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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band.

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in Brochüren und Streitschriften das Vorhaben der Regierung zu bekämpfen;
von mehreren Mitgliedern des Landesconsistoriums wurden gleichfalls Streit¬
schriften anonym verfaßt, (ohne daß die Autoren vorher ihre Stellen nieder¬
legten) und in dem Organ der Orthodoxen und der welfischen Legitimisten,
der "Hannoverschen Landeszeitung" erschienen täglich geharnischte Artikel gegen
die "Entchristlichung der Schule".

Die Regierung verfolgte indeß unbeirrt ihren Weg, entzog zunächst
die Schullehrerseminarien den Consistorien und unterstellte sie dem neu er¬
richteten Provinzialschulcollegium. Ein Schrei der Entrüstung erscholl im
orthodoxen Lager. Das Landesconsistorium protestirte gegen diesen Eingriff
in die Rechte der Kirche; die übrigen Consistorien folgten diesem Beispiel
und dies war auch der Moment, wo die Bezirkssynoden mit größter Eile
zusammenberufen wurden. Wie schon oben gesagt, täuschten diese denn auch
die auf sie gesetzte Hoffnung nicht. Fast alle sprachen die dringende Bitte
aus, die Seminarien wieder den Consistorien zu unterstellen und fast alle
protestirten ebenso gegen die serner intendirte Uebertragung der gesammten
Volksschulangelegenheiten auf das Provinzialschulcollegium.

Natürlich blieb die Regierung fest und ließ sich durch das Geschrei
nicht beirren; das gar zu schroffe Auftreten der Geistlichen, welche die Schule
geradezu als ihre Domaine behandelten, bewirkte außerdem, daß die Lehrer
gegen diese Bevormundung auftraten und die meisten Lehrervereine die Aus¬
sicht mit Freuden acceptirten, unter die Aufsicht weltlicher Behörden gestellt
zu werden.

Aber wurde in diesem einen Punkte, Dank den unablässigen Bestrebungen
der Presse und der Bevölkerung, auch der Sieg verfochten, im Großen und
Ganzen blieb die orthodoxe Partei im unerschütterten Besitz der Herrschaft. Die
Volksschulsachen konnten, da die Verwaltungsorganisation noch nicht end¬
gültig feststand, weltlichen Behörden nicht übertragen werden, und es hat,
nachdem die Organisation Ende 1868 endlich definitiv beschlossen wurde, die
Negierung bislang noch keine weiteren Schritte in dieser Richtung gethan.

Desto übermüthiger ist die orthodoxe Partei aufgetreten. Um zunächst
dem Hort dieser Partei, dem Landesconsistorium,, immer größere Macht und
weitergehenden Einfluß zu verschaffen, wurde es gegen den entschiedenen
Wunsch fast aller Betheiligten durchgesetzt, daß die früher den Provinzial-
consistorien zugewiesenen theologischen Examina sämmtlich dem Landes¬
consistorium überwiesen sind. In den Provinzialconsistorien wurden über¬
dies, so weit möglich, Personalveränderungen vorgenommen, die thunlichst
jedes liberale Element ausschlösse". Das Auftreten der einzelnen Geistlichen
gegen die Union wurde immer schroffer; den Unirten wurde regelmäßig das


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in Brochüren und Streitschriften das Vorhaben der Regierung zu bekämpfen;
von mehreren Mitgliedern des Landesconsistoriums wurden gleichfalls Streit¬
schriften anonym verfaßt, (ohne daß die Autoren vorher ihre Stellen nieder¬
legten) und in dem Organ der Orthodoxen und der welfischen Legitimisten,
der „Hannoverschen Landeszeitung" erschienen täglich geharnischte Artikel gegen
die „Entchristlichung der Schule".

Die Regierung verfolgte indeß unbeirrt ihren Weg, entzog zunächst
die Schullehrerseminarien den Consistorien und unterstellte sie dem neu er¬
richteten Provinzialschulcollegium. Ein Schrei der Entrüstung erscholl im
orthodoxen Lager. Das Landesconsistorium protestirte gegen diesen Eingriff
in die Rechte der Kirche; die übrigen Consistorien folgten diesem Beispiel
und dies war auch der Moment, wo die Bezirkssynoden mit größter Eile
zusammenberufen wurden. Wie schon oben gesagt, täuschten diese denn auch
die auf sie gesetzte Hoffnung nicht. Fast alle sprachen die dringende Bitte
aus, die Seminarien wieder den Consistorien zu unterstellen und fast alle
protestirten ebenso gegen die serner intendirte Uebertragung der gesammten
Volksschulangelegenheiten auf das Provinzialschulcollegium.

