Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band.Ueber politische GcschworncnZerichte. Vor nicht langer Zeit versicherten einmal die Berliner "Volkszeitung" und Die deutsche Jury ist mit dem deutschen Constitutionalismus eines Geistes Grenzboten II. I8K9. 61
Ueber politische GcschworncnZerichte. Vor nicht langer Zeit versicherten einmal die Berliner „Volkszeitung" und Die deutsche Jury ist mit dem deutschen Constitutionalismus eines Geistes Grenzboten II. I8K9. 61
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0409" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/121096"/> </div> <div n="1"> <head> Ueber politische GcschworncnZerichte.</head><lb/> <p xml:id="ID_1219"> Vor nicht langer Zeit versicherten einmal die Berliner „Volkszeitung" und<lb/> ein östreichischer General ziemlich mit derselben Emphase, daß Geschwornenge¬<lb/> richte sür politische Vergehen die Grundpfeiler jeder freien Verfassung seien, und<lb/> daß ein Staat mit solchem Grundpfeiler niemals untergehen könne. Natür¬<lb/> lich hatten beide dabei die östreichische cisleithanische Monarchie im Sinne,<lb/> welche fortan und bis auf weiteres auch dieses Stück von Liberalismus vor<lb/> uns voraus haben soll. Nur läßt sich ja gar nichts dagegen einwenden, wenn<lb/> unter den politischen Kindern und Gauklern über die bunte konstitutionelle<lb/> Fa^abe, mit deren Ausputz man in Wien beschäftigt ist, herzliche Freude<lb/> und viel Spectakel herrscht. Diese Coulisse gehört nun einmal zu der gegen¬<lb/> wärtigen Scene des Beust reclivivus, und sie wird mit dem nächsten<lb/> Scenewechsel bei Seite geschoben werden, uncie neMnt reclirs queluguam.<lb/> Man sollte sich doch aber zehnmal besinnen, ehe man uns zumuthet. in diesen<lb/> liberalen Dekorationsstücken mit den Herren in Wien zu rivalisiren. Wir<lb/> haben im norddeutschen Bunde und in Preußen mit der Grundlegung und<lb/> dem gesellschaftlichen Unterbau des deutschen Nationalstaats noch so viel saure<lb/> Arbeit, von der sich freilich die Rotteck-Welcker'schen Encyklopädisten nicht viel<lb/> träumen ließen, vor uns, daß wir das Spiel mit dem constiluiionellen<lb/> Flitterkram füglich unbeschäftigteren oder vielgeschäftigeren Leuten überlassen<lb/> können. Das alte liberale Postulat der politischen Geschwornengerichte, das<lb/> in der jüngsten Landtagssession von dem Abgeordneten Duncker wieder auf<lb/> die Tagesordnung zu bringen versucht wurde, ist überdies in seiner bisherigen<lb/> Formulirung für unser Recht, wie für unsere Politik ein durchaus unreifer,<lb/> ungesunder, trügerisch verderblicher Reformgedanke.</p><lb/> <p xml:id="ID_1220" next="#ID_1221"> Die deutsche Jury ist mit dem deutschen Constitutionalismus eines Geistes<lb/> Kind; beide leiden an denselben Fehlern ihres Ursprungs, ihres Grund¬<lb/> charakters, ihrer äußeren Bildung. In der einen, wie in dem anderen findet<lb/> sich die gleiche illegitime Nachahmung unverstandener englischer Institutionen,<lb/> die gleiche Abfärbung der revolutionär-bonapartistischen Muster Frankreichs,</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten II. I8K9. 61</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0409]
Ueber politische GcschworncnZerichte.
Vor nicht langer Zeit versicherten einmal die Berliner „Volkszeitung" und
ein östreichischer General ziemlich mit derselben Emphase, daß Geschwornenge¬
richte sür politische Vergehen die Grundpfeiler jeder freien Verfassung seien, und
daß ein Staat mit solchem Grundpfeiler niemals untergehen könne. Natür¬
lich hatten beide dabei die östreichische cisleithanische Monarchie im Sinne,
welche fortan und bis auf weiteres auch dieses Stück von Liberalismus vor
uns voraus haben soll. Nur läßt sich ja gar nichts dagegen einwenden, wenn
unter den politischen Kindern und Gauklern über die bunte konstitutionelle
Fa^abe, mit deren Ausputz man in Wien beschäftigt ist, herzliche Freude
und viel Spectakel herrscht. Diese Coulisse gehört nun einmal zu der gegen¬
wärtigen Scene des Beust reclivivus, und sie wird mit dem nächsten
Scenewechsel bei Seite geschoben werden, uncie neMnt reclirs queluguam.
Man sollte sich doch aber zehnmal besinnen, ehe man uns zumuthet. in diesen
liberalen Dekorationsstücken mit den Herren in Wien zu rivalisiren. Wir
haben im norddeutschen Bunde und in Preußen mit der Grundlegung und
dem gesellschaftlichen Unterbau des deutschen Nationalstaats noch so viel saure
Arbeit, von der sich freilich die Rotteck-Welcker'schen Encyklopädisten nicht viel
träumen ließen, vor uns, daß wir das Spiel mit dem constiluiionellen
Flitterkram füglich unbeschäftigteren oder vielgeschäftigeren Leuten überlassen
können. Das alte liberale Postulat der politischen Geschwornengerichte, das
in der jüngsten Landtagssession von dem Abgeordneten Duncker wieder auf
die Tagesordnung zu bringen versucht wurde, ist überdies in seiner bisherigen
Formulirung für unser Recht, wie für unsere Politik ein durchaus unreifer,
ungesunder, trügerisch verderblicher Reformgedanke.
Die deutsche Jury ist mit dem deutschen Constitutionalismus eines Geistes
Kind; beide leiden an denselben Fehlern ihres Ursprungs, ihres Grund¬
charakters, ihrer äußeren Bildung. In der einen, wie in dem anderen findet
sich die gleiche illegitime Nachahmung unverstandener englischer Institutionen,
die gleiche Abfärbung der revolutionär-bonapartistischen Muster Frankreichs,
Grenzboten II. I8K9. 61
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |