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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band.

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natürlichem Humor, Charakteristik im Ausdruck beim Personen- und Situa¬
tionswechsel, daß ich nun weiter keinen Zweifel an ihm hegte. Er trat in
der Rolle als Gorge in den beiden Billets mit Beifall auf und zeigte sich
besonders in natürlich humoristischen Rollen aufs wünschenswertheste.

Es folgt Goethe's eigenhändiger Brief, dessen artiger Schluß besonderer
Beachtung empfohlen wird:

Ihr Söhnlein, meine liebe kleine Freundin, ist, wie Sie aus beyliegen¬
dem Zettel sehen werden, nunmehr aufgetreten und hat sich dabey als einen
wakren Sohn gezeigt. Er besiyt von Natur gar manches, was durch keine
Mühe erworben wird, bildet er das aus, und sucht zu überwinden was ihm
etwa entgegensteht; so können Sie Freude an ihm erleben.

Nachdem ich sein Talent hie und da versucht hatte, kam ich auf den
einfachen Gedanken ihm den Gürge in den beyden Billets zu geben, den
soll er nun auch im Stammbaum und im Bürgergeneral machen,
wobey manches zu lernen ist. Das erstemal übereilte er die Rolle zu sehr;
weil aber jederman das Stück gleichsam auswendig weiß und er sich sehr
dreist, gewandt und artig benahm, auch einige naive Hauptstellen glücklich
heraushob; so gewann er sich Gunst und Beyfall, die sich, hoffe ich, nicht
vermindern sollen.

Er hat Lust zu dem Bruder des Mädchens von Marienburg bewiesen,
eine Rolle die ihm unser Becker abtritt, mit dem er überhaupt in gutem
Verhältniß steht, dessen Dauer ich wünsche. Ich werde, ehe er auftritt,
jedesmal seine Rolle, es sey auf dem Theater, oder im Zimmer, hören, um
zu sehen, wo es hinaus geht. An fortdauernden Erinnerungen, besonders,
anfangs, wegen des technischen, soll es nicht fehlen. Uebrigens kann man
bey seinem Talent dem Glück und der Routine viel überlassen.

Bey einer Theaterdirecktion ist, wie Sie wissen, wenig Freude und Trost
zu erleben, indessen hoffe und wünsche ich daß er mir die Zufriedenheit, die
ich mir, in der Folge, von Ihm verspreche, nicht verkümmern werde.

Gegen Weihnachten will ich mit seinem Hausvater, dem Professor Kast¬
rier, ein ausführliches Gespräch halten, der bis dahin schon mehr Gelegenheit
hat ihn kennen zu lernen.

Theilen Sie meinen Brief Ihrem werthen Gatten, nebst vielen Empfeh¬
lungen, mit. Jedermann will den Vater in diesem Sprößling sehen, möge
er doch bey uns recht wohl gedeihen!


Ich drücke Ihnen die Hand und küsse Ihre freundlichen Augen. W. d. 2. Dez. 1802. Goethe.


Verantwortliche Redacteure: Gustav Freytag u. Julius Eckardt.
Verlag von F. L. Herbig. -- Druck von Hüthel Legler in Leipzig.

natürlichem Humor, Charakteristik im Ausdruck beim Personen- und Situa¬
tionswechsel, daß ich nun weiter keinen Zweifel an ihm hegte. Er trat in
der Rolle als Gorge in den beiden Billets mit Beifall auf und zeigte sich
besonders in natürlich humoristischen Rollen aufs wünschenswertheste.

Es folgt Goethe's eigenhändiger Brief, dessen artiger Schluß besonderer
Beachtung empfohlen wird:

Ihr Söhnlein, meine liebe kleine Freundin, ist, wie Sie aus beyliegen¬
dem Zettel sehen werden, nunmehr aufgetreten und hat sich dabey als einen
wakren Sohn gezeigt. Er besiyt von Natur gar manches, was durch keine
Mühe erworben wird, bildet er das aus, und sucht zu überwinden was ihm
etwa entgegensteht; so können Sie Freude an ihm erleben.

Nachdem ich sein Talent hie und da versucht hatte, kam ich auf den
einfachen Gedanken ihm den Gürge in den beyden Billets zu geben, den
soll er nun auch im Stammbaum und im Bürgergeneral machen,
wobey manches zu lernen ist. Das erstemal übereilte er die Rolle zu sehr;
weil aber jederman das Stück gleichsam auswendig weiß und er sich sehr
dreist, gewandt und artig benahm, auch einige naive Hauptstellen glücklich
heraushob; so gewann er sich Gunst und Beyfall, die sich, hoffe ich, nicht
vermindern sollen.

