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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band.

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der Alexanderschlacht nicht nach; sie imponiren durch Majestät und edle
Würde. Wie der Anblick so eines ruhigen heiteren Werkes alle Beklemmung
der Seele hinwegzuehmen vermag!

Heute früh erstiegen wir den Monte Pelegrino, der sich westlich von der
Stadt Ins zu 2000 Fuß erhebt und nach dem Meere zu fast senkrecht ab¬
fällt. Auch nach dem Lande zu hat er steile und zerklüftete Schroffen von
mehreren hundert Fuß Höhe; aber hier haben sich durch Geröll und ver¬
witterte Massen an seinem Fuße Böschungen gebildet, die eine Ersteigung er¬
möglichen. Eine breite, gepflasterte Straße, nur für die Wallfahrten der
Pilger gebaut, führt anfänglich über Viaducte. dann durch ein steinernes
Meer hindurch zur Grotte der heiligen Rosalie, die auf der Höhe belegen
ist. Das Gestein ist dolomitischer Kalk mit sehr großen Blasen und Höhlen.
Eine dieser natürlichen Grotten hatte sich die schöne Nichte König Wilhelm's
des Guten, Rosalie, die in der zweiten Hälfte des'zwölften Jahrhunderts
lebte, zur Wohnung ausersehen, um da ein einsiedlerisches, von der Welt
ganz abgezogenes Leben zu führen. Jetzt sind Altäre hineingesetzt und eine
Halle ist davor gebaut; die Wasser, welche fortwährend durch den Fels
herabsickern und Stalaktiten bilden, werden durch Rinnen abgefangen; die
Heilige selbst aber gönnte sich die Rücksicht nicht, die sich ihre Verehrer schul¬
dig zu sein glauben. Ich weiß nicht, wie es kam, daß man eine so ent¬
sagungsreiche Dulderin, die noch dazu einem berühmten Könige verwandt
war, so ganz vergaß; aber erst etwa fünfhundert Jahre nach ihrem Tode
fand man ihre Gebeine in der Höhle und nun legte man im Jahre 1625
eine Marmorstatue an deren Stelle, die Karl III. sogar mit einem ganz gol¬
denen Gewände bekleidete. Das Werk ist von weichen anmuthigen Formen
und unendlich rührendem Ausdruck. Man kann es aber, überbaut wie es ist,
auch ästhetisch nicht anders betrachten, als wenn man sich in die Stellung
eines Anbetenden begibt. Sehr auffällig ist gerade über dem Platze dieser
Statue und des darüber errichteten Altars eine kleine Höhle innerhalb der
großen; das arme, geängstete Geschöpf suchte sie auf, wenn der Teufel sie
aufzusuchen kam, und nun hätte Satan allerdings das Stück Jnwendigkeit
sein müssen, für welches neuere Adiabolisten ihn ausgeben, wenn er auch
darin hätte Platz finden wollen. Man kann selbst nach so vielen Jahr¬
hunderten nicht ohne Rührung an die heiligen Verirrungen der "schönen
Seele" denken. Was mochte ihr verloren gegangen sein?

Ihre späteren Verehrer haben ihr, wie es scheint, die Kraft zugeschrieben,
die Wogen zu beruhigen und die Schiffer zu schirmen; denn sie setzten ihr
eine segnende Kolossalstatue auf einem Felsvorsprung am Meere. Aber hat
sie sich den Stürmen des Lebens nicht gewachsen gefühlt, so hat sie auch da
oben schon zweimal den Kopf verloren, und noch jetzt steht sie hauptlos da.


der Alexanderschlacht nicht nach; sie imponiren durch Majestät und edle
Würde. Wie der Anblick so eines ruhigen heiteren Werkes alle Beklemmung
der Seele hinwegzuehmen vermag!

Heute früh erstiegen wir den Monte Pelegrino, der sich westlich von der
Stadt Ins zu 2000 Fuß erhebt und nach dem Meere zu fast senkrecht ab¬
fällt. Auch nach dem Lande zu hat er steile und zerklüftete Schroffen von
mehreren hundert Fuß Höhe; aber hier haben sich durch Geröll und ver¬
witterte Massen an seinem Fuße Böschungen gebildet, die eine Ersteigung er¬
möglichen. Eine breite, gepflasterte Straße, nur für die Wallfahrten der
Pilger gebaut, führt anfänglich über Viaducte. dann durch ein steinernes
Meer hindurch zur Grotte der heiligen Rosalie, die auf der Höhe belegen
ist. Das Gestein ist dolomitischer Kalk mit sehr großen Blasen und Höhlen.
Eine dieser natürlichen Grotten hatte sich die schöne Nichte König Wilhelm's
des Guten, Rosalie, die in der zweiten Hälfte des'zwölften Jahrhunderts
lebte, zur Wohnung ausersehen, um da ein einsiedlerisches, von der Welt
ganz abgezogenes Leben zu führen. Jetzt sind Altäre hineingesetzt und eine
Halle ist davor gebaut; die Wasser, welche fortwährend durch den Fels
herabsickern und Stalaktiten bilden, werden durch Rinnen abgefangen; die
Heilige selbst aber gönnte sich die Rücksicht nicht, die sich ihre Verehrer schul¬
dig zu sein glauben. Ich weiß nicht, wie es kam, daß man eine so ent¬
sagungsreiche Dulderin, die noch dazu einem berühmten Könige verwandt
war, so ganz vergaß; aber erst etwa fünfhundert Jahre nach ihrem Tode
fand man ihre Gebeine in der Höhle und nun legte man im Jahre 1625
eine Marmorstatue an deren Stelle, die Karl III. sogar mit einem ganz gol¬
denen Gewände bekleidete. Das Werk ist von weichen anmuthigen Formen
und unendlich rührendem Ausdruck. Man kann es aber, überbaut wie es ist,
auch ästhetisch nicht anders betrachten, als wenn man sich in die Stellung
eines Anbetenden begibt. Sehr auffällig ist gerade über dem Platze dieser
Statue und des darüber errichteten Altars eine kleine Höhle innerhalb der
großen; das arme, geängstete Geschöpf suchte sie auf, wenn der Teufel sie
aufzusuchen kam, und nun hätte Satan allerdings das Stück Jnwendigkeit
sein müssen, für welches neuere Adiabolisten ihn ausgeben, wenn er auch
darin hätte Platz finden wollen. Man kann selbst nach so vielen Jahr¬
hunderten nicht ohne Rührung an die heiligen Verirrungen der „schönen
Seele" denken. Was mochte ihr verloren gegangen sein?

