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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band.

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Sinecuren handele. Wir wollen nicht behaupten, daß diese Volksmeinung
begründet war. obwohl wirklich merkwürdige Belege für sie angeführt werden
könnten, sondern nur constatiren. daß sie vorhanden ist. Für ihre Ent¬
stehung dürfte jedoch noch ein besonderer Umstand mitgewirkt haben, der hier
angeführt werden muß. So wenig unter der früheren Regierung Alles
gesetzmäßig zuging, so wenig hatte man sich doch im Allgemeinen über Ne¬
potismus zu beklagen. Der letzte Kurfürst war hierin ganz unerbittlich, ja
zuweilen sogar ungerecht. Hatte er herausgewittert, daß ein Minister Jeman¬
dem zu einer Stelle verhelfen wollte, weil derselbe ein Verwandter des Mi¬
nisters war, so konnte man sicher sein, daß der Betreffende das ihm zuge¬
dachte Amt nicht erhalten werde. In einem Großstaate, in dem kein Mi¬
nister, geschweige denn der Fürst die Beziehungen der einzelnen Familien zu
einander kennt, ist dagegen der Nepotismus kaum zu beseitigen. Das Beispiel,
das im modernen Preußen außerdem noch einige hochstehende Familien in
dieser Beziehung gegeben haben, hat dann noch factisch dazu beigetragen, die
Sache im Ganzen schlimmer erscheinen zu lassen, als sie vielleicht in Wirk¬
lichkeit ist.

Und noch einen durchgreifenden Unterschied gegen früher glaubte man
zu bemerken. In einem kleinen Staate kennen sich leicht fast alle Beamte,
Wenigstens die. welche einer und derselben Kategorie angehören, persönlich
oder doch dem Rufe nach, den sie genießen. Die Folge davon ist die, daß
hier eine ganz gleichmäßig strenge Ueberwachung der Beamten nicht so
nöthig ist, als in einem Großstaate. Wenn Jemand persönlich übel beleu¬
mundet war, so war seine Oberbehörde ihm gegenüber gewiß aufmerksamer,
als wenn sie es mit einem Manne zu thun hatte, der allgemein als Ehren¬
mann bekannt war. Dazu kam noch für uns speciell, daß in Kurhessen sich
keine große Stadt befindet, in der sich leichter Diebsraffinement und catili-
narische Existenzen ausbilden als in mittleren und kleinen Städten. Der
Luxus war im Allgemeinen nicht sehr gesteigert, die Beamten streckten sich,
wie man hier zu sagen Pflegt, nach ihrer Decke. Es kamen daher in der
That wenig Veruntreuungen im öffentlichen Dienst vor, und wenn eine solche
constatirt wurde, erregte dieselbe allgemeines Aufsehen im,Lande, ein Auf¬
sehen, das sich während unserer Reactionsperiode nur dann minderte, wenn
man hörte, der Betreffende gehöre dem "Treubünde" an.

So sehr hatte sich durch wiederholte Betrügereien der Schweif des Herrn
Hassenpflug-Vilmar in der öffentlichen Meinung discreditirt. Jene persönliche
Rücksichtnahme und ein allzu großes Vertrauen auf die Ehrlichkeit und
Zuverlässigkeit der Beamten kann der Natur der Dinge nach in einem
Großstaat nicht in demselben Maaße geübt werden, als in kleineren Ver¬
hältnissen. Die Controle muß hier strenger und gleichmäßiger arbeiten.


Sinecuren handele. Wir wollen nicht behaupten, daß diese Volksmeinung
begründet war. obwohl wirklich merkwürdige Belege für sie angeführt werden
könnten, sondern nur constatiren. daß sie vorhanden ist. Für ihre Ent¬
stehung dürfte jedoch noch ein besonderer Umstand mitgewirkt haben, der hier
angeführt werden muß. So wenig unter der früheren Regierung Alles
gesetzmäßig zuging, so wenig hatte man sich doch im Allgemeinen über Ne¬
potismus zu beklagen. Der letzte Kurfürst war hierin ganz unerbittlich, ja
zuweilen sogar ungerecht. Hatte er herausgewittert, daß ein Minister Jeman¬
dem zu einer Stelle verhelfen wollte, weil derselbe ein Verwandter des Mi¬
nisters war, so konnte man sicher sein, daß der Betreffende das ihm zuge¬
dachte Amt nicht erhalten werde. In einem Großstaate, in dem kein Mi¬
nister, geschweige denn der Fürst die Beziehungen der einzelnen Familien zu
einander kennt, ist dagegen der Nepotismus kaum zu beseitigen. Das Beispiel,
das im modernen Preußen außerdem noch einige hochstehende Familien in
dieser Beziehung gegeben haben, hat dann noch factisch dazu beigetragen, die
Sache im Ganzen schlimmer erscheinen zu lassen, als sie vielleicht in Wirk¬
lichkeit ist.

