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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band.

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einen Schritt weiter ging, alles Zweifeln und Zaudern verwarf und denen
gegenüber, welche sich im bayerisch-schwäbischen Schmollwinkel zusammendräng¬
ten, im Namen einer muthigen süddeutschen Minorität den einzigen Weg bezeich¬
nete, welche jene beglückende große deutsche Gemeinschaft herzustellen vermag.
Mit richtigem Blick erklärte er es für wahrhaft conservativ, wenn seine
Landsleute sich entschlössen, theure Einrichtungen und geliebte Fürsten unter
das von befreundeten mächtigen Händen bereits aufgerichtete Schirmdach zu
stellen, damit der Bestand der süddeutschen Verfassungen und Throne um so
unerschütterlicher verbürgt werde. Zuversichtlich fügte er hinzu, der große
Neubau sei selbst Oestreich zu Statten gekommen. Unverkennbar habe der
östreichische Kaiserstaat erst durch die gewaltige Erschütterung von 1866 die
Freiheit der inneren Gestaltung erlangt. Sobald Deutschland seine Neu¬
begründung vollendet habe, -biete sich auch den Deutschen Oestreichs eine Zu¬
fluchtsstätte, welche sie im Fall der Noth als Freunde und Brüder auf¬
nehmen werde.

Haben solche Ueberlegungen in der Jahresfrist, welche zwischen der ersten
und zweiten Zusammenkunft des Zollparlaments liegt, Eingang in die Ge¬
müther unserer Nachbaren gefunden? Hält die Majorität der süddeutschen Ab¬
geordneten sich noch der Einsicht verschlossen, daß, je länger sie die deutsche
Frage unter sich allein, oder vielmehr die Bayern besonders und die Württem¬
berger besonders, wenden und drehen, sie nur mehr und mehr in Meinungs¬
verschiedenheit zerfallen? Lediglich der Norden ist ihr Sammelplatz und Aus¬
gangspunkt für Neubildung. Von Turin, von Sardinien ging die Einheit
Italiens aus. Neapel und Sicilien zögerten nicht so lange mit dem An¬
schluß und brachten größere Opfer an Selbständigkeit, als den Süddeutschen
zugemuthet worden, um die Kräfte Italiens in einem Parlament, für eine
Exekutivgewalt zu sammeln.

Recht gut wies der Abgeordnete von Innenstadt in seiner Rede vom
18. Mai v. I. auf die Erfahrung hin, welche^, unsere deutschen Landsleute
vor Gericht machen und in größeren Verhältnissen der Nutzanwendung wegen
wiederholen zu wollen scheinen. So lange die Parteien ihren Zorn nicht
gegen einander ausgeschüttet haben, bleibt es vergebliches Bemühen sie zum
Vergleich einzuladen. Erst wenn sie einmal tüchtig auf einander geplatzt
sind, stellt sich die ruhigere Ueberlegung, die Erkenntniß ein, sich nicht ganz
im Recht zu befinden, den Anderen verkannt, ihm ein wenig Unrecht gethan
zu haben. Von da an sind die Gemüther zur Verständigung, zum Ausgleich,
zur Errichtung eines neuen Vertrags, zur Besiegelung neuer Freundschaft
und zur Anerkennung vergessener Familienbande bereit. Man wundert sich,
wie man doch so lange hadern konnte. Nachbarn, welche bei dem Zwist
zu gewinnen hofften, brauchen nicht mehr schadenfroh drein zu schauen. Von


einen Schritt weiter ging, alles Zweifeln und Zaudern verwarf und denen
gegenüber, welche sich im bayerisch-schwäbischen Schmollwinkel zusammendräng¬
ten, im Namen einer muthigen süddeutschen Minorität den einzigen Weg bezeich¬
nete, welche jene beglückende große deutsche Gemeinschaft herzustellen vermag.
Mit richtigem Blick erklärte er es für wahrhaft conservativ, wenn seine
Landsleute sich entschlössen, theure Einrichtungen und geliebte Fürsten unter
das von befreundeten mächtigen Händen bereits aufgerichtete Schirmdach zu
stellen, damit der Bestand der süddeutschen Verfassungen und Throne um so
unerschütterlicher verbürgt werde. Zuversichtlich fügte er hinzu, der große
Neubau sei selbst Oestreich zu Statten gekommen. Unverkennbar habe der
östreichische Kaiserstaat erst durch die gewaltige Erschütterung von 1866 die
Freiheit der inneren Gestaltung erlangt. Sobald Deutschland seine Neu¬
begründung vollendet habe, -biete sich auch den Deutschen Oestreichs eine Zu¬
fluchtsstätte, welche sie im Fall der Noth als Freunde und Brüder auf¬
nehmen werde.

Haben solche Ueberlegungen in der Jahresfrist, welche zwischen der ersten
und zweiten Zusammenkunft des Zollparlaments liegt, Eingang in die Ge¬
müther unserer Nachbaren gefunden? Hält die Majorität der süddeutschen Ab¬
geordneten sich noch der Einsicht verschlossen, daß, je länger sie die deutsche
Frage unter sich allein, oder vielmehr die Bayern besonders und die Württem¬
berger besonders, wenden und drehen, sie nur mehr und mehr in Meinungs¬
verschiedenheit zerfallen? Lediglich der Norden ist ihr Sammelplatz und Aus¬
gangspunkt für Neubildung. Von Turin, von Sardinien ging die Einheit
Italiens aus. Neapel und Sicilien zögerten nicht so lange mit dem An¬
schluß und brachten größere Opfer an Selbständigkeit, als den Süddeutschen
zugemuthet worden, um die Kräfte Italiens in einem Parlament, für eine
Exekutivgewalt zu sammeln.

Recht gut wies der Abgeordnete von Innenstadt in seiner Rede vom
18. Mai v. I. auf die Erfahrung hin, welche^, unsere deutschen Landsleute
vor Gericht machen und in größeren Verhältnissen der Nutzanwendung wegen
wiederholen zu wollen scheinen. So lange die Parteien ihren Zorn nicht
gegen einander ausgeschüttet haben, bleibt es vergebliches Bemühen sie zum
Vergleich einzuladen. Erst wenn sie einmal tüchtig auf einander geplatzt
sind, stellt sich die ruhigere Ueberlegung, die Erkenntniß ein, sich nicht ganz
im Recht zu befinden, den Anderen verkannt, ihm ein wenig Unrecht gethan
zu haben. Von da an sind die Gemüther zur Verständigung, zum Ausgleich,
zur Errichtung eines neuen Vertrags, zur Besiegelung neuer Freundschaft
und zur Anerkennung vergessener Familienbande bereit. Man wundert sich,
wie man doch so lange hadern konnte. Nachbarn, welche bei dem Zwist
zu gewinnen hofften, brauchen nicht mehr schadenfroh drein zu schauen. Von


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120686/338>, abgerufen am 24.07.2024.