Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

waltungsstellen vorzuziehen wäre. Die norddeutsche Marine ist indessen vor¬
läufig noch nicht in der Lage, auf derartige Verwendungen überzähliger Offi-
ciere denken zu müssen, da sie noch gar nicht den nöthigen Bestand an Offi-
cieren besitzt. Auch hat sie die Classe der Seewehrofficiere. durch deren
Schaffung früheren Anträgen des Abgeordnetenhauses wegen Ausbildung der
freiwillig sich meldenden Steuerleute aus der Handelsmarine Rechnung ge¬
tragen ist.

Die Vorbildung der wirklichen Seeofficiere hat durch königliche Ver¬
ordnung vom 16. Juni 1864 eine bedeutende und durchaus zweckmäßige
Veränderung erfahren. Früher existirte nach dem Muster fremder Flotten
ein Seecadetteninstitut in Berlin, welches die Zöglinge in sehr jugendlichem
Alter (13--14 Jahre) aufnahm, weil man nur diesen Jahren die nöthige
Biegsamkeit zutraute, um an die neuen Verhältnisse der See sich zu gewöhnen.
Die Praxis zeigte jedoch, daß diese jungen Leute auf der Schule des Binnen¬
landes nicht die erforderliche praktische Uebung erhielten, daß sie nachher an
Bord kommend es den Erwachsenen in jeder Beziehung gleich thun wollten,
und sich oft Vergnügungen Hingaben, denen ihr Alter nicht gewachsen war,
und daß sie außerdem in so jugendlichem Alter nicht die nöthige Reife be¬
saßen, um den sehr selbständigen Matrosen mit Erfolg als Vorgesetzte gegen¬
überzutreten. Man hat sich überzeugt, daß der Jüngling im Alter von
17 Jahren viel schneller das Nöthige erlernt, als der unreife Knabe; daß
ferner für die nothwendige wissenschaftliche Ausbildung des Seeossiciers eine
längere allgemeine Schulvorbildung am Lande von den ersprießlichsten Folgen
ist, namentlich einen festen wissenschaftlichen Fond gibt, wie ihn die frühe¬
ren Cadetten nicht besitzen konnten, und daß endlich das früher so schwierige
und unangenehme Verhältniß der Cadetten zu den Matrosen, welche sich ni>er
die "während der ganzen Reise seekrank unter Deck liegenden Vorgesetzten"
moquirten, bei höherem Alter günstiger wird. Demgemäß hat man das
Cadetteninstitut glücklicherweise aufgehoben und die Ausbildung der Ofsiciers-
aspiranten, welche den englischen wiZsKixiuM entsprechen, folgendermaßen
geregelt.

Der Aspirant muß mit dem Zeugniß der Reife der Obersecunda An¬
fangs April sich auf der Marineschule in Kiel melden, und dort ein Examen
bestehen, dann wird er zunächst am Lande vorgeschult und darauf, von Mitte
Mai ab durch Seeofficiere als Lehrer theoretisch und praktisch auf dem Ca-
dettenschiff (jetzt "Niobe") ausgebildet, welches im Sommer in Nord- und
Ostsee, im Winter in südlichen Gewässern (Mittelmeer, Westindien) kreuzt,
und von dessen Takelage der kleinste, der Kreuznaht, ausschließlich von Ca¬
detten bedient wird. (Die "Cadetten" sind nicht Zöglinge wie bei der Land¬
armee, sondern, wie die sogenannten "Avantageurs" der letzteren, wirkliche


waltungsstellen vorzuziehen wäre. Die norddeutsche Marine ist indessen vor¬
läufig noch nicht in der Lage, auf derartige Verwendungen überzähliger Offi-
ciere denken zu müssen, da sie noch gar nicht den nöthigen Bestand an Offi-
cieren besitzt. Auch hat sie die Classe der Seewehrofficiere. durch deren
Schaffung früheren Anträgen des Abgeordnetenhauses wegen Ausbildung der
freiwillig sich meldenden Steuerleute aus der Handelsmarine Rechnung ge¬
tragen ist.

