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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band.

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da nicht nur der Eindruck der Pariser Wahlen in den Provinzen sehr groß
gewesen und dieselben noch mehr der Regierung in die Arme treibt, sondern
auch weil die letztere sich jetzt dazu versteht, mit den sogenannten unabhängigen
aber nicht feindlichen Candidaten Compromisse zu schließen, so daß sie schließlich
wohl über eine compacte Majorität von 220 Stimmen verfügt, während die
gesammte Opposition es auf^ nicht viel mehr als 60 bringen wird. Aber
jene Mehrheit wird, selbst wenn sie meistens aus denselben Personen besteht,
die früher die Bänke des Palais Bourbon füllten, in einem andern Geiste
wiederkommen. Sie wird mit wenigen Ausnahmen zu der bisherigen Tiers-
Partei neigen, sie wird bei aller Anhänglichkeit an das Kaiserreich sparsamere
Wirthschaft und Vermeidung jedes Scandals fordern, der Kaiser könnte
keine zweite mexikanische Expedition, kein zweites Sichcrheitsgesetz, keine neue
Auflage der Pariser Finanzausschweifungen machen.

Außer in diesen beiden Punkten läßt sich noch nichts über die Haltung
der Regierung muthmaßen. Die Ereignisse sind noch zu frisch und der
Kaiser faßt keinen raschen Entschluß.

Wir Deutsche haben indeß keinesfalls Grund, den Ausfall der Wahlen
mit Befriedigung anzusehen. Können wir einerseits vom allgemeinen Ge¬
sichtspunkte aus bedauern, daß nach so langen politischen Wechselläufen das
französische Volk noch so wenig Reife gewonnen, so liegt uns andererseits
auch die Erwägung nah. daß solches Schwanken zwischen den Extremen wenig
dem Frieden günstig sein kann. Das Verschwinden der gemäßigten Parteien
im gesetzgebenden Körper entzieht diesem jedenfalls eine Anzahl aufrichtiger
Friedensfreunde, ein Sieg der Devise Olliviers wäre, selbst wenn dieser nicht
Minister geworden, ein Sieg der Friedenspartei gewesen. Wofür die Herren
Gambetta und Raspail arbeiten werden, ist unberechenbar, charakteristisch aber
bleibt, daß die Officiere, welche im 3. Bezirk Wähler waren, beschlossen
weiße Zettel abzugeben, weil es unziemlich sein würde, für Bancel zu stimmen,
sie aber auch nicht für Ollivier stimmen dürften, der eine preußische und anti¬
französische Politik empfehle.

Jedenfalls wird die Kriegspartei die Gelegenheit ausbeuten, um den
Kaiser in ihrem Sinne zu bearbeiten, indem sie betont, daß solcher Opposition
gegenüber keine ruhige innere Entwicklung möglich sei. Die Situation ist
darnach dem Staatsstreich nicht unähnlich, die innern Parteikämpfe scheinen
noch mehr als damals auf eine Ableitung nach außen hinzuweisen. Andrer¬
seits ist der Kaiser glücklicherweise um 17 Jahre älter geworden und er muß
sich sagen, daß er mit einer Niederlage die Zukunft seiner Dynastie in Frage
stellen würde.




da nicht nur der Eindruck der Pariser Wahlen in den Provinzen sehr groß
gewesen und dieselben noch mehr der Regierung in die Arme treibt, sondern
auch weil die letztere sich jetzt dazu versteht, mit den sogenannten unabhängigen
aber nicht feindlichen Candidaten Compromisse zu schließen, so daß sie schließlich
wohl über eine compacte Majorität von 220 Stimmen verfügt, während die
gesammte Opposition es auf^ nicht viel mehr als 60 bringen wird. Aber
jene Mehrheit wird, selbst wenn sie meistens aus denselben Personen besteht,
die früher die Bänke des Palais Bourbon füllten, in einem andern Geiste
wiederkommen. Sie wird mit wenigen Ausnahmen zu der bisherigen Tiers-
Partei neigen, sie wird bei aller Anhänglichkeit an das Kaiserreich sparsamere
Wirthschaft und Vermeidung jedes Scandals fordern, der Kaiser könnte
keine zweite mexikanische Expedition, kein zweites Sichcrheitsgesetz, keine neue
Auflage der Pariser Finanzausschweifungen machen.

Außer in diesen beiden Punkten läßt sich noch nichts über die Haltung
der Regierung muthmaßen. Die Ereignisse sind noch zu frisch und der
Kaiser faßt keinen raschen Entschluß.

Wir Deutsche haben indeß keinesfalls Grund, den Ausfall der Wahlen
mit Befriedigung anzusehen. Können wir einerseits vom allgemeinen Ge¬
sichtspunkte aus bedauern, daß nach so langen politischen Wechselläufen das
französische Volk noch so wenig Reife gewonnen, so liegt uns andererseits
auch die Erwägung nah. daß solches Schwanken zwischen den Extremen wenig
dem Frieden günstig sein kann. Das Verschwinden der gemäßigten Parteien
im gesetzgebenden Körper entzieht diesem jedenfalls eine Anzahl aufrichtiger
Friedensfreunde, ein Sieg der Devise Olliviers wäre, selbst wenn dieser nicht
Minister geworden, ein Sieg der Friedenspartei gewesen. Wofür die Herren
Gambetta und Raspail arbeiten werden, ist unberechenbar, charakteristisch aber
bleibt, daß die Officiere, welche im 3. Bezirk Wähler waren, beschlossen
weiße Zettel abzugeben, weil es unziemlich sein würde, für Bancel zu stimmen,
sie aber auch nicht für Ollivier stimmen dürften, der eine preußische und anti¬
französische Politik empfehle.

Jedenfalls wird die Kriegspartei die Gelegenheit ausbeuten, um den
Kaiser in ihrem Sinne zu bearbeiten, indem sie betont, daß solcher Opposition
gegenüber keine ruhige innere Entwicklung möglich sei. Die Situation ist
darnach dem Staatsstreich nicht unähnlich, die innern Parteikämpfe scheinen
noch mehr als damals auf eine Ableitung nach außen hinzuweisen. Andrer¬
seits ist der Kaiser glücklicherweise um 17 Jahre älter geworden und er muß
sich sagen, daß er mit einer Niederlage die Zukunft seiner Dynastie in Frage
stellen würde.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120686/382>, abgerufen am 24.07.2024.