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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band.

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Anforderungen sind in theoretischer wie praktischer Hinsicht viel größer als
an Capitaine der Handelsmarine, welche vor jenem nur eine größere Kenntniß
der commerciellen Verhältnisse voraus haben. Der Seeofficier muß ebenso
wie der Kauffahrteicapitain die Berechnungen für Führung des Schiffs und
die Leitung der Manöver des Schiffs versteh", bei der größeren Schnellig.
keit derselben aber und bei der viel größeren Anzahl Leute mehr Uebersicht
entwickeln. Er muß, weil er nicht blos Seemann, sondern auch Militair ist,
die Handhabung der Disciplin in ganz anderer Weise verstehen; er muß ein
competentes Urtheil über die Artillerie des Schiffes besitzen, um Verwendung,
Vorzüge, Mängel und etwaige Aenderungsvorschläge richtig zu bestimmen;
er muß in der Seetactik wohl bewandert sein, die bei Handelsschiffen über¬
haupt nicht in Frage kommt, muß eine genügende mathematische und physi¬
kalische Bildung besitzen, um meteorologische Beobachtungen zu machen, Pei¬
lungen und hydrographische Aufnahmen vorzunehmen und durch seine See¬
karten den Kriegs- wie den Handelsschiffen die Wege zu zeigen; und endlich
muß seine allgemeine Bildung auf solcher Höhe stehen, daß er als Vertreter
seiner Regierung auch in politischen oder diplomatischen Fragen im Aus¬
lande aufzutreten befähigt ist, wie ja auch die Handhabung der Seepolizei
den Kriegsschiffscommandanten obliegt. Es soll in Wissenschaft wie in ge¬
sellschaftlicher Beziehung Lehrer und Vorbild der Cadetten und seiner anderen
Untergebenen sein, wie der Hauptmann des Landheeres Vater und Erzieher
seiner Compagnie ist; denn Seeofficiere commandiren die Deckosficierschule,
die Cadetten- und Jungenschiffe, die Marineschule wie die Flottenstamm-und
die Werftdivision, und fungiren als Lehrer an jenen Schulen, wie an Bord
beim wissenschaftlichen Unterricht der Cadetten. Man sieht, die Anforderungen
sind nicht gering, und es ist nicht ohne Grund, wenn neuerdings auf eine
tüchtige Vorbildung zum Seeofficier großes Gewicht gelegt wird. Man kann
dies thun, da gerade der Andrang gebildeter junger Leute groß genug ist.
Allerdings geben Examina an sich keinen Maßstab für die wirkliche Be¬
fähigung: aber sie geben doch die Garantie, daß ein gewisses Minimum
von Befähigung und Kenntnissen vorhanden ist. Der Andrang aber ist so
übermäßig, daß vor einigen Jahren von 80 sich Meldenden nur 10 als
Cadetten angenommen werden konnten: später wurde dieser Satz sehr ver¬
mehrt, und in einem Jahre 50, im nächsten sogar 90 Cadetten eingestellt.

Die Deckung des Kriegsbedarfs an Mannschaften erfolgte vor der
norddeutschen Bundesverfassung durch Einziehung der sogenannten "See¬
dienstpflichtigen". Früher waren auf Grund einer Bestimmung des
altpreußischen Cantonreglements von 1735, die sich durch alle Wandlungen
der Wehrverfassung erhalten hatte, diejenigen Matrosen von der Ableistung
der Wehrpflicht befreit, welche bis zu ihrem 20. Lebensjahr ein Jahr auf


Anforderungen sind in theoretischer wie praktischer Hinsicht viel größer als
an Capitaine der Handelsmarine, welche vor jenem nur eine größere Kenntniß
der commerciellen Verhältnisse voraus haben. Der Seeofficier muß ebenso
wie der Kauffahrteicapitain die Berechnungen für Führung des Schiffs und
die Leitung der Manöver des Schiffs versteh«, bei der größeren Schnellig.
keit derselben aber und bei der viel größeren Anzahl Leute mehr Uebersicht
entwickeln. Er muß, weil er nicht blos Seemann, sondern auch Militair ist,
die Handhabung der Disciplin in ganz anderer Weise verstehen; er muß ein
competentes Urtheil über die Artillerie des Schiffes besitzen, um Verwendung,
Vorzüge, Mängel und etwaige Aenderungsvorschläge richtig zu bestimmen;
er muß in der Seetactik wohl bewandert sein, die bei Handelsschiffen über¬
haupt nicht in Frage kommt, muß eine genügende mathematische und physi¬
kalische Bildung besitzen, um meteorologische Beobachtungen zu machen, Pei¬
lungen und hydrographische Aufnahmen vorzunehmen und durch seine See¬
karten den Kriegs- wie den Handelsschiffen die Wege zu zeigen; und endlich
muß seine allgemeine Bildung auf solcher Höhe stehen, daß er als Vertreter
seiner Regierung auch in politischen oder diplomatischen Fragen im Aus¬
lande aufzutreten befähigt ist, wie ja auch die Handhabung der Seepolizei
den Kriegsschiffscommandanten obliegt. Es soll in Wissenschaft wie in ge¬
sellschaftlicher Beziehung Lehrer und Vorbild der Cadetten und seiner anderen
Untergebenen sein, wie der Hauptmann des Landheeres Vater und Erzieher
seiner Compagnie ist; denn Seeofficiere commandiren die Deckosficierschule,
die Cadetten- und Jungenschiffe, die Marineschule wie die Flottenstamm-und
die Werftdivision, und fungiren als Lehrer an jenen Schulen, wie an Bord
beim wissenschaftlichen Unterricht der Cadetten. Man sieht, die Anforderungen
sind nicht gering, und es ist nicht ohne Grund, wenn neuerdings auf eine
tüchtige Vorbildung zum Seeofficier großes Gewicht gelegt wird. Man kann
dies thun, da gerade der Andrang gebildeter junger Leute groß genug ist.
Allerdings geben Examina an sich keinen Maßstab für die wirkliche Be¬
fähigung: aber sie geben doch die Garantie, daß ein gewisses Minimum
von Befähigung und Kenntnissen vorhanden ist. Der Andrang aber ist so
übermäßig, daß vor einigen Jahren von 80 sich Meldenden nur 10 als
Cadetten angenommen werden konnten: später wurde dieser Satz sehr ver¬
mehrt, und in einem Jahre 50, im nächsten sogar 90 Cadetten eingestellt.

Die Deckung des Kriegsbedarfs an Mannschaften erfolgte vor der
norddeutschen Bundesverfassung durch Einziehung der sogenannten „See¬
dienstpflichtigen". Früher waren auf Grund einer Bestimmung des
altpreußischen Cantonreglements von 1735, die sich durch alle Wandlungen
der Wehrverfassung erhalten hatte, diejenigen Matrosen von der Ableistung
der Wehrpflicht befreit, welche bis zu ihrem 20. Lebensjahr ein Jahr auf


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120686/351>, abgerufen am 24.07.2024.