Die Vorbildung der wirklichen Seeofficiere hat durch königliche Ver¬
ordnung vom 16. Juni 1864 eine bedeutende und durchaus zweckmäßige
Veränderung erfahren. Früher existirte nach dem Muster fremder Flotten
ein Seecadetteninstitut in Berlin, welches die Zöglinge in sehr jugendlichem
Alter (13—14 Jahre) aufnahm, weil man nur diesen Jahren die nöthige
Biegsamkeit zutraute, um an die neuen Verhältnisse der See sich zu gewöhnen.
Die Praxis zeigte jedoch, daß diese jungen Leute auf der Schule des Binnen¬
landes nicht die erforderliche praktische Uebung erhielten, daß sie nachher an
Bord kommend es den Erwachsenen in jeder Beziehung gleich thun wollten,
und sich oft Vergnügungen Hingaben, denen ihr Alter nicht gewachsen war,
und daß sie außerdem in so jugendlichem Alter nicht die nöthige Reife be¬
saßen, um den sehr selbständigen Matrosen mit Erfolg als Vorgesetzte gegen¬
überzutreten. Man hat sich überzeugt, daß der Jüngling im Alter von
17 Jahren viel schneller das Nöthige erlernt, als der unreife Knabe; daß
ferner für die nothwendige wissenschaftliche Ausbildung des Seeossiciers eine
längere allgemeine Schulvorbildung am Lande von den ersprießlichsten Folgen
ist, namentlich einen festen wissenschaftlichen Fond gibt, wie ihn die frühe¬
ren Cadetten nicht besitzen konnten, und daß endlich das früher so schwierige
und unangenehme Verhältniß der Cadetten zu den Matrosen, welche sich ni>er
die „während der ganzen Reise seekrank unter Deck liegenden Vorgesetzten"
moquirten, bei höherem Alter günstiger wird. Demgemäß hat man das
Cadetteninstitut glücklicherweise aufgehoben und die Ausbildung der Ofsiciers-
aspiranten, welche den englischen wiZsKixiuM entsprechen, folgendermaßen
geregelt.

Der Aspirant muß mit dem Zeugniß der Reife der Obersecunda An¬
fangs April sich auf der Marineschule in Kiel melden, und dort ein Examen
bestehen, dann wird er zunächst am Lande vorgeschult und darauf, von Mitte
Mai ab durch Seeofficiere als Lehrer theoretisch und praktisch auf dem Ca-
dettenschiff (jetzt „Niobe") ausgebildet, welches im Sommer in Nord- und
Ostsee, im Winter in südlichen Gewässern (Mittelmeer, Westindien) kreuzt,
und von dessen Takelage der kleinste, der Kreuznaht, ausschließlich von Ca¬
detten bedient wird. (Die „Cadetten" sind nicht Zöglinge wie bei der Land¬
armee, sondern, wie die sogenannten „Avantageurs" der letzteren, wirkliche


