Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Operntheaters. Thomas, dessen "Sommernacht" im Jahre 1854 hier nicht
übel gefiel, hat mit Mignon einen guten Wurf gethan. Die gewandte
Mache, kecke Vaudeville-Gedanken, dankbarer Rollenzuschnitt werden die
Oper eine Zeit lang erhalten -- in wenig Jahren wird niemand mehr dar¬
nach fragen. Wenigstens gab die Aufführung den Sängern Gelegenheit, sich
in der arg vernachlässigten Spieloper zu üben. Käßmayer's "Landhaus in
Meudon" wurde von der Kritik scharf mitgenommen. Es kann noch von
Glück sagen, daß es trotzdem wenigstens 5 Vorstellungen erlebte. Schade
um einzelnes Gute darin, das für die wenig graziöse und melodisch zu un¬
bedeutende größere Hälfte nicht entschädigen kann. Der Componist, dem man
eine gewisse vis comica nicht absprechen kann, scheint sich mehr mit musika¬
lischen Gelegenheitsspäßen abgegeben zu haben, die im kleinen Kreise wohl
sehr erheiternd wirken, aber sich schlecht mit dem großen Rahmen der Oper
vertragen. Neu in Scene gesetzt wurde die komische Operette "Gute Nacht.
Herr Pantalon" von Grisard. Man glaubte anfangs, die Direction wolle
damit den Versuch machen, dem Ballet wie früher einactige Operetten voran¬
gehen zu lassen. Doch blieb es bei nur zweimaliger Aufführung und zahl¬
reiche allerliebste Werke, eine treffliche Schule für die Spieloper, für Dar¬
steller und Componisten, sind damit auf lange Sicht verwiesen. Um nur
eines zu nennen, wurde Pergolese's "Serva Padrona" gerade vor hundert
Jahren nur in der verballhornisirten Verdeutschung des damaligen Hans¬
wurst Bernardon (Kurz) in Wien aufgeführt -- ein Werk, das noch heute
die Pariser entzückt. -- Aber auch die große Spieloper scheint auf dem Aus¬
sterbeetat zu stehen. Ander, der seit Jahren nur durch die "Stumme" ver¬
treten ist (auch seine "Ballnacht" ist durch die Verdi'sche verdrängt) verdient
wohl, zuweilen durch seinen "Maurer und Schlosser", "Fra Diavolo",
"schwarze Domino" vorgeführt zu werden. Boieldieu, dessen "weiße Frau" in
den 50er Jahren noch häufig gegeben wurde, scheint ebenfalls vergessen. Sein
"Johann von Paris", "Rothkäppchen", "Kirchgang im benachbarten Dorfe"
würden gern gehört werden. Am übelsten kommt Rossini mit seinem "Barbier
von Sevilla" weg. denn seit Jahren mangeln der Oper die nöthigen Kräfte zur
Aufführung dieses unverwüstlichen Meisterwerks. -- Um auf die große Oper
überzugehen, muß vor Allem das Ueberhandnehmen der Opern von Meyer¬
beer und Verdi als bedenkliches Zeichen hingenommen werden. Erstere
namentlich werden noch immer zu Zugopern gestempelt, und obwohl auch
Mozart's Opern ein volles Haus finden, ist dennoch das Verhältniß der
Aufführungen von Meyerbeer, Verdi und Mozart gleich 45 -- 24 -- 12!
Und dazu Gluck mit 2 Abenden! Leipzig hat jüngst die Wiener Oper be¬
schämt, indem es "Idomeneo" aufführte, eine Oper, die der Wiener nur aus
den Noten kennt. -- Schon einmal haben diese Blätter auch auf Eher"'


Operntheaters. Thomas, dessen „Sommernacht" im Jahre 1854 hier nicht
übel gefiel, hat mit Mignon einen guten Wurf gethan. Die gewandte
Mache, kecke Vaudeville-Gedanken, dankbarer Rollenzuschnitt werden die
Oper eine Zeit lang erhalten — in wenig Jahren wird niemand mehr dar¬
nach fragen. Wenigstens gab die Aufführung den Sängern Gelegenheit, sich
in der arg vernachlässigten Spieloper zu üben. Käßmayer's „Landhaus in
Meudon" wurde von der Kritik scharf mitgenommen. Es kann noch von
Glück sagen, daß es trotzdem wenigstens 5 Vorstellungen erlebte. Schade
um einzelnes Gute darin, das für die wenig graziöse und melodisch zu un¬
bedeutende größere Hälfte nicht entschädigen kann. Der Componist, dem man
eine gewisse vis comica nicht absprechen kann, scheint sich mehr mit musika¬
lischen Gelegenheitsspäßen abgegeben zu haben, die im kleinen Kreise wohl
sehr erheiternd wirken, aber sich schlecht mit dem großen Rahmen der Oper
vertragen. Neu in Scene gesetzt wurde die komische Operette „Gute Nacht.
