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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band.

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bini's "Medea" hingewiesen, eine Oper, die in London seit dem Jahre 1864
jährlich zahlreiche Vorstellungen erlebte. Für die Titelrolle hätte das neue
Opernhaus jetzt sogar zwei Repräsentantinnen. Und was hat Marschner
verschuldet, sein "Hans Helling" -- "Templer und Jüdin" --. daß er bei
Seite geschoben ist -- noch immer in Strafe wegen des vorlauten "Ora
pro nobis" ?

Die Eröffnung des neuen, mit Aufopferung von Millionen erbauten
Opernhauses steht in wenig Tagen bevor. Das Gebäude ist in großen Di¬
mensionen ausgeführt; die innere Ausstattung bietet eine wahre Augen¬
pracht. Möge der eigentliche Beruf des Hauses, die Pflege der wahren classi¬
schen Musik nicht unter der Ungunst neuer Verhältnisse allzusehr leiden und
prunkende Schaustücke die edleren, Herz und Gemüth befriedigenden Werke
älterer Meister verdrängen.

An Concerten bot die verflossene Saison eine Fülle von Genüssen.
Wir wenden uns zunächst den Vereinen zu, über deren Entwickelung die
vorjährigen Berichte in kurzen Umrissen bereits das Nöthige gesagt haben.

Die Gesellschaft der Musikfreunde (unter Mitwirkung des aufs
engste mit ihr verbundenen Singvereins) gab diesmal außer den vier ge¬
wöhnlichen Abonnements - noch drei außerordentlich Concerte. Aus ersteren
sind hervorzuheben: Der 42. Psalm von Mendelssohn; Ouvertüre und Vorspiel
zu "König Manfred" von Reinecke; Schumann's 3. Abtheilung zu "Faust's"
Verklärung; Violinconcert L-aur von Seb. Bach (von Hellmesberger gesp.);
Clavierconcert Ls-dur von Beethoven (Frl. Merker)); Hymne "die Nacht"
von Hiller; Beethoven's siebente und Mendelssohn Reformations-Sinfonie.
Reinecke und Heller, welche ihre Werke selbst dirigirten, wurden selbstver¬
ständlich sehr ehrenvoll hier begrüßt. Einen besonders durchgreifenden Erfolg
werden Beide mit dem Vorgeführten wohl selbst nicht beansprucht haben, man
anerkannte durch Beifall Mehr ihre Verdienste überhaupt in dem ihnen angewie¬
senen Wirkungskreis. Die Reformations-Sinfonie wurde hier weit besser auf¬
genommen, als man erwartet hatte. Als Ganzes steht sie anderen größeren
Schöpfungen des Meisters, der sich hier durch die Fesseln einer Gelegenheits-
Composition beengt fühlte, bedeutend nach. -- Einen besonders brillanten
Appendix bildeten diesmal die drei außerordentlichen Concerte, in denen
Bach's "Johannes-Passion" und Liszt's "Legende von der heiligen Elisabeth"
(Text von Roquette) zweimal zur Aufführung kam. Die Aufführung der
Passionsmusik bot einen Hochgenuß für jeden Musikfreund, dem es gegeben
ist, dem Altmeister in seiner tiefernsten Schöpfung zu folgen. Das wunder¬
bare Werk wirkte gleich einem Evangelium auf die Zuhörer. In die Solo-
Partien theilten sich die Damen Magnus und Gindele, die Herren Stock¬
hausen, Walter und Kraus; am Clavier saß Nottebohm; Liszt's "Elisabeth"


Grenzboten II. 186ö. 45

bini's „Medea" hingewiesen, eine Oper, die in London seit dem Jahre 1864
jährlich zahlreiche Vorstellungen erlebte. Für die Titelrolle hätte das neue
Opernhaus jetzt sogar zwei Repräsentantinnen. Und was hat Marschner
verschuldet, sein „Hans Helling" — „Templer und Jüdin" —. daß er bei
Seite geschoben ist — noch immer in Strafe wegen des vorlauten „Ora
pro nobis" ?

Die Eröffnung des neuen, mit Aufopferung von Millionen erbauten
Opernhauses steht in wenig Tagen bevor. Das Gebäude ist in großen Di¬
mensionen ausgeführt; die innere Ausstattung bietet eine wahre Augen¬
pracht. Möge der eigentliche Beruf des Hauses, die Pflege der wahren classi¬
schen Musik nicht unter der Ungunst neuer Verhältnisse allzusehr leiden und
prunkende Schaustücke die edleren, Herz und Gemüth befriedigenden Werke
älterer Meister verdrängen.

An Concerten bot die verflossene Saison eine Fülle von Genüssen.
Wir wenden uns zunächst den Vereinen zu, über deren Entwickelung die
vorjährigen Berichte in kurzen Umrissen bereits das Nöthige gesagt haben.

Die Gesellschaft der Musikfreunde (unter Mitwirkung des aufs
engste mit ihr verbundenen Singvereins) gab diesmal außer den vier ge¬
wöhnlichen Abonnements - noch drei außerordentlich Concerte. Aus ersteren
sind hervorzuheben: Der 42. Psalm von Mendelssohn; Ouvertüre und Vorspiel
zu „König Manfred" von Reinecke; Schumann's 3. Abtheilung zu „Faust's"
Verklärung; Violinconcert L-aur von Seb. Bach (von Hellmesberger gesp.);
Clavierconcert Ls-dur von Beethoven (Frl. Merker)); Hymne „die Nacht"
von Hiller; Beethoven's siebente und Mendelssohn Reformations-Sinfonie.
Reinecke und Heller, welche ihre Werke selbst dirigirten, wurden selbstver¬
ständlich sehr ehrenvoll hier begrüßt. Einen besonders durchgreifenden Erfolg
werden Beide mit dem Vorgeführten wohl selbst nicht beansprucht haben, man
anerkannte durch Beifall Mehr ihre Verdienste überhaupt in dem ihnen angewie¬
senen Wirkungskreis. Die Reformations-Sinfonie wurde hier weit besser auf¬
genommen, als man erwartet hatte. Als Ganzes steht sie anderen größeren
Schöpfungen des Meisters, der sich hier durch die Fesseln einer Gelegenheits-
Composition beengt fühlte, bedeutend nach. — Einen besonders brillanten
Appendix bildeten diesmal die drei außerordentlichen Concerte, in denen
Bach's „Johannes-Passion" und Liszt's „Legende von der heiligen Elisabeth"
(Text von Roquette) zweimal zur Aufführung kam. Die Aufführung der
Passionsmusik bot einen Hochgenuß für jeden Musikfreund, dem es gegeben
ist, dem Altmeister in seiner tiefernsten Schöpfung zu folgen. Das wunder¬
bare Werk wirkte gleich einem Evangelium auf die Zuhörer. In die Solo-
Partien theilten sich die Damen Magnus und Gindele, die Herren Stock¬
hausen, Walter und Kraus; am Clavier saß Nottebohm; Liszt's „Elisabeth"


Grenzboten II. 186ö. 45
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[0361] bini's „Medea" hingewiesen, eine Oper, die in London seit dem Jahre 1864 jährlich zahlreiche Vorstellungen erlebte. Für die Titelrolle hätte das neue Opernhaus jetzt sogar zwei Repräsentantinnen. Und was hat Marschner verschuldet, sein „Hans Helling" — „Templer und Jüdin" —. daß er bei Seite geschoben ist — noch immer in Strafe wegen des vorlauten „Ora pro nobis" ? Die Eröffnung des neuen, mit Aufopferung von Millionen erbauten Opernhauses steht in wenig Tagen bevor. Das Gebäude ist in großen Di¬ mensionen ausgeführt; die innere Ausstattung bietet eine wahre Augen¬ pracht. Möge der eigentliche Beruf des Hauses, die Pflege der wahren classi¬ schen Musik nicht unter der Ungunst neuer Verhältnisse allzusehr leiden und prunkende Schaustücke die edleren, Herz und Gemüth befriedigenden Werke älterer Meister verdrängen. An Concerten bot die verflossene Saison eine Fülle von Genüssen. Wir wenden uns zunächst den Vereinen zu, über deren Entwickelung die vorjährigen Berichte in kurzen Umrissen bereits das Nöthige gesagt haben. Die Gesellschaft der Musikfreunde (unter Mitwirkung des aufs engste mit ihr verbundenen Singvereins) gab diesmal außer den vier ge¬ wöhnlichen Abonnements - noch drei außerordentlich Concerte. Aus ersteren sind hervorzuheben: Der 42. Psalm von Mendelssohn; Ouvertüre und Vorspiel zu „König Manfred" von Reinecke; Schumann's 3. Abtheilung zu „Faust's" Verklärung; Violinconcert L-aur von Seb. Bach (von Hellmesberger gesp.); Clavierconcert Ls-dur von Beethoven (Frl. Merker)); Hymne „die Nacht" von Hiller; Beethoven's siebente und Mendelssohn Reformations-Sinfonie. Reinecke und Heller, welche ihre Werke selbst dirigirten, wurden selbstver¬ ständlich sehr ehrenvoll hier begrüßt. Einen besonders durchgreifenden Erfolg werden Beide mit dem Vorgeführten wohl selbst nicht beansprucht haben, man anerkannte durch Beifall Mehr ihre Verdienste überhaupt in dem ihnen angewie¬ senen Wirkungskreis. Die Reformations-Sinfonie wurde hier weit besser auf¬ genommen, als man erwartet hatte. Als Ganzes steht sie anderen größeren Schöpfungen des Meisters, der sich hier durch die Fesseln einer Gelegenheits- Composition beengt fühlte, bedeutend nach. — Einen besonders brillanten Appendix bildeten diesmal die drei außerordentlichen Concerte, in denen Bach's „Johannes-Passion" und Liszt's „Legende von der heiligen Elisabeth" (Text von Roquette) zweimal zur Aufführung kam. Die Aufführung der Passionsmusik bot einen Hochgenuß für jeden Musikfreund, dem es gegeben ist, dem Altmeister in seiner tiefernsten Schöpfung zu folgen. Das wunder¬ bare Werk wirkte gleich einem Evangelium auf die Zuhörer. In die Solo- Partien theilten sich die Damen Magnus und Gindele, die Herren Stock¬ hausen, Walter und Kraus; am Clavier saß Nottebohm; Liszt's „Elisabeth" Grenzboten II. 186ö. 45

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120686/361>, abgerufen am 24.07.2024.