Ihre späteren Verehrer haben ihr, wie es scheint, die Kraft zugeschrieben,
die Wogen zu beruhigen und die Schiffer zu schirmen; denn sie setzten ihr
eine segnende Kolossalstatue auf einem Felsvorsprung am Meere. Aber hat
sie sich den Stürmen des Lebens nicht gewachsen gefühlt, so hat sie auch da
oben schon zweimal den Kopf verloren, und noch jetzt steht sie hauptlos da.


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[0039] der Alexanderschlacht nicht nach; sie imponiren durch Majestät und edle Würde. Wie der Anblick so eines ruhigen heiteren Werkes alle Beklemmung der Seele hinwegzuehmen vermag! Heute früh erstiegen wir den Monte Pelegrino, der sich westlich von der Stadt Ins zu 2000 Fuß erhebt und nach dem Meere zu fast senkrecht ab¬ fällt. Auch nach dem Lande zu hat er steile und zerklüftete Schroffen von mehreren hundert Fuß Höhe; aber hier haben sich durch Geröll und ver¬ witterte Massen an seinem Fuße Böschungen gebildet, die eine Ersteigung er¬ möglichen. Eine breite, gepflasterte Straße, nur für die Wallfahrten der Pilger gebaut, führt anfänglich über Viaducte. dann durch ein steinernes Meer hindurch zur Grotte der heiligen Rosalie, die auf der Höhe belegen ist. Das Gestein ist dolomitischer Kalk mit sehr großen Blasen und Höhlen. Eine dieser natürlichen Grotten hatte sich die schöne Nichte König Wilhelm's des Guten, Rosalie, die in der zweiten Hälfte des'zwölften Jahrhunderts lebte, zur Wohnung ausersehen, um da ein einsiedlerisches, von der Welt ganz abgezogenes Leben zu führen. Jetzt sind Altäre hineingesetzt und eine Halle ist davor gebaut; die Wasser, welche fortwährend durch den Fels herabsickern und Stalaktiten bilden, werden durch Rinnen abgefangen; die Heilige selbst aber gönnte sich die Rücksicht nicht, die sich ihre Verehrer schul¬ dig zu sein glauben. Ich weiß nicht, wie es kam, daß man eine so ent¬ sagungsreiche Dulderin, die noch dazu einem berühmten Könige verwandt war, so ganz vergaß; aber erst etwa fünfhundert Jahre nach ihrem Tode fand man ihre Gebeine in der Höhle und nun legte man im Jahre 1625 eine Marmorstatue an deren Stelle, die Karl III. sogar mit einem ganz gol¬ denen Gewände bekleidete. Das Werk ist von weichen anmuthigen Formen und unendlich rührendem Ausdruck. Man kann es aber, überbaut wie es ist, auch ästhetisch nicht anders betrachten, als wenn man sich in die Stellung eines Anbetenden begibt. Sehr auffällig ist gerade über dem Platze dieser Statue und des darüber errichteten Altars eine kleine Höhle innerhalb der großen; das arme, geängstete Geschöpf suchte sie auf, wenn der Teufel sie aufzusuchen kam, und nun hätte Satan allerdings das Stück Jnwendigkeit sein müssen, für welches neuere Adiabolisten ihn ausgeben, wenn er auch darin hätte Platz finden wollen. Man kann selbst nach so vielen Jahr¬ hunderten nicht ohne Rührung an die heiligen Verirrungen der „schönen Seele" denken. Was mochte ihr verloren gegangen sein? Ihre späteren Verehrer haben ihr, wie es scheint, die Kraft zugeschrieben, die Wogen zu beruhigen und die Schiffer zu schirmen; denn sie setzten ihr eine segnende Kolossalstatue auf einem Felsvorsprung am Meere. Aber hat sie sich den Stürmen des Lebens nicht gewachsen gefühlt, so hat sie auch da oben schon zweimal den Kopf verloren, und noch jetzt steht sie hauptlos da.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120686/39>, abgerufen am 24.07.2024.