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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band.

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bei uns.jetzt Fürsten und Häupter alter Land-Gentry, welche unsolide Geld¬
geschäfte protegiren, den Unternehmergewinn einziehen und die Actionaire
durch ihren Namen verlocken; die Rothschilde sind beinahe auf das Niveau
altfränkischer Geschäftsleute zurückgedrängt und angesehene jüdische Firmen
unserer Hauptstädte gehören zu den ehrbarsten Gegnern des modernen Actien-
schwindels. In unserer Poesie und Literatur war an den Nachtretern von
Börne und Heine eine Richtung zu bekämpfen, welche in dem Bestreben,
witzig zu sein, frivol gegen die Kunst und unsere sociale Lebensordnung
wurde; auch diese Verirrung einer schwachen und begehrlichen Zeit ist durch
den politischen Ernst der Gegenwart überwunden. Auch der kleine unartige
"Kladderadatsch" hat seine großen Augenblicke, wo er sich patriotischer Wärme
nicht entschlage.

Es sind jetzt ungefähr hundert Jahre her, seit Moses Mendelssohn in Ber¬
lin nur darum geduldet wurde, weil er im Manufacturgeschäft des reichen Schutz¬
juden und Seidenfabrikanten Bernard beschäftigt wurde, und wo Abba Glozk.
der jüdische Philosoph aus Polen, auf der Landstraße vor Hunger umkam,
weil ihn die orthodoxen Juden verflucht, gebannt, gegeißelt und seiner ge¬
schriebenen Werke beraubt hatten. Wer mit erhebenden Gefühl die Fort¬
schritte unserer Nation in den letzten hundert Jahren betrachten will, der
möge vor Allem auf die Wandlungen blicken, welche unsere jüdischen Mit¬
bürger unter der befreienden Einwirkung moderner Bildung gemacht haben.
Sie selbst haben jedes Recht, sich ihrer energischen Lebenskraft und Bildungs-
fähigkeit zu freuen; auch wir dürfen mit einiger Befriedigung sagen, daß nur
noch die letzten Ueberreste alter Tradition und Intoleranz zu überwinden
sind, um die Herzen und Geister der deutschen Juden völlig in unser Volks-
thum einzuschließen. Es ist natürlich, daß während dieser Usbergangszeit in
ihrem Wesen hie und da noch Auffallendes oder nicht Löbliches zu Tage
kommt, und sie müssen es sich gefallen lassen, wenn solche Schwächen und
Verkehrtheiten aus der Zeit der Unfreiheit gelegentlich einmal mit und ohne
Laune als jüdische Eigenthümlichkeiten besprochen werden. Wir werden frei¬
lich auch natürlich finden , wenn sie gegen solche Besprechung besonders em¬
pfindlich sind, denn sie ringen immer noch nach Sicherheit ihrer socialen
Stellung und suhlen immer noch die Nachwehen des harten Druckes, welcher
zur Zeit unserer Großväter auf ihnen lag.

Die Juden haben'auch in der Zeit ihrer Unfreiheit unserer Wissenschaft
und Kunst unter sehr ungünstigen Verhältnissen eine merkwürdig große Zahl
bedeutender Namen geliefert. Wenn wir nur bis aus Baruch Spinoza
zurückblicken, wie lang die Reihe starker Talente aus ihren alten Familien!
Es ist nicht schwer, an einer großen Anzahl derselben gewisse gemeinsame
Eigenthümlichkeiten zu erkennen, sowohl an den Vorzügen, welche sie besitzen,


bei uns.jetzt Fürsten und Häupter alter Land-Gentry, welche unsolide Geld¬
geschäfte protegiren, den Unternehmergewinn einziehen und die Actionaire
durch ihren Namen verlocken; die Rothschilde sind beinahe auf das Niveau
altfränkischer Geschäftsleute zurückgedrängt und angesehene jüdische Firmen
unserer Hauptstädte gehören zu den ehrbarsten Gegnern des modernen Actien-
schwindels. In unserer Poesie und Literatur war an den Nachtretern von
Börne und Heine eine Richtung zu bekämpfen, welche in dem Bestreben,
witzig zu sein, frivol gegen die Kunst und unsere sociale Lebensordnung
wurde; auch diese Verirrung einer schwachen und begehrlichen Zeit ist durch
den politischen Ernst der Gegenwart überwunden. Auch der kleine unartige
„Kladderadatsch" hat seine großen Augenblicke, wo er sich patriotischer Wärme
nicht entschlage.

Es sind jetzt ungefähr hundert Jahre her, seit Moses Mendelssohn in Ber¬
lin nur darum geduldet wurde, weil er im Manufacturgeschäft des reichen Schutz¬
juden und Seidenfabrikanten Bernard beschäftigt wurde, und wo Abba Glozk.
der jüdische Philosoph aus Polen, auf der Landstraße vor Hunger umkam,
weil ihn die orthodoxen Juden verflucht, gebannt, gegeißelt und seiner ge¬
schriebenen Werke beraubt hatten. Wer mit erhebenden Gefühl die Fort¬
schritte unserer Nation in den letzten hundert Jahren betrachten will, der
möge vor Allem auf die Wandlungen blicken, welche unsere jüdischen Mit¬
bürger unter der befreienden Einwirkung moderner Bildung gemacht haben.
Sie selbst haben jedes Recht, sich ihrer energischen Lebenskraft und Bildungs-
fähigkeit zu freuen; auch wir dürfen mit einiger Befriedigung sagen, daß nur
noch die letzten Ueberreste alter Tradition und Intoleranz zu überwinden
sind, um die Herzen und Geister der deutschen Juden völlig in unser Volks-
thum einzuschließen. Es ist natürlich, daß während dieser Usbergangszeit in
ihrem Wesen hie und da noch Auffallendes oder nicht Löbliches zu Tage
kommt, und sie müssen es sich gefallen lassen, wenn solche Schwächen und
Verkehrtheiten aus der Zeit der Unfreiheit gelegentlich einmal mit und ohne
Laune als jüdische Eigenthümlichkeiten besprochen werden. Wir werden frei¬
lich auch natürlich finden , wenn sie gegen solche Besprechung besonders em¬
pfindlich sind, denn sie ringen immer noch nach Sicherheit ihrer socialen
Stellung und suhlen immer noch die Nachwehen des harten Druckes, welcher
zur Zeit unserer Großväter auf ihnen lag.

Die Juden haben'auch in der Zeit ihrer Unfreiheit unserer Wissenschaft
und Kunst unter sehr ungünstigen Verhältnissen eine merkwürdig große Zahl
bedeutender Namen geliefert. Wenn wir nur bis aus Baruch Spinoza
zurückblicken, wie lang die Reihe starker Talente aus ihren alten Familien!
Es ist nicht schwer, an einer großen Anzahl derselben gewisse gemeinsame
Eigenthümlichkeiten zu erkennen, sowohl an den Vorzügen, welche sie besitzen,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120686/342>, abgerufen am 24.07.2024.