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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band.

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mit dem Septett noch eine letzte Studie zur Behandlung der vollen Orchester
Massen gemacht haben wollte!

Als Dirigenten möchten wir Pasdeloup Ferdinand Hiller, Julius Rietz
und Julius Stern an die Seite setzen, d. h. den ersten unter unseren besten.
Bei dem Publicum ist er verdientermaßen im höchsten Grade beliebt und
jubelnder Empfang, Beifall und Hervorruf belohnen ihn für seine rastlosen
Bemühungen. ,

Was nun die Aufführung betrifft, so ist sie meist eine ganz vorzügliche
zu nennen, und wer davon eine Ahnung hat, wie schwer ein französisches
Orchester zu leiten ist, auch nur überhaupt Tact hält, wird dem Leiter wie
den einzelnen Musikern die größte Anerkennung spenden müssen. Der Klang
dieser imposanten Heerschaar ist ein wunderbar schöner; dazu trägt nament¬
lich der mächtige volle Ton des stark besetzten Streichquartetts bei, das nie
von den Bläsern verdeckt werden kann; wichtig ist auch, daß alle Geigen
immer denselben Strich haben und dadurch eine wirklich bewundernswerthe
Einheitlichkeit erreichen. Am besten gelingen diesem Orchester die graciösen
und zierlichen Stücke: Haydn'sche Variationen, das Scherzo aus dem Sommer¬
nachtstraum haben wir hier in seltener Vollendung gehört; dann auch einmal
die Freischützouvertüre, deren feurig und glänzend, wie im Sturm eroberter
Schluß das Publicum zu wahrer Begeisterung hinriß. Weniger befriedigend
ist die Wiedergabe Beethoven'scher Symphonien; über falsche Tempi zu strei¬
ten ist eine üble Vorliebe aller Musikkritiker, der wir hier nicht nachgeben
wollen, aber es scheint in der That, als ob der zu einem vollständigen Mit¬
empfinden der innersten Erlebnisse des unglücklichen Meisters nothwendige
Ernst dem Orchester nicht innewohne. Es spielt das Adagio der neunten
Symphonie nicht anders, als etwa ein Ballet von Gounot; die Noten sind
da, auch sind alle Vortragszeichen genau, ja scrupulös beobachtet, aber etwas
mehr Seele würde die ganze Aufführung erheben und künstlerisch adeln. Es
ist uns aber ganz unbegreiflich, wie der so feine und zartfühlende Pasdeloup
sich zu musikalischen Sünden verleiten lassen kann, wie z. B. im Scherzo der
Eroica, ja in der L-molI Symphonie über die Hälfte der wunderbaren, den
Uebergang zum Finale bildenden xp. Stelle zu streichen; wir sind dann nicht
mehr vorbereitet auf diesen höchsten Glücks - und Freiheitsjubel, der je einer
Menschenseele zu Theil geworden ist; ja wir haben ihn nicht verdient! Es
kann doch kein hinreichender Grund sein, daß die Symphonie an letzter Stelle
des Programms steht, und das Publicum ungeduldig wird!

Dieses Publicum eben war es, das uns manchmal interessanter war als
die Aufführung selbst; es scheint uns eines eingehenderen Studiums wohl
würdig.

Wahrhaftig bewundernswürdig ist es, wenn wir auf das ungeduldige


mit dem Septett noch eine letzte Studie zur Behandlung der vollen Orchester
Massen gemacht haben wollte!

Als Dirigenten möchten wir Pasdeloup Ferdinand Hiller, Julius Rietz
und Julius Stern an die Seite setzen, d. h. den ersten unter unseren besten.
Bei dem Publicum ist er verdientermaßen im höchsten Grade beliebt und
jubelnder Empfang, Beifall und Hervorruf belohnen ihn für seine rastlosen
Bemühungen. ,

Was nun die Aufführung betrifft, so ist sie meist eine ganz vorzügliche
zu nennen, und wer davon eine Ahnung hat, wie schwer ein französisches
Orchester zu leiten ist, auch nur überhaupt Tact hält, wird dem Leiter wie
den einzelnen Musikern die größte Anerkennung spenden müssen. Der Klang
dieser imposanten Heerschaar ist ein wunderbar schöner; dazu trägt nament¬
lich der mächtige volle Ton des stark besetzten Streichquartetts bei, das nie
von den Bläsern verdeckt werden kann; wichtig ist auch, daß alle Geigen
immer denselben Strich haben und dadurch eine wirklich bewundernswerthe
Einheitlichkeit erreichen. Am besten gelingen diesem Orchester die graciösen
und zierlichen Stücke: Haydn'sche Variationen, das Scherzo aus dem Sommer¬
nachtstraum haben wir hier in seltener Vollendung gehört; dann auch einmal
die Freischützouvertüre, deren feurig und glänzend, wie im Sturm eroberter
Schluß das Publicum zu wahrer Begeisterung hinriß. Weniger befriedigend
ist die Wiedergabe Beethoven'scher Symphonien; über falsche Tempi zu strei¬
ten ist eine üble Vorliebe aller Musikkritiker, der wir hier nicht nachgeben
wollen, aber es scheint in der That, als ob der zu einem vollständigen Mit¬
empfinden der innersten Erlebnisse des unglücklichen Meisters nothwendige
Ernst dem Orchester nicht innewohne. Es spielt das Adagio der neunten
Symphonie nicht anders, als etwa ein Ballet von Gounot; die Noten sind
da, auch sind alle Vortragszeichen genau, ja scrupulös beobachtet, aber etwas
mehr Seele würde die ganze Aufführung erheben und künstlerisch adeln. Es
ist uns aber ganz unbegreiflich, wie der so feine und zartfühlende Pasdeloup
sich zu musikalischen Sünden verleiten lassen kann, wie z. B. im Scherzo der
Eroica, ja in der L-molI Symphonie über die Hälfte der wunderbaren, den
Uebergang zum Finale bildenden xp. Stelle zu streichen; wir sind dann nicht
mehr vorbereitet auf diesen höchsten Glücks - und Freiheitsjubel, der je einer
Menschenseele zu Theil geworden ist; ja wir haben ihn nicht verdient! Es
kann doch kein hinreichender Grund sein, daß die Symphonie an letzter Stelle
des Programms steht, und das Publicum ungeduldig wird!

Dieses Publicum eben war es, das uns manchmal interessanter war als
die Aufführung selbst; es scheint uns eines eingehenderen Studiums wohl
würdig.

Wahrhaftig bewundernswürdig ist es, wenn wir auf das ungeduldige


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[0374] mit dem Septett noch eine letzte Studie zur Behandlung der vollen Orchester Massen gemacht haben wollte! Als Dirigenten möchten wir Pasdeloup Ferdinand Hiller, Julius Rietz und Julius Stern an die Seite setzen, d. h. den ersten unter unseren besten. Bei dem Publicum ist er verdientermaßen im höchsten Grade beliebt und jubelnder Empfang, Beifall und Hervorruf belohnen ihn für seine rastlosen Bemühungen. , Was nun die Aufführung betrifft, so ist sie meist eine ganz vorzügliche zu nennen, und wer davon eine Ahnung hat, wie schwer ein französisches Orchester zu leiten ist, auch nur überhaupt Tact hält, wird dem Leiter wie den einzelnen Musikern die größte Anerkennung spenden müssen. Der Klang dieser imposanten Heerschaar ist ein wunderbar schöner; dazu trägt nament¬ lich der mächtige volle Ton des stark besetzten Streichquartetts bei, das nie von den Bläsern verdeckt werden kann; wichtig ist auch, daß alle Geigen immer denselben Strich haben und dadurch eine wirklich bewundernswerthe Einheitlichkeit erreichen. Am besten gelingen diesem Orchester die graciösen und zierlichen Stücke: Haydn'sche Variationen, das Scherzo aus dem Sommer¬ nachtstraum haben wir hier in seltener Vollendung gehört; dann auch einmal die Freischützouvertüre, deren feurig und glänzend, wie im Sturm eroberter Schluß das Publicum zu wahrer Begeisterung hinriß. Weniger befriedigend ist die Wiedergabe Beethoven'scher Symphonien; über falsche Tempi zu strei¬ ten ist eine üble Vorliebe aller Musikkritiker, der wir hier nicht nachgeben wollen, aber es scheint in der That, als ob der zu einem vollständigen Mit¬ empfinden der innersten Erlebnisse des unglücklichen Meisters nothwendige Ernst dem Orchester nicht innewohne. Es spielt das Adagio der neunten Symphonie nicht anders, als etwa ein Ballet von Gounot; die Noten sind da, auch sind alle Vortragszeichen genau, ja scrupulös beobachtet, aber etwas mehr Seele würde die ganze Aufführung erheben und künstlerisch adeln. Es ist uns aber ganz unbegreiflich, wie der so feine und zartfühlende Pasdeloup sich zu musikalischen Sünden verleiten lassen kann, wie z. B. im Scherzo der Eroica, ja in der L-molI Symphonie über die Hälfte der wunderbaren, den Uebergang zum Finale bildenden xp. Stelle zu streichen; wir sind dann nicht mehr vorbereitet auf diesen höchsten Glücks - und Freiheitsjubel, der je einer Menschenseele zu Theil geworden ist; ja wir haben ihn nicht verdient! Es kann doch kein hinreichender Grund sein, daß die Symphonie an letzter Stelle des Programms steht, und das Publicum ungeduldig wird! Dieses Publicum eben war es, das uns manchmal interessanter war als die Aufführung selbst; es scheint uns eines eingehenderen Studiums wohl würdig. Wahrhaftig bewundernswürdig ist es, wenn wir auf das ungeduldige

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120686/374>, abgerufen am 24.07.2024.