Er hat Lust zu dem Bruder des Mädchens von Marienburg bewiesen,
eine Rolle die ihm unser Becker abtritt, mit dem er überhaupt in gutem
Verhältniß steht, dessen Dauer ich wünsche. Ich werde, ehe er auftritt,
jedesmal seine Rolle, es sey auf dem Theater, oder im Zimmer, hören, um
zu sehen, wo es hinaus geht. An fortdauernden Erinnerungen, besonders,
anfangs, wegen des technischen, soll es nicht fehlen. Uebrigens kann man
bey seinem Talent dem Glück und der Routine viel überlassen.

Bey einer Theaterdirecktion ist, wie Sie wissen, wenig Freude und Trost
zu erleben, indessen hoffe und wünsche ich daß er mir die Zufriedenheit, die
ich mir, in der Folge, von Ihm verspreche, nicht verkümmern werde.

Gegen Weihnachten will ich mit seinem Hausvater, dem Professor Kast¬
rier, ein ausführliches Gespräch halten, der bis dahin schon mehr Gelegenheit
hat ihn kennen zu lernen.

Theilen Sie meinen Brief Ihrem werthen Gatten, nebst vielen Empfeh¬
lungen, mit. Jedermann will den Vater in diesem Sprößling sehen, möge
er doch bey uns recht wohl gedeihen!


Ich drücke Ihnen die Hand und küsse Ihre freundlichen Augen. W. d. 2. Dez. 1802. Goethe.


Verantwortliche Redacteure: Gustav Freytag u. Julius Eckardt.
Verlag von F. L. Herbig. — Druck von Hüthel Legler in Leipzig.
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[0288] natürlichem Humor, Charakteristik im Ausdruck beim Personen- und Situa¬ tionswechsel, daß ich nun weiter keinen Zweifel an ihm hegte. Er trat in der Rolle als Gorge in den beiden Billets mit Beifall auf und zeigte sich besonders in natürlich humoristischen Rollen aufs wünschenswertheste. Es folgt Goethe's eigenhändiger Brief, dessen artiger Schluß besonderer Beachtung empfohlen wird: Ihr Söhnlein, meine liebe kleine Freundin, ist, wie Sie aus beyliegen¬ dem Zettel sehen werden, nunmehr aufgetreten und hat sich dabey als einen wakren Sohn gezeigt. Er besiyt von Natur gar manches, was durch keine Mühe erworben wird, bildet er das aus, und sucht zu überwinden was ihm etwa entgegensteht; so können Sie Freude an ihm erleben. Nachdem ich sein Talent hie und da versucht hatte, kam ich auf den einfachen Gedanken ihm den Gürge in den beyden Billets zu geben, den soll er nun auch im Stammbaum und im Bürgergeneral machen, wobey manches zu lernen ist. Das erstemal übereilte er die Rolle zu sehr; weil aber jederman das Stück gleichsam auswendig weiß und er sich sehr dreist, gewandt und artig benahm, auch einige naive Hauptstellen glücklich heraushob; so gewann er sich Gunst und Beyfall, die sich, hoffe ich, nicht vermindern sollen. Er hat Lust zu dem Bruder des Mädchens von Marienburg bewiesen, eine Rolle die ihm unser Becker abtritt, mit dem er überhaupt in gutem Verhältniß steht, dessen Dauer ich wünsche. Ich werde, ehe er auftritt, jedesmal seine Rolle, es sey auf dem Theater, oder im Zimmer, hören, um zu sehen, wo es hinaus geht. An fortdauernden Erinnerungen, besonders, anfangs, wegen des technischen, soll es nicht fehlen. Uebrigens kann man bey seinem Talent dem Glück und der Routine viel überlassen. Bey einer Theaterdirecktion ist, wie Sie wissen, wenig Freude und Trost zu erleben, indessen hoffe und wünsche ich daß er mir die Zufriedenheit, die ich mir, in der Folge, von Ihm verspreche, nicht verkümmern werde. Gegen Weihnachten will ich mit seinem Hausvater, dem Professor Kast¬ rier, ein ausführliches Gespräch halten, der bis dahin schon mehr Gelegenheit hat ihn kennen zu lernen. Theilen Sie meinen Brief Ihrem werthen Gatten, nebst vielen Empfeh¬ lungen, mit. Jedermann will den Vater in diesem Sprößling sehen, möge er doch bey uns recht wohl gedeihen! Ich drücke Ihnen die Hand und küsse Ihre freundlichen Augen. W. d. 2. Dez. 1802. Goethe. Verantwortliche Redacteure: Gustav Freytag u. Julius Eckardt. Verlag von F. L. Herbig. — Druck von Hüthel Legler in Leipzig.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120686/288>, abgerufen am 24.07.2024.