Herr Pantalon" von Grisard. Man glaubte anfangs, die Direction wolle
damit den Versuch machen, dem Ballet wie früher einactige Operetten voran¬
gehen zu lassen. Doch blieb es bei nur zweimaliger Aufführung und zahl¬
reiche allerliebste Werke, eine treffliche Schule für die Spieloper, für Dar¬
steller und Componisten, sind damit auf lange Sicht verwiesen. Um nur
eines zu nennen, wurde Pergolese's „Serva Padrona" gerade vor hundert
Jahren nur in der verballhornisirten Verdeutschung des damaligen Hans¬
wurst Bernardon (Kurz) in Wien aufgeführt — ein Werk, das noch heute
die Pariser entzückt. — Aber auch die große Spieloper scheint auf dem Aus¬
sterbeetat zu stehen. Ander, der seit Jahren nur durch die „Stumme" ver¬
treten ist (auch seine „Ballnacht" ist durch die Verdi'sche verdrängt) verdient
wohl, zuweilen durch seinen „Maurer und Schlosser", „Fra Diavolo",
„schwarze Domino" vorgeführt zu werden. Boieldieu, dessen „weiße Frau" in
den 50er Jahren noch häufig gegeben wurde, scheint ebenfalls vergessen. Sein
„Johann von Paris", „Rothkäppchen", „Kirchgang im benachbarten Dorfe"
würden gern gehört werden. Am übelsten kommt Rossini mit seinem „Barbier
von Sevilla" weg. denn seit Jahren mangeln der Oper die nöthigen Kräfte zur
Aufführung dieses unverwüstlichen Meisterwerks. — Um auf die große Oper
überzugehen, muß vor Allem das Ueberhandnehmen der Opern von Meyer¬
beer und Verdi als bedenkliches Zeichen hingenommen werden. Erstere
namentlich werden noch immer zu Zugopern gestempelt, und obwohl auch
Mozart's Opern ein volles Haus finden, ist dennoch das Verhältniß der
Aufführungen von Meyerbeer, Verdi und Mozart gleich 45 — 24 — 12!
Und dazu Gluck mit 2 Abenden! Leipzig hat jüngst die Wiener Oper be¬
schämt, indem es „Idomeneo" aufführte, eine Oper, die der Wiener nur aus
den Noten kennt. — Schon einmal haben diese Blätter auch auf Eher»'


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0360" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/121047"/>
          <p xml:id="ID_1099" prev="#ID_1098" next="#ID_1100"> Operntheaters.  Thomas, dessen &#x201E;Sommernacht" im Jahre 1854 hier nicht<lb/>
übel gefiel, hat mit Mignon einen guten Wurf gethan.  Die gewandte<lb/>
Mache, kecke Vaudeville-Gedanken, dankbarer Rollenzuschnitt werden die<lb/>
Oper eine Zeit lang erhalten &#x2014; in wenig Jahren wird niemand mehr dar¬<lb/>
nach fragen.  Wenigstens gab die Aufführung den Sängern Gelegenheit, sich<lb/>
in der arg vernachlässigten Spieloper zu üben.  Käßmayer's &#x201E;Landhaus in<lb/>
Meudon" wurde von der Kritik scharf mitgenommen.  Es kann noch von<lb/>
Glück sagen, daß es trotzdem wenigstens 5 Vorstellungen erlebte. Schade<lb/>
um einzelnes Gute darin, das für die wenig graziöse und melodisch zu un¬<lb/>
bedeutende größere Hälfte nicht entschädigen kann.  Der Componist, dem man<lb/>
eine gewisse vis comica nicht absprechen kann, scheint sich mehr mit musika¬<lb/>
lischen Gelegenheitsspäßen abgegeben zu haben, die im kleinen Kreise wohl<lb/>
sehr erheiternd wirken, aber sich schlecht mit dem großen Rahmen der Oper<lb/>
vertragen.  Neu in Scene gesetzt wurde die komische Operette &#x201E;Gute Nacht.<lb/>
Herr Pantalon" von Grisard.  Man glaubte anfangs, die Direction wolle<lb/>
damit den Versuch machen, dem Ballet wie früher einactige Operetten voran¬<lb/>
gehen zu lassen.  Doch blieb es bei nur zweimaliger Aufführung und zahl¬<lb/>
reiche allerliebste Werke, eine treffliche Schule für die Spieloper, für Dar¬<lb/>
steller und Componisten, sind damit auf lange Sicht verwiesen.  Um nur<lb/>
eines zu nennen, wurde Pergolese's &#x201E;Serva Padrona" gerade vor hundert<lb/>
Jahren nur in der verballhornisirten Verdeutschung des damaligen Hans¬<lb/>
wurst Bernardon (Kurz) in Wien aufgeführt &#x2014; ein Werk, das noch heute<lb/>
die Pariser entzückt. &#x2014; Aber auch die große Spieloper scheint auf dem Aus¬<lb/>
sterbeetat zu stehen.  Ander, der seit Jahren nur durch die &#x201E;Stumme" ver¬<lb/>
treten ist (auch seine &#x201E;Ballnacht" ist durch die Verdi'sche verdrängt) verdient<lb/>
wohl, zuweilen durch seinen &#x201E;Maurer und Schlosser", &#x201E;Fra Diavolo",<lb/>
&#x201E;schwarze Domino" vorgeführt zu werden.  Boieldieu, dessen &#x201E;weiße Frau" in<lb/>
