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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band.

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gothischen Kathedralen, die Basiliken und Kuppelbauten des Mittelalters und
der Renaissance sind sämmtlich auf den katholischen Cultus berechnet, wel¬
cher mit dem Vorherrschen der Liturgie und des Ceremonials große Räume
brauchen kann; des protestantischen Gottesdienstes Kern aber ist die Predigt,
und für ihn ist daher eine Kirche untauglich, in der das gesprochene Wort
nicht verständlich ist. Die Möglichkeit einer guten Akustik ist das erste
Bedürfniß einer protestantischen Kirche. Wo wir die großen katholischen
Kirchen des Mittelalters überkommen haben, muß man sich eben so gut hel¬
fen als es geht, obwohl es immer einen kümmerlichen und unschönen Ein¬
druck macht, eine Westminsterabtei durch schwere Vorhänge künstlich in ver¬
schiedene Abtheilungen zu scheiden, um das gestaltlose Verfluchen des Schalls
zu hindern. Aber neue Kirchen in kolossalen Maßstab zu bauen, einer evan¬
gelischen Gemeine zuzumuthen, sich in den vielen Schiffen einer gothischen
Kathedrale oder gar unter einer weiten Kuppel, wie in der Peterskirche
Roms zu sammeln, ist ein Widersinn. Die Architektur ist denn doch nicht
wegen der Architekten da, sondern um bestimmten Bedürfnissen zu genügen,
die Grenzen derselben bestimmen auch die des Monuments; was dieselben
augenscheinlich und unzweifelhaft überschreitet, ist nicht blos überflüssig, son¬
dern falsch. Diesen Fundamentalsatz ignoriren sämmtliche Projecte, sie gehen
nur darauf aus, ein kolossales Monument kirchlicher Baukunst hinzustellen
und überlassen den Predigern und der Gemeinde, sich mit der Bedürfnißfrage
abzufinden, von der sie doch ausgehen sollten. -- Dazu kommt noch ein ge¬
wichtiges künstlerisches Bedenken, welches unser trefflicher Kunsthistoriker
Schnaase schon früher betont hat, nämlich daß solche kolossale Bauten ein
Bewußtsein der Höhe kirchlicher Baukunst voraussetzen, das wir nicht besitzen.
Das künstlerische Interesse ist daher, sagt er, ebenso dabei betheiligt, wie das
kirchliche, daß kleinere Kirchen in größerer Zahl, nicht evangelische Dome ge¬
baut werden. An solchen kleineren Kirchen kann die Vorarbeit der Umge¬
staltung der älteren Style zu einem neuen mit geringerer Gefahr und gün¬
stigerer Aussicht gemacht werden, weil hier biegsame Verhältnisse vorhan¬
den sind.

Die großen Kirchen oder Dome können sich bei dem gegenwärtigen Zu¬
stande der Architektur nur an bestehende Vorbilder des katholischen Cultus
anlehnen, werden aber eben deshalb keine evangelischen Gotteshäuser werden.
Das 18. Jahrhundert, welches bei seiner kirchlichen Indifferenz den Kirchen¬
bau ganz vernachlässigte, hat uns viel nachzuholen aufgegeben, aber wir wer¬
den dem Bedürfniß der Gegenwart nur gerecht werden, wenn wir im Sinne
der Decentralisation verfahren, d. h. den einzelnen Gemeinden solche Kirchen
bauen, welche von ihnen gefüllt werden können.

Erwidert man auf diese Einwürfe mit der Frage, was denn in dem ge-


gothischen Kathedralen, die Basiliken und Kuppelbauten des Mittelalters und
der Renaissance sind sämmtlich auf den katholischen Cultus berechnet, wel¬
cher mit dem Vorherrschen der Liturgie und des Ceremonials große Räume
brauchen kann; des protestantischen Gottesdienstes Kern aber ist die Predigt,
und für ihn ist daher eine Kirche untauglich, in der das gesprochene Wort
nicht verständlich ist. Die Möglichkeit einer guten Akustik ist das erste
Bedürfniß einer protestantischen Kirche. Wo wir die großen katholischen
Kirchen des Mittelalters überkommen haben, muß man sich eben so gut hel¬
fen als es geht, obwohl es immer einen kümmerlichen und unschönen Ein¬
druck macht, eine Westminsterabtei durch schwere Vorhänge künstlich in ver¬
schiedene Abtheilungen zu scheiden, um das gestaltlose Verfluchen des Schalls
zu hindern. Aber neue Kirchen in kolossalen Maßstab zu bauen, einer evan¬
gelischen Gemeine zuzumuthen, sich in den vielen Schiffen einer gothischen
Kathedrale oder gar unter einer weiten Kuppel, wie in der Peterskirche
Roms zu sammeln, ist ein Widersinn. Die Architektur ist denn doch nicht
wegen der Architekten da, sondern um bestimmten Bedürfnissen zu genügen,
die Grenzen derselben bestimmen auch die des Monuments; was dieselben
augenscheinlich und unzweifelhaft überschreitet, ist nicht blos überflüssig, son¬
dern falsch. Diesen Fundamentalsatz ignoriren sämmtliche Projecte, sie gehen
nur darauf aus, ein kolossales Monument kirchlicher Baukunst hinzustellen
und überlassen den Predigern und der Gemeinde, sich mit der Bedürfnißfrage
abzufinden, von der sie doch ausgehen sollten. — Dazu kommt noch ein ge¬
wichtiges künstlerisches Bedenken, welches unser trefflicher Kunsthistoriker
Schnaase schon früher betont hat, nämlich daß solche kolossale Bauten ein
Bewußtsein der Höhe kirchlicher Baukunst voraussetzen, das wir nicht besitzen.
Das künstlerische Interesse ist daher, sagt er, ebenso dabei betheiligt, wie das
kirchliche, daß kleinere Kirchen in größerer Zahl, nicht evangelische Dome ge¬
baut werden. An solchen kleineren Kirchen kann die Vorarbeit der Umge¬
staltung der älteren Style zu einem neuen mit geringerer Gefahr und gün¬
stigerer Aussicht gemacht werden, weil hier biegsame Verhältnisse vorhan¬
den sind.

