Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band.er früher von Cassel der allgemeinen Verachtung nur bis Rinteln oder Gab es doch außerdem noch Veranlassungen genug. die diesen Glauben 39*
er früher von Cassel der allgemeinen Verachtung nur bis Rinteln oder Gab es doch außerdem noch Veranlassungen genug. die diesen Glauben 39*
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0315" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/121002"/> <p xml:id="ID_981" prev="#ID_980"> er früher von Cassel der allgemeinen Verachtung nur bis Rinteln oder<lb/> Hanau entrinnen konnte, — Aus allen diesen Gründen wäre es 1866 den<lb/> Hessen am liebsten gewesen, wenn ihr Land nur durch Personalunion mit<lb/> Preußen vereinigt worden wäre. Die Unerfüllbarkeit dieses Wunsches stellte<lb/> sich aber nur zu bald heraus. Als man dieselbe begriffen hatte, war man<lb/> auch nichts weniger als unglücklich über die neue Situation. Denn die<lb/> Anerkennung wird niemand den Hessen versagen können, daß sie niemals<lb/> und nirgends etwas für sich verlangt haben, was sie nicht auch allen<lb/> Andern gegönnt hätten, daß sie niemals und nirgends eine Befreiung von<lb/> Staatslasten begehrt haben, die sie den Anderen gegenüber in Vortheil gesetzt<lb/> hätte. Nur das haben sie geglaubt beanspruchen zu dürfen, daß man ihnen<lb/> das belassen werde, was sie vor anderen Theilen des preußischen Staates<lb/> voraus hatten, ohne daß dasselbe für das große Ganze irgendwie schädlich<lb/> wäre, daß man Einrichtungen, an die sich das Volk gewöhnt hatte, nicht<lb/> blos deshalb umwerfen werde, weil sie einigen wenigen preußischen Bureau¬<lb/> kraten nicht gefielen. Aber das Eine wie das Andere ist ihnen versagt worden.<lb/> Unzweifelhaft gure Einrichtungen unseres alten Staatswesens hat man um«<lb/> gestoßen und schlechtere an die Stelle gesetzt; Einrichtungen, über deren<lb/> Werth sich streiten läßt, die aber unserem Volk lieb waren, weil es mit<lb/> ihnen aufgewachsen war, hat man durch andere vertauscht, die nicht besser<lb/> find, aber den zweifelhaften Vorzug hatten, daß sie in Preußen eingebürgert<lb/> waren. Dazu kommt dann noch, daß man sich bei Herstellung von Institu¬<lb/> tionen , wie sie die veränderten Umstände mit sich brachten, nicht von den<lb/> Bedürfnissen und den gegebenen Zuständen unseres Landes hat bestimmen<lb/> lassen, sondern von feudalen und kirchlichen Theorien, wie sie in den Mini¬<lb/> sterien des Innern und des Cultus in Berlin eben die herrschenden sind.<lb/> Wäre eine wahrhaft conservative Partei in Preußen im Besitze der Negie-<lb/> rungsgewalr. so würde dieselbe ganz anders hier haben verfahren müssen, um<lb/> nicht in dem niederen Volke den Glauben immer weiter um sich greifen zu<lb/> lassen, daß alle Einrichtungen des Staates lediglich von dem Gutdünken der<lb/> augenblicklich herrschenden Partei abhängig seien, ein Glauben, der die Vor¬<lb/> bedingung aller Revolutionen ist.</p><lb/> <p xml:id="ID_982" next="#ID_983"> Gab es doch außerdem noch Veranlassungen genug. die diesen Glauben<lb/> zu verbreiten und zu fördern im Stande waren. Freilich der erste und auch<lb/> jetzt noch nicht erloschene Eindruck, den die neue Regierung im Gegensatz zur<lb/> alten ganz im Allgemeinen machte, war in mancher Beziehung eine jener<lb/> Wahrnehmung ganz entgegengesetzte. Man fühlte instinctniäßig aus allen<lb/> Regierungsmarimen und Maßregeln heraus, daß in Preußen der ganze<lb/> Staat von einem viel monarchischeren Geiste durchdrungen ist, als er bei uns<lb/> war. Hatten sich die Hessen nach und nach daran gewöhnen müssen, in ihren</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> 39*</fw><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0315]
er früher von Cassel der allgemeinen Verachtung nur bis Rinteln oder
Hanau entrinnen konnte, — Aus allen diesen Gründen wäre es 1866 den
Hessen am liebsten gewesen, wenn ihr Land nur durch Personalunion mit
Preußen vereinigt worden wäre. Die Unerfüllbarkeit dieses Wunsches stellte
sich aber nur zu bald heraus. Als man dieselbe begriffen hatte, war man
auch nichts weniger als unglücklich über die neue Situation. Denn die
Anerkennung wird niemand den Hessen versagen können, daß sie niemals
und nirgends etwas für sich verlangt haben, was sie nicht auch allen
Andern gegönnt hätten, daß sie niemals und nirgends eine Befreiung von
Staatslasten begehrt haben, die sie den Anderen gegenüber in Vortheil gesetzt
hätte. Nur das haben sie geglaubt beanspruchen zu dürfen, daß man ihnen
das belassen werde, was sie vor anderen Theilen des preußischen Staates
voraus hatten, ohne daß dasselbe für das große Ganze irgendwie schädlich
wäre, daß man Einrichtungen, an die sich das Volk gewöhnt hatte, nicht
blos deshalb umwerfen werde, weil sie einigen wenigen preußischen Bureau¬
kraten nicht gefielen. Aber das Eine wie das Andere ist ihnen versagt worden.
Unzweifelhaft gure Einrichtungen unseres alten Staatswesens hat man um«
gestoßen und schlechtere an die Stelle gesetzt; Einrichtungen, über deren
Werth sich streiten läßt, die aber unserem Volk lieb waren, weil es mit
ihnen aufgewachsen war, hat man durch andere vertauscht, die nicht besser
find, aber den zweifelhaften Vorzug hatten, daß sie in Preußen eingebürgert
waren. Dazu kommt dann noch, daß man sich bei Herstellung von Institu¬
tionen , wie sie die veränderten Umstände mit sich brachten, nicht von den
Bedürfnissen und den gegebenen Zuständen unseres Landes hat bestimmen
lassen, sondern von feudalen und kirchlichen Theorien, wie sie in den Mini¬
sterien des Innern und des Cultus in Berlin eben die herrschenden sind.
Wäre eine wahrhaft conservative Partei in Preußen im Besitze der Negie-
rungsgewalr. so würde dieselbe ganz anders hier haben verfahren müssen, um
nicht in dem niederen Volke den Glauben immer weiter um sich greifen zu
lassen, daß alle Einrichtungen des Staates lediglich von dem Gutdünken der
augenblicklich herrschenden Partei abhängig seien, ein Glauben, der die Vor¬
bedingung aller Revolutionen ist.
Gab es doch außerdem noch Veranlassungen genug. die diesen Glauben
zu verbreiten und zu fördern im Stande waren. Freilich der erste und auch
jetzt noch nicht erloschene Eindruck, den die neue Regierung im Gegensatz zur
alten ganz im Allgemeinen machte, war in mancher Beziehung eine jener
Wahrnehmung ganz entgegengesetzte. Man fühlte instinctniäßig aus allen
Regierungsmarimen und Maßregeln heraus, daß in Preußen der ganze
Staat von einem viel monarchischeren Geiste durchdrungen ist, als er bei uns
war. Hatten sich die Hessen nach und nach daran gewöhnen müssen, in ihren
39*
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |