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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band.

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Politikern der Gegenwart meint es keiner mit der Erhaltung des Friedens
und der Beschränkung auf innere Probleme so aufrichtig wie der Verfasser
des "neunzehnten Januar" und es ist dafür gesorgt, daß ihm bezüglich
Belgiens die Hände^nicht im voraus gebunden sind. Die Verpflichtungen,
welche das Kaiserreich dem Papstthum gegenüber übernommen, sind lästig
genug geworden, als daß man Lust haben könnte, auf andere Engage-
wents von unberechenbarer Tragweite und zweifelhaftem Gewinn einzugehen.
Dem belgischen Eisenbahnhandel scheint bestimmt gewesen zu sein, eine Re¬
serve zu bleiben, von welcher man Gebrauch machen wollte, wenn eine plötz¬
liche auswärtige Verwickelung nothwendig werden sollte, und da dieser Fall
nicht eingetreten, hat man sie wieder zurückgestellt. -- Was von einer sür
den Herbst d. I. bevorstehenden Zurückziehung der französischen Truppen aus
Rom verlautete, bedarf noch der Bestätigung. Die Stellung des Tuilerien-
cabinets zu der römischen Frage ist nach den Wahlen allerdings freier als
vor denselben, wo der Clerus bei gutem Muth erhalten werden mußte, aber
es fragt sich, ob Frankreich während der gegenwärtigen Regierung je wieder
in die Lage gerathen wird, bei Beurtheilung der italienischen Dinge blos
auf die eigenen Staatsinteressen Rücksicht zu nehmen. Die französischen Bi¬
schöfe sind sich der wichtigen Rolle, welche sie in der Geschichte des suSiags
Ulliversel gespielt haben, zu bewußt, als daß der Kaiser wagen dürfte, sie
jemals außer Rechnung zu lassen -- mag diese Rechnung auch häufig unbequem
genug sein. Daß die gewaltsame Erhaltung des äominium temporale aber
der einzige Preis ist. um welchen die Kirchenfürsten Frankreichs und ihre
zahlreichen Anhänger zu haben sind, haben sie auch während des letzten
Nahlkampfs deutlich gezeigt, indem sie ziemlich vernehmlich nach Garantien
sür die fortgesetzte Herrschaft des heiligen Vaters verlangten. Die warme
Begeisterung, in welche die Organe der specifisch katholischen Presse (z. B. die
gelben Blätter) jedesmal gerathen, wenn sie von der kirchlichen Gesinnung
des modernen Frankreich reden, bekundet deutlich, wie sicher man in Rom
der französischen Connivenz ist. In dieser Richtung haben die letzten Wochen
übrigens einen neuen, höchst bemerkenswerthen Beleg geliefert. Während
die Regierung des stockkatholischen Bayern trotz der neuen Wahlsiege des
^ltramontanismus den Muth hatte, ihren Befürchtungen vor hierarchischen
Übergriffen des bevorstehenden Concils einen Ausdruck zu geben und bet
den übrigen katholischen Mächten eine gemeinsame Sicherstellung der Staats¬
gewalt anzuregen, ist das Vaterland Voltaire's und Montesquieu s scheu zurück¬
gewichen und bis jetzt, liegt kein Grund zu der Annahme vor, daß man nach
den Wahlen mehr Muth und Entschlossenheit zeigen werde, als vor und
Während derselben.

Wenn Napoleon III. wirklich an eine Zurückziehung seiner römischen


Politikern der Gegenwart meint es keiner mit der Erhaltung des Friedens
und der Beschränkung auf innere Probleme so aufrichtig wie der Verfasser
des „neunzehnten Januar" und es ist dafür gesorgt, daß ihm bezüglich
Belgiens die Hände^nicht im voraus gebunden sind. Die Verpflichtungen,
welche das Kaiserreich dem Papstthum gegenüber übernommen, sind lästig
genug geworden, als daß man Lust haben könnte, auf andere Engage-
wents von unberechenbarer Tragweite und zweifelhaftem Gewinn einzugehen.
Dem belgischen Eisenbahnhandel scheint bestimmt gewesen zu sein, eine Re¬
serve zu bleiben, von welcher man Gebrauch machen wollte, wenn eine plötz¬
liche auswärtige Verwickelung nothwendig werden sollte, und da dieser Fall
nicht eingetreten, hat man sie wieder zurückgestellt. — Was von einer sür
den Herbst d. I. bevorstehenden Zurückziehung der französischen Truppen aus
Rom verlautete, bedarf noch der Bestätigung. Die Stellung des Tuilerien-
cabinets zu der römischen Frage ist nach den Wahlen allerdings freier als
vor denselben, wo der Clerus bei gutem Muth erhalten werden mußte, aber
es fragt sich, ob Frankreich während der gegenwärtigen Regierung je wieder
in die Lage gerathen wird, bei Beurtheilung der italienischen Dinge blos
auf die eigenen Staatsinteressen Rücksicht zu nehmen. Die französischen Bi¬
schöfe sind sich der wichtigen Rolle, welche sie in der Geschichte des suSiags
Ulliversel gespielt haben, zu bewußt, als daß der Kaiser wagen dürfte, sie
jemals außer Rechnung zu lassen — mag diese Rechnung auch häufig unbequem
genug sein. Daß die gewaltsame Erhaltung des äominium temporale aber
der einzige Preis ist. um welchen die Kirchenfürsten Frankreichs und ihre
zahlreichen Anhänger zu haben sind, haben sie auch während des letzten
Nahlkampfs deutlich gezeigt, indem sie ziemlich vernehmlich nach Garantien
sür die fortgesetzte Herrschaft des heiligen Vaters verlangten. Die warme
Begeisterung, in welche die Organe der specifisch katholischen Presse (z. B. die
gelben Blätter) jedesmal gerathen, wenn sie von der kirchlichen Gesinnung
des modernen Frankreich reden, bekundet deutlich, wie sicher man in Rom
der französischen Connivenz ist. In dieser Richtung haben die letzten Wochen
übrigens einen neuen, höchst bemerkenswerthen Beleg geliefert. Während
die Regierung des stockkatholischen Bayern trotz der neuen Wahlsiege des
^ltramontanismus den Muth hatte, ihren Befürchtungen vor hierarchischen
Übergriffen des bevorstehenden Concils einen Ausdruck zu geben und bet
den übrigen katholischen Mächten eine gemeinsame Sicherstellung der Staats¬
gewalt anzuregen, ist das Vaterland Voltaire's und Montesquieu s scheu zurück¬
gewichen und bis jetzt, liegt kein Grund zu der Annahme vor, daß man nach
den Wahlen mehr Muth und Entschlossenheit zeigen werde, als vor und
Während derselben.

Wenn Napoleon III. wirklich an eine Zurückziehung seiner römischen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120686/391>, abgerufen am 24.07.2024.