigt sieht, dem
Lehrer eine scharfe Rüge zu ertheilen und auch im Uebrigen darauf hinzu¬
weisen, daß die Beschwerde wider Pastor D. anscheinend eine leichtfertige
und unbegründete sei und jedenfalls diese Art, den alten würdigen Seelsorger
bei der Oberbehörde zu verklagen und die Gemeinde wider ihn aufzuregen,
Mißbilligung verdiene.

Das hatte Herr S. nicht gewollt und nicht erwartet; um indeß ja einem
ungünstigen Bericht der Kirchencommission zuvorzukommen, entwirft er sofort
eine neue Eingabe an das Landesconsistorium, in welcher die Kirchencom¬
mission beschuldigt wird, in dem fraglichen Termin „mit himmelschreiender
Parteilichkeit, Gewissenlosigkeit und Ungerechtigkeit" verfahren zu sein und
allerlei unchristliche Aeußerungen, wie „es sei einerlei, was Jemand
glaube" !e. gemacht zu haben.

Diese Schrift läßt Herr S. ebenfalls von dem Lehrer Müller abschreiben
und, wiederum zu feige, um ihre Namen dazu herzugeben, wissen sie zwei
Bauern zu der Unterzeichnung zu bewegen, und die Schrift wird abgesandt.
Während das Consistorium nun vom Pastor D. eine Vertheidigung und eine
Erklärung über sein Glaubensbekenntniß einfordert, auch von der Kirchen¬
commission wegen der ihr zur Last gelegten Parteilichkeit :c. Bericht verlangt,
legt diese, rasch entschlossen, das ganze Gewebe gründlich enthüllt zu sehen,
die Angelegenheit der Kronanwaltschaft vor und bittet um Einleitung der
gerichtlichen Untersuchung. Diese wird beschlossen und damit ist natürlich die
Thängkeit des Consistoriums einstweilen sistirt.

In der gerichtlichen Verhandlung wurden nun obige Thatsachen durch
die Aussagen beeidigter Zeugen constatirt und schließlich von sämmtlichen
Angeklagten, auch von dem Herrn Pastor S., zugestanden, obwohl derselbe


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120686/430>, abgerufen am 24.07.2024.