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0348" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/121035"/>
            <p xml:id="ID_1072" prev="#ID_1071"> waltungsstellen vorzuziehen wäre. Die norddeutsche Marine ist indessen vor¬<lb/>
läufig noch nicht in der Lage, auf derartige Verwendungen überzähliger Offi-<lb/>
ciere denken zu müssen, da sie noch gar nicht den nöthigen Bestand an Offi-<lb/>
cieren besitzt. Auch hat sie die Classe der Seewehrofficiere. durch deren<lb/>
Schaffung früheren Anträgen des Abgeordnetenhauses wegen Ausbildung der<lb/>
freiwillig sich meldenden Steuerleute aus der Handelsmarine Rechnung ge¬<lb/>
tragen ist.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1073"> Die Vorbildung der wirklichen Seeofficiere hat durch königliche Ver¬<lb/>
ordnung vom 16. Juni 1864 eine bedeutende und durchaus zweckmäßige<lb/>
Veränderung erfahren. Früher existirte nach dem Muster fremder Flotten<lb/>
ein Seecadetteninstitut in Berlin, welches die Zöglinge in sehr jugendlichem<lb/>
Alter (13&#x2014;14 Jahre) aufnahm, weil man nur diesen Jahren die nöthige<lb/>
Biegsamkeit zutraute, um an die neuen Verhältnisse der See sich zu gewöhnen.<lb/>
Die Praxis zeigte jedoch, daß diese jungen Leute auf der Schule des Binnen¬<lb/>
landes nicht die erforderliche praktische Uebung erhielten, daß sie nachher an<lb/>
Bord kommend es den Erwachsenen in jeder Beziehung gleich thun wollten,<lb/>
und sich oft Vergnügungen Hingaben, denen ihr Alter nicht gewachsen war,<lb/>
und daß sie außerdem in so jugendlichem Alter nicht die nöthige Reife be¬<lb/>
saßen, um den sehr selbständigen Matrosen mit Erfolg als Vorgesetzte gegen¬<lb/>
überzutreten. Man hat sich überzeugt, daß der Jüngling im Alter von<lb/>
17 Jahren viel schneller das Nöthige erlernt, als der unreife Knabe; daß<lb/>
ferner für die nothwendige wissenschaftliche Ausbildung des Seeossiciers eine<lb/>
längere allgemeine Schulvorbildung am Lande von den ersprießlichsten Folgen<lb/>
ist, namentlich einen festen wissenschaftlichen Fond gibt, wie ihn die frühe¬<lb/>
ren Cadetten nicht besitzen konnten, und daß endlich das früher so schwierige<lb/>
und unangenehme Verhältniß der Cadetten zu den Matrosen, welche sich ni&gt;er<lb/>
die &#x201E;während der ganzen Reise seekrank unter Deck liegenden Vorgesetzten"<lb/>
moquirten, bei höherem Alter günstiger wird. Demgemäß hat man das<lb/>
Cadetteninstitut glücklicherweise aufgehoben und die Ausbildung der Ofsiciers-<lb/>
aspiranten, welche den englischen wiZsKixiuM entsprechen, folgendermaßen<lb/>
geregelt.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1074" next="#ID_1075"> Der Aspirant muß mit dem Zeugniß der Reife der Obersecunda An¬<lb/>
fangs April sich auf der Marineschule in Kiel melden, und dort ein Examen<lb/>
bestehen, dann wird er zunächst am Lande vorgeschult und darauf, von Mitte<lb/>
Mai ab durch Seeofficiere als Lehrer theoretisch und praktisch auf dem Ca-<lb/>
dettenschiff (jetzt &#x201E;Niobe") ausgebildet, welches im Sommer in Nord- und<lb/>
Ostsee, im Winter in südlichen Gewässern (Mittelmeer, Westindien) kreuzt,<lb/>
und von dessen Takelage der kleinste, der Kreuznaht, ausschließlich von Ca¬<lb/>
detten bedient wird. (Die &#x201E;Cadetten" sind nicht Zöglinge wie bei der Land¬<lb/>
armee, sondern, wie die sogenannten &#x201E;Avantageurs" der letzteren, wirkliche</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0348] waltungsstellen vorzuziehen wäre. Die norddeutsche Marine ist indessen vor¬ läufig noch nicht in der Lage, auf derartige Verwendungen überzähliger Offi- ciere denken zu müssen, da sie noch gar nicht den nöthigen Bestand an Offi- cieren besitzt. Auch hat sie die Classe der Seewehrofficiere. durch deren Schaffung früheren Anträgen des Abgeordnetenhauses wegen Ausbildung der freiwillig sich meldenden Steuerleute aus der Handelsmarine Rechnung ge¬ tragen ist. Die Vorbildung der wirklichen Seeofficiere hat durch königliche Ver¬ ordnung vom 16. Juni 1864 eine bedeutende und durchaus zweckmäßige Veränderung erfahren. Früher existirte nach dem Muster fremder Flotten ein Seecadetteninstitut in Berlin, welches die Zöglinge in sehr jugendlichem Alter (13—14 Jahre) aufnahm, weil man nur diesen Jahren die nöthige Biegsamkeit zutraute, um an die neuen Verhältnisse der See sich zu gewöhnen. Die Praxis zeigte jedoch, daß diese jungen Leute auf der Schule des Binnen¬ landes nicht die erforderliche praktische Uebung erhielten, daß sie nachher an Bord kommend es den Erwachsenen in jeder Beziehung gleich thun wollten, und sich oft Vergnügungen Hingaben, denen ihr Alter nicht gewachsen war, und daß sie außerdem in so jugendlichem Alter nicht die nöthige Reife be¬ saßen, um den sehr selbständigen Matrosen mit Erfolg als Vorgesetzte gegen¬ überzutreten. Man hat sich überzeugt, daß der Jüngling im Alter von 17 Jahren viel schneller das Nöthige erlernt, als der unreife Knabe; daß ferner für die nothwendige wissenschaftliche Ausbildung des Seeossiciers eine längere allgemeine Schulvorbildung am Lande von den ersprießlichsten Folgen ist, namentlich einen festen wissenschaftlichen Fond gibt, wie ihn die frühe¬ ren Cadetten nicht besitzen konnten, und daß endlich das früher so schwierige und unangenehme Verhältniß der Cadetten zu den Matrosen, welche sich ni>er die „während der ganzen Reise seekrank unter Deck liegenden Vorgesetzten" moquirten, bei höherem Alter günstiger wird. Demgemäß hat man das Cadetteninstitut glücklicherweise aufgehoben und die Ausbildung der Ofsiciers- aspiranten, welche den englischen wiZsKixiuM entsprechen, folgendermaßen geregelt. Der Aspirant muß mit dem Zeugniß der Reife der Obersecunda An¬ fangs April sich auf der Marineschule in Kiel melden, und dort ein Examen bestehen, dann wird er zunächst am Lande vorgeschult und darauf, von Mitte Mai ab durch Seeofficiere als Lehrer theoretisch und praktisch auf dem Ca- dettenschiff (jetzt „Niobe") ausgebildet, welches im Sommer in Nord- und Ostsee, im Winter in südlichen Gewässern (Mittelmeer, Westindien) kreuzt, und von dessen Takelage der kleinste, der Kreuznaht, ausschließlich von Ca¬ detten bedient wird. (Die „Cadetten" sind nicht Zöglinge wie bei der Land¬ armee, sondern, wie die sogenannten „Avantageurs" der letzteren, wirkliche

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120686
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120686/348
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120686/348>, abgerufen am 04.07.2024.