den 50er Jahren noch häufig gegeben wurde, scheint ebenfalls vergessen. Sein<lb/>
&#x201E;Johann von Paris", &#x201E;Rothkäppchen", &#x201E;Kirchgang im benachbarten Dorfe"<lb/>
würden gern gehört werden. Am übelsten kommt Rossini mit seinem &#x201E;Barbier<lb/>
von Sevilla" weg. denn seit Jahren mangeln der Oper die nöthigen Kräfte zur<lb/>
Aufführung dieses unverwüstlichen Meisterwerks. &#x2014; Um auf die große Oper<lb/>
überzugehen, muß vor Allem das Ueberhandnehmen der Opern von Meyer¬<lb/>
beer und Verdi als bedenkliches Zeichen hingenommen werden. Erstere<lb/>
namentlich werden noch immer zu Zugopern gestempelt, und obwohl auch<lb/>
Mozart's Opern ein volles Haus finden, ist dennoch das Verhältniß der<lb/>
Aufführungen von Meyerbeer, Verdi und Mozart gleich 45 &#x2014; 24 &#x2014; 12!<lb/>
Und dazu Gluck mit 2 Abenden!  Leipzig hat jüngst die Wiener Oper be¬<lb/>
schämt, indem es &#x201E;Idomeneo" aufführte, eine Oper, die der Wiener nur aus<lb/>
den Noten kennt. &#x2014; Schon einmal haben diese Blätter auch auf Eher»'</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0360] Operntheaters. Thomas, dessen „Sommernacht" im Jahre 1854 hier nicht übel gefiel, hat mit Mignon einen guten Wurf gethan. Die gewandte Mache, kecke Vaudeville-Gedanken, dankbarer Rollenzuschnitt werden die Oper eine Zeit lang erhalten — in wenig Jahren wird niemand mehr dar¬ nach fragen. Wenigstens gab die Aufführung den Sängern Gelegenheit, sich in der arg vernachlässigten Spieloper zu üben. Käßmayer's „Landhaus in Meudon" wurde von der Kritik scharf mitgenommen. Es kann noch von Glück sagen, daß es trotzdem wenigstens 5 Vorstellungen erlebte. Schade um einzelnes Gute darin, das für die wenig graziöse und melodisch zu un¬ bedeutende größere Hälfte nicht entschädigen kann. Der Componist, dem man eine gewisse vis comica nicht absprechen kann, scheint sich mehr mit musika¬ lischen Gelegenheitsspäßen abgegeben zu haben, die im kleinen Kreise wohl sehr erheiternd wirken, aber sich schlecht mit dem großen Rahmen der Oper vertragen. Neu in Scene gesetzt wurde die komische Operette „Gute Nacht. Herr Pantalon" von Grisard. Man glaubte anfangs, die Direction wolle damit den Versuch machen, dem Ballet wie früher einactige Operetten voran¬ gehen zu lassen. Doch blieb es bei nur zweimaliger Aufführung und zahl¬ reiche allerliebste Werke, eine treffliche Schule für die Spieloper, für Dar¬ steller und Componisten, sind damit auf lange Sicht verwiesen. Um nur eines zu nennen, wurde Pergolese's „Serva Padrona" gerade vor hundert Jahren nur in der verballhornisirten Verdeutschung des damaligen Hans¬ wurst Bernardon (Kurz) in Wien aufgeführt — ein Werk, das noch heute die Pariser entzückt. — Aber auch die große Spieloper scheint auf dem Aus¬ sterbeetat zu stehen. Ander, der seit Jahren nur durch die „Stumme" ver¬ treten ist (auch seine „Ballnacht" ist durch die Verdi'sche verdrängt) verdient wohl, zuweilen durch seinen „Maurer und Schlosser", „Fra Diavolo", „schwarze Domino" vorgeführt zu werden. Boieldieu, dessen „weiße Frau" in den 50er Jahren noch häufig gegeben wurde, scheint ebenfalls vergessen. Sein „Johann von Paris", „Rothkäppchen", „Kirchgang im benachbarten Dorfe" würden gern gehört werden. Am übelsten kommt Rossini mit seinem „Barbier von Sevilla" weg. denn seit Jahren mangeln der Oper die nöthigen Kräfte zur Aufführung dieses unverwüstlichen Meisterwerks. — Um auf die große Oper überzugehen, muß vor Allem das Ueberhandnehmen der Opern von Meyer¬ beer und Verdi als bedenkliches Zeichen hingenommen werden. Erstere namentlich werden noch immer zu Zugopern gestempelt, und obwohl auch Mozart's Opern ein volles Haus finden, ist dennoch das Verhältniß der Aufführungen von Meyerbeer, Verdi und Mozart gleich 45 — 24 — 12! Und dazu Gluck mit 2 Abenden! Leipzig hat jüngst die Wiener Oper be¬ schämt, indem es „Idomeneo" aufführte, eine Oper, die der Wiener nur aus den Noten kennt. — Schon einmal haben diese Blätter auch auf Eher»'

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120686
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120686/360
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120686/360>, abgerufen am 24.07.2024.