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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band.

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eines Hofhaltes Schaden zu erleiden fürchteten, oder die mit einer alter-
thümelnden Anhänglichkeit an Formen klebten, denen jeder lebensvolle In¬
halt längst abhanden gekommen war, schauten doch auch nicht wenige von
den kräftigen und vorurtheilsfreien Männern, die in Opposition mit der
bisherigen Regierung gelebt hatten, besorgnißvoll in die Zukunft, Die
Proklamationen, mit denen die preußischen Heerführer in Hessen eingerückt
waren, und die eine Heilung aller Schäden und die Wegräumung alles
Streites zwischen Regierung und Volk versprochen hatten, waren doch nur
im Stande gewesen, Sanguiniker zu täuschen. Was man fürchtete, war der
Verlust alles dessen, was man in Hessen in Jahrzehnte langen Kämpfen der
Negierung abgewonnen hatte, und um das in Preußen immer noch zwischen
Regierung und Kammer unentschieden gestritten wurde, der Umsturz unserer
Justizorganisationen, die den preußischen voraus waren und die Fortsetzung
der Herrschaft einer Partei in Kirche und Schule, die unserer bisherigen
Negierungsclique zum Verwechseln ähnlich war. Wer die entscheidenden
Monate des Jahres 1866 in Cassel erlebt hat, der wird sich gar vieler
Gespräche erinnern, die damals gerade über diesen, letzten Punkt geführt
wurden. Siege Oestreich schließlich, so wurde damals raisonnirt, fo werden
wir, die wir von unseren Sympathieen mit Preußen kein Hehl gemacht
haben, übel wegkommen; siegt Preußen, nun so werden mit mehr oder ge¬
ringern Ausnahmen dieselben Herren gar bald wieder am Regieren sein, die
uns bisher so vortrefflich behandelt haben; und wenn uns nicht genau die¬
selben Personen fernerhin regieren sollten, so werden es doch sicher solche sein,
die in demselben Geiste, der bisher herrschte, die Staatsinteressen wahrzuneh¬
men entschlossen sind. Denn welcher principielle Unterschied besteht denn zwischen
der Vilmar'schen Partei und der der Kreuzzeitung, die in Berlin am Ruder
ist? Hat nicht die feudale Partei in Preußen 1850 unsere Verfassung um¬
stürzen helfen und war etwa die Wiederherstellung derselben durch Preußen
aus Wohlgefallen an dieser Verfassung selbst erfolgt? Die Herren, welche 1860
die Hessen Revolutionäre in Schlafrock und Pantoffeln nannten, waren jetzt
mächtiger denn je. Und war etwa das Cultusministerium in Berlin von
anderen Intentionen erfüllt als die hessische Ministertalabtheilung für Kirchen-
und Schulangelegenheiten? Sind nicht z. B. die Regulative lediglich ein
Abklatsch Vilmar'scher Weishnt? Und wird es nicht schlimmer werden wie
früher, wenn die Reaction nicht mehr wie bisher in den Kleinstaaten an den
persönlichen Beziehungen eine Schranke findet? Ein Regierungspräsident
aus Gumbinnen, der gegen niemanden in Hessen persönliche Rücksichten zu
nehmen hat, wird doch noch ganz anders dazwischen fahren können, wie der
"Dreschflegel von der Schwalm", und wenn sich so ein Herr in Hessen un¬
möglich gemacht hat, so setzt man ihn nach Liegnitz oder Stettin, während


