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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band.

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ist es durch seine Kathedrale Se. Maria nuova. von dem Normannenkönige
Wilhelm II. dem Guten, im Anfange der siebenziger Jahre des zwölften
Jahrhunderts erbaut. Nichts dient so sehr den überlieferten Schulbegriffen eine
heilsame Elasticität zu geben und die Strenge der Classificationen zu mildern,
als der Anblick dieser Kirche, in welcher alle Stilarten in einander spielen,
um schließlich doch ein Ganzes von mächtigster Wirkung hervorzubringen.

Auf dem Rückwege von Monreale besuchten wir -- um das Gegenstück
der neapolitanischen kennen zu lernen -- die berühmten Katakomben des
Kapuzinerklosters. Der Frate führte uns. ohne nach unserem Begehr zu
fragen, sogleich schweigend in die Todtenleiter hinab: lange gewölbte Gänge,
die von ihren Enden her reichliches Oberlicht erhalten und vollkommen
trocken sind. In welche Versammlung tritt man da ein! Nicht nur daß
Särge über Särge, oft mit Glaswänden versehen, rechts und links aufge¬
schichtet sind, sondern an den Wänden stehen dicht gedrängt in langen Reihen,
durch Stricke an der Wand festgehalten, die bleichen mumificirten Körper der
Verstorbenen, meist in ein braunes kuttenartiges Gewand gehüllt. Bei Vielen
tritt der bloße Knochen heraus, bei Vielen aber hat sich die Haut perga¬
mentartig erhalten und das Auge ist geschlossen geblieben. An ihren Kleidern
ist wohl ein Zettel angeheftet, der Namen und Todestag nennt: Männer,
die vor anderthalb Jahren noch frisch und kräftig das Leben genossen, lachten
und scherzten, hängen nun hier mit grinsendem Gesicht, zu dieser jammervoll
dürftigen Gestalt verkümmert. Durch die Reihen von 8000 Todten wandelt
man dahin, der älteste ist aus dem Jahre 1624, wenn ich nicht irre. Die
Abtheilung der Frauen ist von der der Männer abgesondert; sie liegen alle
in Särgen, aber meist durch Glasscheiben sichtbar; die Jungfrauen tragen
eine Krone auf dem Haupte. Kinder sah ich einbalsamirt mit künstlichen
Augen und dieser Anblick des widerwärtigsten Versuchs der Selbsttäuschung
bewegt am meisten.

Ein besonderer Gang enthält die Geistlichen. Da lagert ein Concilium
aus allen Graden, von jedem Lebensalter und sie predigen einmüthig außer
der Vergänglichkeit alles Irdischen noch über einen Text, der ihnen im Leben
verboten war: daß man die kurze Spanne des Lebens nicht liebeleer soll
verstreichen lassen. Denn am Allerseelentgge stehen sie da in trostloser Ein¬
samkeit; höchstens kommt dann und wann ein altes Mütterchen, den armen
Jungen da oben in seiner Priestermütze zu grüßen. Ein paar muntere Katzen
machten sich um die einsamen Priester zu schaffen; ein behagliches Thierchen
sprang über den Schädel eines Canonikus weg, einem armen Capellan auf
die Schulter, beschnupperte seine Nase und schnurrte ihn freundlich an. Er
hing da noch nicht gar lange. Ob Katzen auch zuweilen solche Empfindungen
von Treue haben wie die Hunde? Im Vorübergehen griff der Frate einem


ist es durch seine Kathedrale Se. Maria nuova. von dem Normannenkönige
Wilhelm II. dem Guten, im Anfange der siebenziger Jahre des zwölften
Jahrhunderts erbaut. Nichts dient so sehr den überlieferten Schulbegriffen eine
heilsame Elasticität zu geben und die Strenge der Classificationen zu mildern,
als der Anblick dieser Kirche, in welcher alle Stilarten in einander spielen,
um schließlich doch ein Ganzes von mächtigster Wirkung hervorzubringen.

Auf dem Rückwege von Monreale besuchten wir — um das Gegenstück
der neapolitanischen kennen zu lernen — die berühmten Katakomben des
Kapuzinerklosters. Der Frate führte uns. ohne nach unserem Begehr zu
fragen, sogleich schweigend in die Todtenleiter hinab: lange gewölbte Gänge,
die von ihren Enden her reichliches Oberlicht erhalten und vollkommen
trocken sind. In welche Versammlung tritt man da ein! Nicht nur daß
Särge über Särge, oft mit Glaswänden versehen, rechts und links aufge¬
schichtet sind, sondern an den Wänden stehen dicht gedrängt in langen Reihen,
durch Stricke an der Wand festgehalten, die bleichen mumificirten Körper der
Verstorbenen, meist in ein braunes kuttenartiges Gewand gehüllt. Bei Vielen
tritt der bloße Knochen heraus, bei Vielen aber hat sich die Haut perga¬
mentartig erhalten und das Auge ist geschlossen geblieben. An ihren Kleidern
ist wohl ein Zettel angeheftet, der Namen und Todestag nennt: Männer,
die vor anderthalb Jahren noch frisch und kräftig das Leben genossen, lachten
und scherzten, hängen nun hier mit grinsendem Gesicht, zu dieser jammervoll
dürftigen Gestalt verkümmert. Durch die Reihen von 8000 Todten wandelt
man dahin, der älteste ist aus dem Jahre 1624, wenn ich nicht irre. Die
Abtheilung der Frauen ist von der der Männer abgesondert; sie liegen alle
in Särgen, aber meist durch Glasscheiben sichtbar; die Jungfrauen tragen
eine Krone auf dem Haupte. Kinder sah ich einbalsamirt mit künstlichen
Augen und dieser Anblick des widerwärtigsten Versuchs der Selbsttäuschung
bewegt am meisten.

Ein besonderer Gang enthält die Geistlichen. Da lagert ein Concilium
aus allen Graden, von jedem Lebensalter und sie predigen einmüthig außer
der Vergänglichkeit alles Irdischen noch über einen Text, der ihnen im Leben
verboten war: daß man die kurze Spanne des Lebens nicht liebeleer soll
verstreichen lassen. Denn am Allerseelentgge stehen sie da in trostloser Ein¬
samkeit; höchstens kommt dann und wann ein altes Mütterchen, den armen
Jungen da oben in seiner Priestermütze zu grüßen. Ein paar muntere Katzen
machten sich um die einsamen Priester zu schaffen; ein behagliches Thierchen
sprang über den Schädel eines Canonikus weg, einem armen Capellan auf
die Schulter, beschnupperte seine Nase und schnurrte ihn freundlich an. Er
hing da noch nicht gar lange. Ob Katzen auch zuweilen solche Empfindungen
von Treue haben wie die Hunde? Im Vorübergehen griff der Frate einem


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120686/37>, abgerufen am 24.07.2024.