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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band.

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Vielleicht wollte sie sich auch das Entzücken dieser Aussicht nicht erlauben;
-- als palermitanischer Priester würde ich keinen Augenblick anders inter¬
pretiere Ein wundervoller Blick ist es allerdings da oben: rechts und links
die herrlichen Formen der tiesausgebuchteten steilen Küste mit ihren Vor¬
gebirgen, und vor sich hat man das unendliche Meer. Von der Schönheit
dieses Gewässers, das im Sturm wie im Sonnenschein, zu allen Stunden
nur immer neue Reize entwickelt, haben wir im Norden keinen Begriff.
Man fühlt das Meer hier schwerer als bei Neapel. Das will Goethe aus¬
drücken, wenn er es als "ernsthaft und zudringlich" bezeichnet, "anstatt daß es
bei Neapel von der Mittagsstunde an immer heitrer, luftiger und ferner
glänzt." Der Himmel allein bringt diese unendliche Bläue nicht hervor:
das Wasser führt hier nicht jene Massen Sand und Schlamm mit sich, die
es bei uns fortwährend von den Küsten ableckt, einen unzerstörbar harten
Fels bespülend, und über ihn hingelagert erhält es seine natürliche Reinheit.
So grenzen hier zwei ganz ungetrübte Flüssigkeiten. Wasser und Luft, anein¬
ander und bringen zusammen die schönste Farbenwirkung hervor, deren sich
das Auge erfreuen kann.

Der Blick landeinwärts ist auch von großem Reiz. Zwischen dem isolirt
aufsteigenden Monte Pelegrino und dem Stock des Gebirges ist die Corea
d'Oro eingesenkt, eine reich bebaute mit Villen und Häuschen besetzte Ebene,
in welcher Gärten voller Johannisbrodbäume, Oel- und Orangenplantagen
mit Cactusfeldern mannichfaltig abwechseln. Vom Berge herabsteigend ge¬
wahrten wir eine große Zahl von Pferden, Maulthieren, Eseln, Kühen,
Schafen und Ziegen, die sich in die spärlich zwischen dem Geröll verbreitete
Weide theilten. Gute Weideplätze müssen darnach sehr selten sein. Alles hielt
sich hübsch kastenweise getrennt; nur die Maulesel wußten keine sichere
Stellung zu finden: die Anerkennung der Esel unterschätzend suchten sie Dul¬
dung bei ihren vornehmeren Verwandten, fanden aber nur pferdemäßige Be¬
handlung. Die Kühe zeichnen sich durch prachtvolle Hörner aus, die sie,
glaube ich, für den romantischen Gebrauch des deutschen Studenten aus¬
bilden.

Es blieb noch Zeit den Dom zu sehen. Er ist ursprünglich im nor¬
mannischen Stil erbaut. Die Restauration hat zwar nur die alten Formen
wiedergeben wollen, hat aber vielfach das Reelle durch Schein ersetzt und
neue Motive, die ihr der älteren verwandt schienen, geschmacklos eingefügt.
Dies gilt vom Außenbau; das Innere ist ganz nüchtern modernisirt und
vollkommen auf andere Formen gebracht. Nicht ohne Interesse sind die
Thüren. Es mischen sich in der Architektur derselben dem einheimischen
Stile, gewisse englisch-normännische Elemente bei, die durch individuelle Ver¬
mittelung hineingekommen sein müssen; Erzbischof Gualterius nämlich, der


Vielleicht wollte sie sich auch das Entzücken dieser Aussicht nicht erlauben;
— als palermitanischer Priester würde ich keinen Augenblick anders inter¬
pretiere Ein wundervoller Blick ist es allerdings da oben: rechts und links
die herrlichen Formen der tiesausgebuchteten steilen Küste mit ihren Vor¬
gebirgen, und vor sich hat man das unendliche Meer. Von der Schönheit
dieses Gewässers, das im Sturm wie im Sonnenschein, zu allen Stunden
nur immer neue Reize entwickelt, haben wir im Norden keinen Begriff.
Man fühlt das Meer hier schwerer als bei Neapel. Das will Goethe aus¬
drücken, wenn er es als „ernsthaft und zudringlich" bezeichnet, „anstatt daß es
bei Neapel von der Mittagsstunde an immer heitrer, luftiger und ferner
glänzt." Der Himmel allein bringt diese unendliche Bläue nicht hervor:
das Wasser führt hier nicht jene Massen Sand und Schlamm mit sich, die
es bei uns fortwährend von den Küsten ableckt, einen unzerstörbar harten
Fels bespülend, und über ihn hingelagert erhält es seine natürliche Reinheit.
So grenzen hier zwei ganz ungetrübte Flüssigkeiten. Wasser und Luft, anein¬
ander und bringen zusammen die schönste Farbenwirkung hervor, deren sich
das Auge erfreuen kann.

Der Blick landeinwärts ist auch von großem Reiz. Zwischen dem isolirt
aufsteigenden Monte Pelegrino und dem Stock des Gebirges ist die Corea
d'Oro eingesenkt, eine reich bebaute mit Villen und Häuschen besetzte Ebene,
in welcher Gärten voller Johannisbrodbäume, Oel- und Orangenplantagen
mit Cactusfeldern mannichfaltig abwechseln. Vom Berge herabsteigend ge¬
wahrten wir eine große Zahl von Pferden, Maulthieren, Eseln, Kühen,
Schafen und Ziegen, die sich in die spärlich zwischen dem Geröll verbreitete
Weide theilten. Gute Weideplätze müssen darnach sehr selten sein. Alles hielt
sich hübsch kastenweise getrennt; nur die Maulesel wußten keine sichere
Stellung zu finden: die Anerkennung der Esel unterschätzend suchten sie Dul¬
dung bei ihren vornehmeren Verwandten, fanden aber nur pferdemäßige Be¬
handlung. Die Kühe zeichnen sich durch prachtvolle Hörner aus, die sie,
glaube ich, für den romantischen Gebrauch des deutschen Studenten aus¬
bilden.

Es blieb noch Zeit den Dom zu sehen. Er ist ursprünglich im nor¬
mannischen Stil erbaut. Die Restauration hat zwar nur die alten Formen
wiedergeben wollen, hat aber vielfach das Reelle durch Schein ersetzt und
neue Motive, die ihr der älteren verwandt schienen, geschmacklos eingefügt.
Dies gilt vom Außenbau; das Innere ist ganz nüchtern modernisirt und
vollkommen auf andere Formen gebracht. Nicht ohne Interesse sind die
Thüren. Es mischen sich in der Architektur derselben dem einheimischen
Stile, gewisse englisch-normännische Elemente bei, die durch individuelle Ver¬
mittelung hineingekommen sein müssen; Erzbischof Gualterius nämlich, der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120686/40>, abgerufen am 24.07.2024.