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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band.

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werden können, und Vieles in seiner bisherigen Ordnung hätte belassen
werden sollen, was die Lösung der Aufgaben des neuen deutschen Staats
nichts weniger als gefördert hat, beziehungsweise nicht im Geringsten be-
einträchtigt haben würde.

Ehe wir jedoch dieses in einzelnen Branchen der Staatsthätigkeit nach¬
weisen, müssen wir auf besondere Umstände aufmerksam machen, die für
die specifisch hessischen Verhältnisse von der größten Wichtigkeit geworden
sind und wirklich eine den allgemeinen und localen Interessen bequeme
Einfügung unseres Staates in die preußische Monarchie wesentlich er¬
schwert haben. In Preußen ist doch ohne Zweifel der Adel von ganz
besonderem Einfluß auf die Regierung des Landes. Einem Herrn von Adel
leiht man in dem Hofkreisen williger sein Ohr als einem Bürgerlichen, und
selbst nach der "Kölnischen Zeitung" haben wir gegenwärtig ein feudales
Ministerium. Hätten wir nun in Hessen einen Adel besessen, der die Inter¬
essen unseres Landes in Berlin hätte vertreten wollen und können, so wäre
unzweifelhaft seine Stimme von viel größerem Gewicht gewesen, als die
mancher bürgerlichen Patrioten, gegen die man als der liberalen, constitu-
tionellen Partei angehörig von vornherein Abneigung empfand, selbst wenn
sie lediglich im konservativen Interesse ihre Stimmen erhoben. Aber unser
hessischer Landadel hat weder durch seine staatsmännische Bildung noch durch
großen Grundbesitz und Reichthum irgend welche Berechtigung im Staats¬
leben eine bevorzugte Stellung einzunehmen. Derselbe machte daher im
Gefühl seiner Abhängigkeit von der Krone rasch seinen Frieden mit Preußen
und suchte seine Privilegien zu retten und zu erweitern. Das allgemeine
Interesse lag ihm fern. Mehrere Mitglieder desselben wurden zu Mitgliedern
des Herrenhauses ernannt, aber von ihrer Anwesenheit, geschweige denn von
ihrer Thätigkeit in demselben ist sehr wenig im Lande kund geworden. Die
Negierung war also zunächst, wenn sie Vertrauenspersonen consultiren wollte,
aus die Beamten angewiesen. Wären nun unter den höheren und höchsten
Kategorien derselben Männer gewesen, deren Einsicht und Charakterfestigkeit
der neuen Regierung sofort Vertrauen eingeflößt hätte, und die darum auch
manchen Maßregeln derselben hätten motivirten und erfolgreichen Widerstand
entgegensetzen können, wenn sie Widerstand im allseitigen Interesse geboten
erachtet hätten, so würde gar manches gewiß anders gekommen sein.
Denn mag man auch noch sehr die Arbeitskraft unseres Oberpräsidenten be¬
wundern und herrscht im ganzen Lande über seinen guten Willen nicht der
geringste Zweifel, so weiß man doch auch, daß seine Bemühungen für unser
Land mit ganz anderem Erfolg gekrönt worden wären, wenn sie von ein¬
flußreichen Privaten oder tüchtigen althessischem Beamten in Berlin selbst
nachdrücklich wären unterstützt worden. Aber was waren die hessischen Mi-


werden können, und Vieles in seiner bisherigen Ordnung hätte belassen
werden sollen, was die Lösung der Aufgaben des neuen deutschen Staats
nichts weniger als gefördert hat, beziehungsweise nicht im Geringsten be-
einträchtigt haben würde.

Ehe wir jedoch dieses in einzelnen Branchen der Staatsthätigkeit nach¬
weisen, müssen wir auf besondere Umstände aufmerksam machen, die für
die specifisch hessischen Verhältnisse von der größten Wichtigkeit geworden
sind und wirklich eine den allgemeinen und localen Interessen bequeme
Einfügung unseres Staates in die preußische Monarchie wesentlich er¬
schwert haben. In Preußen ist doch ohne Zweifel der Adel von ganz
besonderem Einfluß auf die Regierung des Landes. Einem Herrn von Adel
leiht man in dem Hofkreisen williger sein Ohr als einem Bürgerlichen, und
selbst nach der „Kölnischen Zeitung" haben wir gegenwärtig ein feudales
Ministerium. Hätten wir nun in Hessen einen Adel besessen, der die Inter¬
essen unseres Landes in Berlin hätte vertreten wollen und können, so wäre
unzweifelhaft seine Stimme von viel größerem Gewicht gewesen, als die
mancher bürgerlichen Patrioten, gegen die man als der liberalen, constitu-
tionellen Partei angehörig von vornherein Abneigung empfand, selbst wenn
sie lediglich im konservativen Interesse ihre Stimmen erhoben. Aber unser
hessischer Landadel hat weder durch seine staatsmännische Bildung noch durch
großen Grundbesitz und Reichthum irgend welche Berechtigung im Staats¬
leben eine bevorzugte Stellung einzunehmen. Derselbe machte daher im
Gefühl seiner Abhängigkeit von der Krone rasch seinen Frieden mit Preußen
und suchte seine Privilegien zu retten und zu erweitern. Das allgemeine
Interesse lag ihm fern. Mehrere Mitglieder desselben wurden zu Mitgliedern
des Herrenhauses ernannt, aber von ihrer Anwesenheit, geschweige denn von
ihrer Thätigkeit in demselben ist sehr wenig im Lande kund geworden. Die
Negierung war also zunächst, wenn sie Vertrauenspersonen consultiren wollte,
aus die Beamten angewiesen. Wären nun unter den höheren und höchsten
Kategorien derselben Männer gewesen, deren Einsicht und Charakterfestigkeit
der neuen Regierung sofort Vertrauen eingeflößt hätte, und die darum auch
manchen Maßregeln derselben hätten motivirten und erfolgreichen Widerstand
entgegensetzen können, wenn sie Widerstand im allseitigen Interesse geboten
erachtet hätten, so würde gar manches gewiß anders gekommen sein.
Denn mag man auch noch sehr die Arbeitskraft unseres Oberpräsidenten be¬
wundern und herrscht im ganzen Lande über seinen guten Willen nicht der
geringste Zweifel, so weiß man doch auch, daß seine Bemühungen für unser
Land mit ganz anderem Erfolg gekrönt worden wären, wenn sie von ein¬
flußreichen Privaten oder tüchtigen althessischem Beamten in Berlin selbst
nachdrücklich wären unterstützt worden. Aber was waren die hessischen Mi-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120686/319>, abgerufen am 24.07.2024.