Und noch einen durchgreifenden Unterschied gegen früher glaubte man
zu bemerken. In einem kleinen Staate kennen sich leicht fast alle Beamte,
Wenigstens die. welche einer und derselben Kategorie angehören, persönlich
oder doch dem Rufe nach, den sie genießen. Die Folge davon ist die, daß
hier eine ganz gleichmäßig strenge Ueberwachung der Beamten nicht so
nöthig ist, als in einem Großstaate. Wenn Jemand persönlich übel beleu¬
mundet war, so war seine Oberbehörde ihm gegenüber gewiß aufmerksamer,
als wenn sie es mit einem Manne zu thun hatte, der allgemein als Ehren¬
mann bekannt war. Dazu kam noch für uns speciell, daß in Kurhessen sich
keine große Stadt befindet, in der sich leichter Diebsraffinement und catili-
narische Existenzen ausbilden als in mittleren und kleinen Städten. Der
Luxus war im Allgemeinen nicht sehr gesteigert, die Beamten streckten sich,
wie man hier zu sagen Pflegt, nach ihrer Decke. Es kamen daher in der
That wenig Veruntreuungen im öffentlichen Dienst vor, und wenn eine solche
constatirt wurde, erregte dieselbe allgemeines Aufsehen im,Lande, ein Auf¬
sehen, das sich während unserer Reactionsperiode nur dann minderte, wenn
man hörte, der Betreffende gehöre dem „Treubünde" an.

So sehr hatte sich durch wiederholte Betrügereien der Schweif des Herrn
Hassenpflug-Vilmar in der öffentlichen Meinung discreditirt. Jene persönliche
Rücksichtnahme und ein allzu großes Vertrauen auf die Ehrlichkeit und
Zuverlässigkeit der Beamten kann der Natur der Dinge nach in einem
Großstaat nicht in demselben Maaße geübt werden, als in kleineren Ver¬
hältnissen. Die Controle muß hier strenger und gleichmäßiger arbeiten.


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[0317] Sinecuren handele. Wir wollen nicht behaupten, daß diese Volksmeinung begründet war. obwohl wirklich merkwürdige Belege für sie angeführt werden könnten, sondern nur constatiren. daß sie vorhanden ist. Für ihre Ent¬ stehung dürfte jedoch noch ein besonderer Umstand mitgewirkt haben, der hier angeführt werden muß. So wenig unter der früheren Regierung Alles gesetzmäßig zuging, so wenig hatte man sich doch im Allgemeinen über Ne¬ potismus zu beklagen. Der letzte Kurfürst war hierin ganz unerbittlich, ja zuweilen sogar ungerecht. Hatte er herausgewittert, daß ein Minister Jeman¬ dem zu einer Stelle verhelfen wollte, weil derselbe ein Verwandter des Mi¬ nisters war, so konnte man sicher sein, daß der Betreffende das ihm zuge¬ dachte Amt nicht erhalten werde. In einem Großstaate, in dem kein Mi¬ nister, geschweige denn der Fürst die Beziehungen der einzelnen Familien zu einander kennt, ist dagegen der Nepotismus kaum zu beseitigen. Das Beispiel, das im modernen Preußen außerdem noch einige hochstehende Familien in dieser Beziehung gegeben haben, hat dann noch factisch dazu beigetragen, die Sache im Ganzen schlimmer erscheinen zu lassen, als sie vielleicht in Wirk¬ lichkeit ist. Und noch einen durchgreifenden Unterschied gegen früher glaubte man zu bemerken. In einem kleinen Staate kennen sich leicht fast alle Beamte, Wenigstens die. welche einer und derselben Kategorie angehören, persönlich oder doch dem Rufe nach, den sie genießen. Die Folge davon ist die, daß hier eine ganz gleichmäßig strenge Ueberwachung der Beamten nicht so nöthig ist, als in einem Großstaate. Wenn Jemand persönlich übel beleu¬ mundet war, so war seine Oberbehörde ihm gegenüber gewiß aufmerksamer, als wenn sie es mit einem Manne zu thun hatte, der allgemein als Ehren¬ mann bekannt war. Dazu kam noch für uns speciell, daß in Kurhessen sich keine große Stadt befindet, in der sich leichter Diebsraffinement und catili- narische Existenzen ausbilden als in mittleren und kleinen Städten. Der Luxus war im Allgemeinen nicht sehr gesteigert, die Beamten streckten sich, wie man hier zu sagen Pflegt, nach ihrer Decke. Es kamen daher in der That wenig Veruntreuungen im öffentlichen Dienst vor, und wenn eine solche constatirt wurde, erregte dieselbe allgemeines Aufsehen im,Lande, ein Auf¬ sehen, das sich während unserer Reactionsperiode nur dann minderte, wenn man hörte, der Betreffende gehöre dem „Treubünde" an. So sehr hatte sich durch wiederholte Betrügereien der Schweif des Herrn Hassenpflug-Vilmar in der öffentlichen Meinung discreditirt. Jene persönliche Rücksichtnahme und ein allzu großes Vertrauen auf die Ehrlichkeit und Zuverlässigkeit der Beamten kann der Natur der Dinge nach in einem Großstaat nicht in demselben Maaße geübt werden, als in kleineren Ver¬ hältnissen. Die Controle muß hier strenger und gleichmäßiger arbeiten.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120686/317>, abgerufen am 24.07.2024.