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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band.

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zuzumuthen. Ebenso überlegen ist England militairisch. allerdings müßte
Canada preisgegeben werden, obwohl dasselbe unzweifelhaft Alles aufbieten
würde, sich der Annexion zu erwehren, aber damit verlöre England nichts,
welches längst seine amerikanischen Besitzungen gerne los wäre, wenn dies
mit Ehren geschehen könnte. Ebenso wäre Amerika im Stande eine Rebellion
in Irland hervorzurufen, aber wenn dieselbe auch England einen ernsten
Kampf kosten würde, so wäre ihre Unterdrückung doch zweifellos und würde
nur neues Elend über das bethörte Volk bringen, welches sich dazu verleiten
ließe. Canada und Irland aber sind die beiden einzigen verwundbaren Punkte
Englands Amerika gegenüber. Denn zur See vermag die amerikanische
Marine wenig gegen die englische, selbst wenn sie das Meer mit Kapern bedeckte.

Man sollte glauben, solche Gründe seien hinreichend einen Krieg
zu vermeiden, für den kein vernünftiger Grund vorliegt, aber man darf
andererseits nicht außer Augen lassen, daß die Regierung der Vereinigten
Staaten in letzter Instanz von einer wankelmüthigen und erregbaren Volks¬
masse abhängt. Dazu kommt, daß Grant. wie man bereits sagen darf, die
Erwartungen, welche man ihm entgegenbrachte, nicht erfüllt; er war ein guter
General und benahm sich bei der Wahl mit klugem Tact, aber den schwierigen
Obliegenheiten der obersten politischen Leitung zeigt er sich nicht gewachsen.
Sein erstes Cabinet ging ihm in Stücke noch ehe es gebildet war, seine
Wahlen für die großen Gesandtenposten werden entschieden getadelt, nament¬
lich die Washburnes für Paris und er verliert bei seiner eigenen Partei rasch
an Credit, während die Angriffe der Gegner sich verdoppeln. Man legt
ihm deshalb den Gedanken unter, durch einen großen Krieg eine Ableitung
nach außen zu suchen, welche ihn als General wieder auf die Höhe der Be¬
wegung bringen würde. Mit der Ankunft Motley's in London wird es sich
bald zeigen, ob diese Conjecturen Grund haben; sicher ist nur. daß er mit
Drohungen nichts erreichen wird. -- Wir erlauben uns schließlich einen Passus
zu citiren, womit wir Anfang November vorigen Jahres in diesen Blättern
S. 326 eine Besprechung der auswärtigen Politik Englands beschlossen:
"Trotz der allgemeinen Stimmung für die Nichtintervention sind wir über¬
zeugt, daß sie auf die Länge nicht dauern kann, selbst die Mehrheit, welche
sie jetzt vertheidigt, fühlt das Demüthigende, das in ihr liegt; es wird sich
über kurz oder lang eine Grenze zeigen, an der das passive Zusehen auf¬
hören muß. England erinnert freilich jetzt in mancher Beziehung an das
Holland des 18. Jahrhunderts, welches damals auch ängstlich jeder Ver¬
wickelung aus dem Wege ging; es ist zu reich, zu satt und so verletzlich in
seinen weitverzweigten Interessen geworden, daß es jeden Streit vermeidet.
Aber andere Staaten befinden sich nicht in derselben Gemüthsverfassung und
si" werden seine Geduld über kurz oder lang auf solche Proben stellen, daß


zuzumuthen. Ebenso überlegen ist England militairisch. allerdings müßte
Canada preisgegeben werden, obwohl dasselbe unzweifelhaft Alles aufbieten
würde, sich der Annexion zu erwehren, aber damit verlöre England nichts,
welches längst seine amerikanischen Besitzungen gerne los wäre, wenn dies
mit Ehren geschehen könnte. Ebenso wäre Amerika im Stande eine Rebellion
in Irland hervorzurufen, aber wenn dieselbe auch England einen ernsten
Kampf kosten würde, so wäre ihre Unterdrückung doch zweifellos und würde
nur neues Elend über das bethörte Volk bringen, welches sich dazu verleiten
ließe. Canada und Irland aber sind die beiden einzigen verwundbaren Punkte
Englands Amerika gegenüber. Denn zur See vermag die amerikanische
Marine wenig gegen die englische, selbst wenn sie das Meer mit Kapern bedeckte.

Man sollte glauben, solche Gründe seien hinreichend einen Krieg
zu vermeiden, für den kein vernünftiger Grund vorliegt, aber man darf
andererseits nicht außer Augen lassen, daß die Regierung der Vereinigten
Staaten in letzter Instanz von einer wankelmüthigen und erregbaren Volks¬
masse abhängt. Dazu kommt, daß Grant. wie man bereits sagen darf, die
Erwartungen, welche man ihm entgegenbrachte, nicht erfüllt; er war ein guter
General und benahm sich bei der Wahl mit klugem Tact, aber den schwierigen
Obliegenheiten der obersten politischen Leitung zeigt er sich nicht gewachsen.
Sein erstes Cabinet ging ihm in Stücke noch ehe es gebildet war, seine
Wahlen für die großen Gesandtenposten werden entschieden getadelt, nament¬
lich die Washburnes für Paris und er verliert bei seiner eigenen Partei rasch
an Credit, während die Angriffe der Gegner sich verdoppeln. Man legt
ihm deshalb den Gedanken unter, durch einen großen Krieg eine Ableitung
nach außen zu suchen, welche ihn als General wieder auf die Höhe der Be¬
wegung bringen würde. Mit der Ankunft Motley's in London wird es sich
bald zeigen, ob diese Conjecturen Grund haben; sicher ist nur. daß er mit
Drohungen nichts erreichen wird. — Wir erlauben uns schließlich einen Passus
zu citiren, womit wir Anfang November vorigen Jahres in diesen Blättern
S. 326 eine Besprechung der auswärtigen Politik Englands beschlossen:
„Trotz der allgemeinen Stimmung für die Nichtintervention sind wir über¬
zeugt, daß sie auf die Länge nicht dauern kann, selbst die Mehrheit, welche
sie jetzt vertheidigt, fühlt das Demüthigende, das in ihr liegt; es wird sich
über kurz oder lang eine Grenze zeigen, an der das passive Zusehen auf¬
hören muß. England erinnert freilich jetzt in mancher Beziehung an das
Holland des 18. Jahrhunderts, welches damals auch ängstlich jeder Ver¬
wickelung aus dem Wege ging; es ist zu reich, zu satt und so verletzlich in
seinen weitverzweigten Interessen geworden, daß es jeden Streit vermeidet.
Aber andere Staaten befinden sich nicht in derselben Gemüthsverfassung und
si« werden seine Geduld über kurz oder lang auf solche Proben stellen, daß


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120686/333>, abgerufen am 24.07.2024.