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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band.

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oder richtiger die Gouvernementalen und Radicalen. Freilich hat das allge¬
meine Stimmrecht seine Gunst unter beide sehr ungleich vertheilt, die Regie¬
rung ist aus dem Kampfe mit einer ungeheuren Mehrheit hervorgegangen.
Man kann zugeben, daß die tausendarmige Verwaltung alle Federn zu
Gunsten der officiellen Candidaten hat spielen lassen, daß alle Beamten vom
Präfecten bis zum Feldhüter rücksichtslos ihren Einfluß gebraucht haben, daß
namentlich die letzten fünf Tage vor der Wahl, wo den Candidaten das Agitiren
verboten ist. auf das rücksichtsloseste gegen die Männer der Opposition aus¬
gebeutet sind, welche auf Anklagen und Verleumdungen nicht antworten
konnten -- das Schlußergebniß bleibt doch, daß die große Masse der Armee
des allgemeinen Stimmrechts, die Bauern, fortfahren auf Seiten des Kaisers
zu stehen. Trotz seiner Kriege, welche tausende von Menschenleben und tau¬
sende von Millionen verschlungen haben, troH der erhöhten Militärlast, welche
vornehmlich auf das platte Land drückt, trotz der stiefmütterlichen Behand¬
lung der Interessen des Ackerbaues im Gegensatz zur Verhätschelung der
städtischen Arbeiten, stimmt der französische Bauer in Masse für die Regierung '
und zwar einfach, weil er keine Revolution will, nachdem die von 1789 ihm
Alles gegeben hat, was sein Interesse verlangte. Er sah den Sturz der
Restauration nicht ungern, weil sie Miene machte die eongiMss Zs 1789
anzutasten, er sah der Februarrevolution passiv zu, weil ihm die Julimonarchie
gleichgültig war, aber er lernte rasch die Republik mit ihren esniimss aÄäi-
tionnellög hassen und warf sich blind dem Manne in die Arme, der Frank¬
reich von der Anarchie zu retten versprach. Er ist gewiß nicht mit Allem zu¬
frieden, was geschehen, er möchte Erleichterung der öffentlichen Lasten und
will Frieden, so lange kein Feind Frankreichs Grenzen antastet, aber er will
vor Allem keine inneren Erschütterungen, und dazu scheint ihm die Conti-
nuität der gegenwärtigen Regierung nothwendig. Dies zeigt, daß die Grund¬
lage des Kaiserreichs trotz aller Fehler desselben unerschüttert geblieben, was
um so bemerkenswerther ist, da der Clerus keineswegs unbedingt mit der Regie¬
rung gegangen ist, sondern einem Rundschreiben des Cardinal Antonelli an die
französischen Bischöfe zufolge, nur die officiellen Candidaten unterstützt hat,
welche zugleich von den katholischen Comite's empfohlen wurden.

Der französische Bauer verabscheut die Socialisten, deren Experimente
drohen würden sein sauer errungenes Stück Land zu gefährden, aber er ignorirt
die Liberalen, deren Theorien über Gleichgewicht der Gewalten, Controle der
Regierung, Ministerverantwortlichkeit ihm einfach unverständlich sind. Daher
die totale Niederlage der Liberalen, nachdem die großen Städte sich dem
Radicalismus in die Arme geworfen, eine Niederlage, die alle Voraussicht
übertroffen. Kein einziger Orleanist ist durchgekommen. Casimir Pe'rier,
Broglie, Remusat, Lasteyrie, DuctMel, Decazes, Pasquier, Haussonville sind


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oder richtiger die Gouvernementalen und Radicalen. Freilich hat das allge¬
meine Stimmrecht seine Gunst unter beide sehr ungleich vertheilt, die Regie¬
rung ist aus dem Kampfe mit einer ungeheuren Mehrheit hervorgegangen.
Man kann zugeben, daß die tausendarmige Verwaltung alle Federn zu
Gunsten der officiellen Candidaten hat spielen lassen, daß alle Beamten vom
Präfecten bis zum Feldhüter rücksichtslos ihren Einfluß gebraucht haben, daß
namentlich die letzten fünf Tage vor der Wahl, wo den Candidaten das Agitiren
verboten ist. auf das rücksichtsloseste gegen die Männer der Opposition aus¬
gebeutet sind, welche auf Anklagen und Verleumdungen nicht antworten
konnten — das Schlußergebniß bleibt doch, daß die große Masse der Armee
des allgemeinen Stimmrechts, die Bauern, fortfahren auf Seiten des Kaisers
zu stehen. Trotz seiner Kriege, welche tausende von Menschenleben und tau¬
sende von Millionen verschlungen haben, troH der erhöhten Militärlast, welche
vornehmlich auf das platte Land drückt, trotz der stiefmütterlichen Behand¬
lung der Interessen des Ackerbaues im Gegensatz zur Verhätschelung der
städtischen Arbeiten, stimmt der französische Bauer in Masse für die Regierung '
und zwar einfach, weil er keine Revolution will, nachdem die von 1789 ihm
Alles gegeben hat, was sein Interesse verlangte. Er sah den Sturz der
Restauration nicht ungern, weil sie Miene machte die eongiMss Zs 1789
anzutasten, er sah der Februarrevolution passiv zu, weil ihm die Julimonarchie
gleichgültig war, aber er lernte rasch die Republik mit ihren esniimss aÄäi-
tionnellög hassen und warf sich blind dem Manne in die Arme, der Frank¬
reich von der Anarchie zu retten versprach. Er ist gewiß nicht mit Allem zu¬
frieden, was geschehen, er möchte Erleichterung der öffentlichen Lasten und
will Frieden, so lange kein Feind Frankreichs Grenzen antastet, aber er will
vor Allem keine inneren Erschütterungen, und dazu scheint ihm die Conti-
nuität der gegenwärtigen Regierung nothwendig. Dies zeigt, daß die Grund¬
lage des Kaiserreichs trotz aller Fehler desselben unerschüttert geblieben, was
um so bemerkenswerther ist, da der Clerus keineswegs unbedingt mit der Regie¬
rung gegangen ist, sondern einem Rundschreiben des Cardinal Antonelli an die
französischen Bischöfe zufolge, nur die officiellen Candidaten unterstützt hat,
welche zugleich von den katholischen Comite's empfohlen wurden.

