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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band.

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oder gar achtzig "Unabhängige" sein werden, welche hinter diesen Aller¬
neuesten stehen, ist für das Kaiserthum eigentlich nicht viel mehr als eine
Frage der größeren oder geringeren Unbequemlichkeit; die Sache der Freiheit
und Bildung in Frankreich hat von ihnen nichts zu erwarten und die Sache
des europäischen Friedens auch nicht, denn in ihren Reihen ist kaum ein
Name vorhanden, der Vertrauen besäße und erweckte. Die große Zahl der
Besitzenden hat mit der Republik ein sür alle Mal abgerechnet und die Re¬
gierung wird dafür zu sorgen wissen, daß man noch lange vorziehen wird,
Mit ihr zu handeln, als sich ihren Gegnern auf Gnade und Ungnade zu er¬
geben. Ist unter solchen Zeichen wirklich etwas für die Freiheit Frankreichs
zu hoffen? Selbst im günstigsten Falle, dem. daß der Kaiser es wirklich mit
Ollivier und dessen Freunden versucht, wird es außerordentlich schwerhalten,
den Einfluß der unbedingt Kaiserlichen, mögen sie Arkadier und einfach
Satisfaits heißen, auf die Dauer zu brechen; deutlich geredet haben nur die
beiden extremen Parteien, und da sich mit der einen derselben'überhaupt
nicht reden läßt, so wird es begreiflich erscheinen, wenn man der anderen das
Gehör nicht ganz versagt, mag ihr System sich auch noch so deutlich selbst
verurtheilt haben. Ein wirklich parlamentarisches Leben und Fortschreiten
ist nur auf dem Wege von Compromissen möglich, und mit wem sollen diese
geschlossen werden, wo die Oppositionspartei die "Unversöhnlichkeit" zu ihrem
Losungs- und Stichwort gemacht hat! Dazu kommt noch eine andere Schwie¬
rigkeit. Unter den Anhängern des Kaisertums, den liberalen wie den un¬
bedingten, sind ebenso wenig sittlich-feste und reine Charaktere zu finden.,
wie politische Intelligenzen unter ihren Gegnern; selbst wenn sie wollten,
würde es der Mehrzahl unter ihnen schwer fallen, sicher und fest ihres Weges
Zu gehen, unbekümmert um den Beifall der Lakaien des Kaisers und der
Massen. Der Ruf nach "neuen Männern" hat in dieser Beziehung eine
sehr ernste Bedeutung, ein unzweifelhaftes Recht; das Volk verlangt nach
Führern, die sich nicht befleckt haben mit dem Raube der neuen Dynastie
und dem Erlös jener riesigen Schwindelgeschäfte, neben denen die Unterneh¬
mungen des alten Law sich ziemlich kindlich und harmlos ausnehmen. Schlimm
genug, daß diese ehrlichen Leute nur unter der bartlosen Jugend, unter
Männern zu finden sind, welche nichts haben und nichts können, deren Po¬
litik weder durch Erfahrungen geläutert, noch durch die Verantwortlichkeit
für große Interessen gewichtig geworden ist. Weder hüben noch drüben ist
eine Macht vorhanden, deren Führung das Volk sich anvertrauen will und
anvertrauen kann, wenn es den Entschluß faßt, seinem bisherigen Führer
den Rücken zu drehen; der Mann, dessen Hand keck nach der Kaiserkrone ge¬
griffen, erscheint sehr viel ehrlicher als seine Genossen, die für Actien und
Dividenden zu haben waren, unendlich viel klüger und im Grunde genou-


oder gar achtzig „Unabhängige" sein werden, welche hinter diesen Aller¬
neuesten stehen, ist für das Kaiserthum eigentlich nicht viel mehr als eine
Frage der größeren oder geringeren Unbequemlichkeit; die Sache der Freiheit
und Bildung in Frankreich hat von ihnen nichts zu erwarten und die Sache
des europäischen Friedens auch nicht, denn in ihren Reihen ist kaum ein
Name vorhanden, der Vertrauen besäße und erweckte. Die große Zahl der
Besitzenden hat mit der Republik ein sür alle Mal abgerechnet und die Re¬
gierung wird dafür zu sorgen wissen, daß man noch lange vorziehen wird,
Mit ihr zu handeln, als sich ihren Gegnern auf Gnade und Ungnade zu er¬
geben. Ist unter solchen Zeichen wirklich etwas für die Freiheit Frankreichs
zu hoffen? Selbst im günstigsten Falle, dem. daß der Kaiser es wirklich mit
Ollivier und dessen Freunden versucht, wird es außerordentlich schwerhalten,
den Einfluß der unbedingt Kaiserlichen, mögen sie Arkadier und einfach
Satisfaits heißen, auf die Dauer zu brechen; deutlich geredet haben nur die
beiden extremen Parteien, und da sich mit der einen derselben'überhaupt
nicht reden läßt, so wird es begreiflich erscheinen, wenn man der anderen das
Gehör nicht ganz versagt, mag ihr System sich auch noch so deutlich selbst
verurtheilt haben. Ein wirklich parlamentarisches Leben und Fortschreiten
ist nur auf dem Wege von Compromissen möglich, und mit wem sollen diese
geschlossen werden, wo die Oppositionspartei die „Unversöhnlichkeit" zu ihrem
Losungs- und Stichwort gemacht hat! Dazu kommt noch eine andere Schwie¬
rigkeit. Unter den Anhängern des Kaisertums, den liberalen wie den un¬
bedingten, sind ebenso wenig sittlich-feste und reine Charaktere zu finden.,
wie politische Intelligenzen unter ihren Gegnern; selbst wenn sie wollten,
würde es der Mehrzahl unter ihnen schwer fallen, sicher und fest ihres Weges
Zu gehen, unbekümmert um den Beifall der Lakaien des Kaisers und der
Massen. Der Ruf nach „neuen Männern" hat in dieser Beziehung eine
sehr ernste Bedeutung, ein unzweifelhaftes Recht; das Volk verlangt nach
Führern, die sich nicht befleckt haben mit dem Raube der neuen Dynastie
und dem Erlös jener riesigen Schwindelgeschäfte, neben denen die Unterneh¬
mungen des alten Law sich ziemlich kindlich und harmlos ausnehmen. Schlimm
genug, daß diese ehrlichen Leute nur unter der bartlosen Jugend, unter
Männern zu finden sind, welche nichts haben und nichts können, deren Po¬
litik weder durch Erfahrungen geläutert, noch durch die Verantwortlichkeit
für große Interessen gewichtig geworden ist. Weder hüben noch drüben ist
eine Macht vorhanden, deren Führung das Volk sich anvertrauen will und
anvertrauen kann, wenn es den Entschluß faßt, seinem bisherigen Führer
den Rücken zu drehen; der Mann, dessen Hand keck nach der Kaiserkrone ge¬
griffen, erscheint sehr viel ehrlicher als seine Genossen, die für Actien und
Dividenden zu haben waren, unendlich viel klüger und im Grunde genou-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120686/389>, abgerufen am 24.07.2024.