eines Hofhaltes Schaden zu erleiden fürchteten, oder die mit einer alter-
thümelnden Anhänglichkeit an Formen klebten, denen jeder lebensvolle In¬
halt längst abhanden gekommen war, schauten doch auch nicht wenige von
den kräftigen und vorurtheilsfreien Männern, die in Opposition mit der
bisherigen Regierung gelebt hatten, besorgnißvoll in die Zukunft, Die
Proklamationen, mit denen die preußischen Heerführer in Hessen eingerückt
waren, und die eine Heilung aller Schäden und die Wegräumung alles
Streites zwischen Regierung und Volk versprochen hatten, waren doch nur
im Stande gewesen, Sanguiniker zu täuschen. Was man fürchtete, war der
Verlust alles dessen, was man in Hessen in Jahrzehnte langen Kämpfen der
Negierung abgewonnen hatte, und um das in Preußen immer noch zwischen
Regierung und Kammer unentschieden gestritten wurde, der Umsturz unserer
Justizorganisationen, die den preußischen voraus waren und die Fortsetzung
der Herrschaft einer Partei in Kirche und Schule, die unserer bisherigen
Negierungsclique zum Verwechseln ähnlich war. Wer die entscheidenden
Monate des Jahres 1866 in Cassel erlebt hat, der wird sich gar vieler
Gespräche erinnern, die damals gerade über diesen, letzten Punkt geführt
wurden. Siege Oestreich schließlich, so wurde damals raisonnirt, fo werden
wir, die wir von unseren Sympathieen mit Preußen kein Hehl gemacht
haben, übel wegkommen; siegt Preußen, nun so werden mit mehr oder ge¬
ringern Ausnahmen dieselben Herren gar bald wieder am Regieren sein, die
uns bisher so vortrefflich behandelt haben; und wenn uns nicht genau die¬
selben Personen fernerhin regieren sollten, so werden es doch sicher solche sein,
die in demselben Geiste, der bisher herrschte, die Staatsinteressen wahrzuneh¬
men entschlossen sind. Denn welcher principielle Unterschied besteht denn zwischen
der Vilmar'schen Partei und der der Kreuzzeitung, die in Berlin am Ruder
ist? Hat nicht die feudale Partei in Preußen 1850 unsere Verfassung um¬
stürzen helfen und war etwa die Wiederherstellung derselben durch Preußen
aus Wohlgefallen an dieser Verfassung selbst erfolgt? Die Herren, welche 1860
die Hessen Revolutionäre in Schlafrock und Pantoffeln nannten, waren jetzt
mächtiger denn je. Und war etwa das Cultusministerium in Berlin von
anderen Intentionen erfüllt als die hessische Ministertalabtheilung für Kirchen-
und Schulangelegenheiten? Sind nicht z. B. die Regulative lediglich ein
Abklatsch Vilmar'scher Weishnt? Und wird es nicht schlimmer werden wie
früher, wenn die Reaction nicht mehr wie bisher in den Kleinstaaten an den
persönlichen Beziehungen eine Schranke findet? Ein Regierungspräsident
aus Gumbinnen, der gegen niemanden in Hessen persönliche Rücksichten zu
nehmen hat, wird doch noch ganz anders dazwischen fahren können, wie der
„Dreschflegel von der Schwalm", und wenn sich so ein Herr in Hessen un¬
möglich gemacht hat, so setzt man ihn nach Liegnitz oder Stettin, während


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[0314] eines Hofhaltes Schaden zu erleiden fürchteten, oder die mit einer alter- thümelnden Anhänglichkeit an Formen klebten, denen jeder lebensvolle In¬ halt längst abhanden gekommen war, schauten doch auch nicht wenige von den kräftigen und vorurtheilsfreien Männern, die in Opposition mit der bisherigen Regierung gelebt hatten, besorgnißvoll in die Zukunft, Die Proklamationen, mit denen die preußischen Heerführer in Hessen eingerückt waren, und die eine Heilung aller Schäden und die Wegräumung alles Streites zwischen Regierung und Volk versprochen hatten, waren doch nur im Stande gewesen, Sanguiniker zu täuschen. Was man fürchtete, war der Verlust alles dessen, was man in Hessen in Jahrzehnte langen Kämpfen der Negierung abgewonnen hatte, und um das in Preußen immer noch zwischen Regierung und Kammer unentschieden gestritten wurde, der Umsturz unserer Justizorganisationen, die den preußischen voraus waren und die Fortsetzung der Herrschaft einer Partei in Kirche und Schule, die unserer bisherigen Negierungsclique zum Verwechseln ähnlich war. Wer die entscheidenden Monate des Jahres 1866 in Cassel erlebt hat, der wird sich gar vieler Gespräche erinnern, die damals gerade über diesen, letzten Punkt geführt wurden. Siege Oestreich schließlich, so wurde damals raisonnirt, fo werden wir, die wir von unseren Sympathieen mit Preußen kein Hehl gemacht haben, übel wegkommen; siegt Preußen, nun so werden mit mehr oder ge¬ ringern Ausnahmen dieselben Herren gar bald wieder am Regieren sein, die uns bisher so vortrefflich behandelt haben; und wenn uns nicht genau die¬ selben Personen fernerhin regieren sollten, so werden es doch sicher solche sein, die in demselben Geiste, der bisher herrschte, die Staatsinteressen wahrzuneh¬ men entschlossen sind. Denn welcher principielle Unterschied besteht denn zwischen der Vilmar'schen Partei und der der Kreuzzeitung, die in Berlin am Ruder ist? Hat nicht die feudale Partei in Preußen 1850 unsere Verfassung um¬ stürzen helfen und war etwa die Wiederherstellung derselben durch Preußen aus Wohlgefallen an dieser Verfassung selbst erfolgt? Die Herren, welche 1860 die Hessen Revolutionäre in Schlafrock und Pantoffeln nannten, waren jetzt mächtiger denn je. Und war etwa das Cultusministerium in Berlin von anderen Intentionen erfüllt als die hessische Ministertalabtheilung für Kirchen- und Schulangelegenheiten? Sind nicht z. B. die Regulative lediglich ein Abklatsch Vilmar'scher Weishnt? Und wird es nicht schlimmer werden wie früher, wenn die Reaction nicht mehr wie bisher in den Kleinstaaten an den persönlichen Beziehungen eine Schranke findet? Ein Regierungspräsident aus Gumbinnen, der gegen niemanden in Hessen persönliche Rücksichten zu nehmen hat, wird doch noch ganz anders dazwischen fahren können, wie der „Dreschflegel von der Schwalm", und wenn sich so ein Herr in Hessen un¬ möglich gemacht hat, so setzt man ihn nach Liegnitz oder Stettin, während

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120686/314>, abgerufen am 24.07.2024.