Der französische Bauer verabscheut die Socialisten, deren Experimente
drohen würden sein sauer errungenes Stück Land zu gefährden, aber er ignorirt
die Liberalen, deren Theorien über Gleichgewicht der Gewalten, Controle der
Regierung, Ministerverantwortlichkeit ihm einfach unverständlich sind. Daher
die totale Niederlage der Liberalen, nachdem die großen Städte sich dem
Radicalismus in die Arme geworfen, eine Niederlage, die alle Voraussicht
übertroffen. Kein einziger Orleanist ist durchgekommen. Casimir Pe'rier,
Broglie, Remusat, Lasteyrie, DuctMel, Decazes, Pasquier, Haussonville sind


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[0379] oder richtiger die Gouvernementalen und Radicalen. Freilich hat das allge¬ meine Stimmrecht seine Gunst unter beide sehr ungleich vertheilt, die Regie¬ rung ist aus dem Kampfe mit einer ungeheuren Mehrheit hervorgegangen. Man kann zugeben, daß die tausendarmige Verwaltung alle Federn zu Gunsten der officiellen Candidaten hat spielen lassen, daß alle Beamten vom Präfecten bis zum Feldhüter rücksichtslos ihren Einfluß gebraucht haben, daß namentlich die letzten fünf Tage vor der Wahl, wo den Candidaten das Agitiren verboten ist. auf das rücksichtsloseste gegen die Männer der Opposition aus¬ gebeutet sind, welche auf Anklagen und Verleumdungen nicht antworten konnten — das Schlußergebniß bleibt doch, daß die große Masse der Armee des allgemeinen Stimmrechts, die Bauern, fortfahren auf Seiten des Kaisers zu stehen. Trotz seiner Kriege, welche tausende von Menschenleben und tau¬ sende von Millionen verschlungen haben, troH der erhöhten Militärlast, welche vornehmlich auf das platte Land drückt, trotz der stiefmütterlichen Behand¬ lung der Interessen des Ackerbaues im Gegensatz zur Verhätschelung der städtischen Arbeiten, stimmt der französische Bauer in Masse für die Regierung ' und zwar einfach, weil er keine Revolution will, nachdem die von 1789 ihm Alles gegeben hat, was sein Interesse verlangte. Er sah den Sturz der Restauration nicht ungern, weil sie Miene machte die eongiMss Zs 1789 anzutasten, er sah der Februarrevolution passiv zu, weil ihm die Julimonarchie gleichgültig war, aber er lernte rasch die Republik mit ihren esniimss aÄäi- tionnellög hassen und warf sich blind dem Manne in die Arme, der Frank¬ reich von der Anarchie zu retten versprach. Er ist gewiß nicht mit Allem zu¬ frieden, was geschehen, er möchte Erleichterung der öffentlichen Lasten und will Frieden, so lange kein Feind Frankreichs Grenzen antastet, aber er will vor Allem keine inneren Erschütterungen, und dazu scheint ihm die Conti- nuität der gegenwärtigen Regierung nothwendig. Dies zeigt, daß die Grund¬ lage des Kaiserreichs trotz aller Fehler desselben unerschüttert geblieben, was um so bemerkenswerther ist, da der Clerus keineswegs unbedingt mit der Regie¬ rung gegangen ist, sondern einem Rundschreiben des Cardinal Antonelli an die französischen Bischöfe zufolge, nur die officiellen Candidaten unterstützt hat, welche zugleich von den katholischen Comite's empfohlen wurden. Der französische Bauer verabscheut die Socialisten, deren Experimente drohen würden sein sauer errungenes Stück Land zu gefährden, aber er ignorirt die Liberalen, deren Theorien über Gleichgewicht der Gewalten, Controle der Regierung, Ministerverantwortlichkeit ihm einfach unverständlich sind. Daher die totale Niederlage der Liberalen, nachdem die großen Städte sich dem Radicalismus in die Arme geworfen, eine Niederlage, die alle Voraussicht übertroffen. Kein einziger Orleanist ist durchgekommen. Casimir Pe'rier, Broglie, Remusat, Lasteyrie, DuctMel, Decazes, Pasquier, Haussonville sind 47*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120686/379>, abgerufen am 24.07.2024.