Die großen Kirchen oder Dome können sich bei dem gegenwärtigen Zu¬
stande der Architektur nur an bestehende Vorbilder des katholischen Cultus
anlehnen, werden aber eben deshalb keine evangelischen Gotteshäuser werden.
Das 18. Jahrhundert, welches bei seiner kirchlichen Indifferenz den Kirchen¬
bau ganz vernachlässigte, hat uns viel nachzuholen aufgegeben, aber wir wer¬
den dem Bedürfniß der Gegenwart nur gerecht werden, wenn wir im Sinne
der Decentralisation verfahren, d. h. den einzelnen Gemeinden solche Kirchen
bauen, welche von ihnen gefüllt werden können.

Erwidert man auf diese Einwürfe mit der Frage, was denn in dem ge-


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[0370] gothischen Kathedralen, die Basiliken und Kuppelbauten des Mittelalters und der Renaissance sind sämmtlich auf den katholischen Cultus berechnet, wel¬ cher mit dem Vorherrschen der Liturgie und des Ceremonials große Räume brauchen kann; des protestantischen Gottesdienstes Kern aber ist die Predigt, und für ihn ist daher eine Kirche untauglich, in der das gesprochene Wort nicht verständlich ist. Die Möglichkeit einer guten Akustik ist das erste Bedürfniß einer protestantischen Kirche. Wo wir die großen katholischen Kirchen des Mittelalters überkommen haben, muß man sich eben so gut hel¬ fen als es geht, obwohl es immer einen kümmerlichen und unschönen Ein¬ druck macht, eine Westminsterabtei durch schwere Vorhänge künstlich in ver¬ schiedene Abtheilungen zu scheiden, um das gestaltlose Verfluchen des Schalls zu hindern. Aber neue Kirchen in kolossalen Maßstab zu bauen, einer evan¬ gelischen Gemeine zuzumuthen, sich in den vielen Schiffen einer gothischen Kathedrale oder gar unter einer weiten Kuppel, wie in der Peterskirche Roms zu sammeln, ist ein Widersinn. Die Architektur ist denn doch nicht wegen der Architekten da, sondern um bestimmten Bedürfnissen zu genügen, die Grenzen derselben bestimmen auch die des Monuments; was dieselben augenscheinlich und unzweifelhaft überschreitet, ist nicht blos überflüssig, son¬ dern falsch. Diesen Fundamentalsatz ignoriren sämmtliche Projecte, sie gehen nur darauf aus, ein kolossales Monument kirchlicher Baukunst hinzustellen und überlassen den Predigern und der Gemeinde, sich mit der Bedürfnißfrage abzufinden, von der sie doch ausgehen sollten. — Dazu kommt noch ein ge¬ wichtiges künstlerisches Bedenken, welches unser trefflicher Kunsthistoriker Schnaase schon früher betont hat, nämlich daß solche kolossale Bauten ein Bewußtsein der Höhe kirchlicher Baukunst voraussetzen, das wir nicht besitzen. Das künstlerische Interesse ist daher, sagt er, ebenso dabei betheiligt, wie das kirchliche, daß kleinere Kirchen in größerer Zahl, nicht evangelische Dome ge¬ baut werden. An solchen kleineren Kirchen kann die Vorarbeit der Umge¬ staltung der älteren Style zu einem neuen mit geringerer Gefahr und gün¬ stigerer Aussicht gemacht werden, weil hier biegsame Verhältnisse vorhan¬ den sind. Die großen Kirchen oder Dome können sich bei dem gegenwärtigen Zu¬ stande der Architektur nur an bestehende Vorbilder des katholischen Cultus anlehnen, werden aber eben deshalb keine evangelischen Gotteshäuser werden. Das 18. Jahrhundert, welches bei seiner kirchlichen Indifferenz den Kirchen¬ bau ganz vernachlässigte, hat uns viel nachzuholen aufgegeben, aber wir wer¬ den dem Bedürfniß der Gegenwart nur gerecht werden, wenn wir im Sinne der Decentralisation verfahren, d. h. den einzelnen Gemeinden solche Kirchen bauen, welche von ihnen gefüllt werden können. Erwidert man auf diese Einwürfe mit der Frage, was denn in dem ge-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120686/370>, abgerufen am 24.07.2024.