Natürlich blieb die Regierung fest und ließ sich durch das Geschrei
nicht beirren; das gar zu schroffe Auftreten der Geistlichen, welche die Schule
geradezu als ihre Domaine behandelten, bewirkte außerdem, daß die Lehrer
gegen diese Bevormundung auftraten und die meisten Lehrervereine die Aus¬
sicht mit Freuden acceptirten, unter die Aufsicht weltlicher Behörden gestellt
zu werden.

Aber wurde in diesem einen Punkte, Dank den unablässigen Bestrebungen
der Presse und der Bevölkerung, auch der Sieg verfochten, im Großen und
Ganzen blieb die orthodoxe Partei im unerschütterten Besitz der Herrschaft. Die
Volksschulsachen konnten, da die Verwaltungsorganisation noch nicht end¬
gültig feststand, weltlichen Behörden nicht übertragen werden, und es hat,
nachdem die Organisation Ende 1868 endlich definitiv beschlossen wurde, die
Negierung bislang noch keine weiteren Schritte in dieser Richtung gethan.

Desto übermüthiger ist die orthodoxe Partei aufgetreten. Um zunächst
dem Hort dieser Partei, dem Landesconsistorium,, immer größere Macht und
weitergehenden Einfluß zu verschaffen, wurde es gegen den entschiedenen
Wunsch fast aller Betheiligten durchgesetzt, daß die früher den Provinzial-
consistorien zugewiesenen theologischen Examina sämmtlich dem Landes¬
consistorium überwiesen sind. In den Provinzialconsistorien wurden über¬
dies, so weit möglich, Personalveränderungen vorgenommen, die thunlichst
jedes liberale Element ausschlösse«. Das Auftreten der einzelnen Geistlichen
gegen die Union wurde immer schroffer; den Unirten wurde regelmäßig das


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[0427] in Brochüren und Streitschriften das Vorhaben der Regierung zu bekämpfen; von mehreren Mitgliedern des Landesconsistoriums wurden gleichfalls Streit¬ schriften anonym verfaßt, (ohne daß die Autoren vorher ihre Stellen nieder¬ legten) und in dem Organ der Orthodoxen und der welfischen Legitimisten, der „Hannoverschen Landeszeitung" erschienen täglich geharnischte Artikel gegen die „Entchristlichung der Schule". Die Regierung verfolgte indeß unbeirrt ihren Weg, entzog zunächst die Schullehrerseminarien den Consistorien und unterstellte sie dem neu er¬ richteten Provinzialschulcollegium. Ein Schrei der Entrüstung erscholl im orthodoxen Lager. Das Landesconsistorium protestirte gegen diesen Eingriff in die Rechte der Kirche; die übrigen Consistorien folgten diesem Beispiel und dies war auch der Moment, wo die Bezirkssynoden mit größter Eile zusammenberufen wurden. Wie schon oben gesagt, täuschten diese denn auch die auf sie gesetzte Hoffnung nicht. Fast alle sprachen die dringende Bitte aus, die Seminarien wieder den Consistorien zu unterstellen und fast alle protestirten ebenso gegen die serner intendirte Uebertragung der gesammten Volksschulangelegenheiten auf das Provinzialschulcollegium. Natürlich blieb die Regierung fest und ließ sich durch das Geschrei nicht beirren; das gar zu schroffe Auftreten der Geistlichen, welche die Schule geradezu als ihre Domaine behandelten, bewirkte außerdem, daß die Lehrer gegen diese Bevormundung auftraten und die meisten Lehrervereine die Aus¬ sicht mit Freuden acceptirten, unter die Aufsicht weltlicher Behörden gestellt zu werden. Aber wurde in diesem einen Punkte, Dank den unablässigen Bestrebungen der Presse und der Bevölkerung, auch der Sieg verfochten, im Großen und Ganzen blieb die orthodoxe Partei im unerschütterten Besitz der Herrschaft. Die Volksschulsachen konnten, da die Verwaltungsorganisation noch nicht end¬ gültig feststand, weltlichen Behörden nicht übertragen werden, und es hat, nachdem die Organisation Ende 1868 endlich definitiv beschlossen wurde, die Negierung bislang noch keine weiteren Schritte in dieser Richtung gethan. Desto übermüthiger ist die orthodoxe Partei aufgetreten. Um zunächst dem Hort dieser Partei, dem Landesconsistorium,, immer größere Macht und weitergehenden Einfluß zu verschaffen, wurde es gegen den entschiedenen Wunsch fast aller Betheiligten durchgesetzt, daß die früher den Provinzial- consistorien zugewiesenen theologischen Examina sämmtlich dem Landes¬ consistorium überwiesen sind. In den Provinzialconsistorien wurden über¬ dies, so weit möglich, Personalveränderungen vorgenommen, die thunlichst jedes liberale Element ausschlösse«. Das Auftreten der einzelnen Geistlichen gegen die Union wurde immer schroffer; den Unirten wurde regelmäßig das 53*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120686/427>, abgerufen am 04.07.2024.