Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

sein Salon wurde durch seine musterhaften Vorlesungen berühmt. Hier konnte
Einem wohl werden, denn abgesehen von der merkwürdigen Persönlichkeit
des Dichters mit den wunderbaren Augen, welche Niemand vergessen wird,
der in dieselben hineingeblickt hat, lauschte man gern den herrlichen Vorträgen
und es herrschte hier im Widerspruch mit den von Tieck's Gegnern aufgespreng¬
ten Gerüchten ein ungezwungener Ton anmuthiger und geistvoller Unterhal¬
tung. Je mehr Tieck's Einfluß und Bedeutung wuchs, desto verstimmter
und verbitterter wurde sein Verhältniß zu der immer ohnmächtiger wer¬
denden literarischen Coterie, welche früher Alles bestimmt und beherrscht
hatte. Auf beiden Seiten mochte, namentlich von den Anhängern mit Kritik
und Klatscherei harmlos und böswillig gesündigt worden sein. Da ließ sich
Tieck, vielfach gereizt, 1835 zur Veröffentlichung einer Märchennovelle, "die
Vogelscheuche", hinreißen, in der er das ganze Treiben des Liederkreises per-
stfflirte. Hell wurde darin arg mißhandelt; der Legationsrath Ledebrinna
war eine chargirte Caricatur, welche ihn bei denen, die ihn nicht kannten,
in ein falsches Licht stellen mußte. Der Hofrath Böttiger aber war als Ma¬
gister Ubique mit köstlichem Humor nach dem Leben gezeichnet. Man be¬
trachte nur die demselben in den Mund gelegten Worte, mit denen er sich
gegen eine Dame wegen übertriebenen Lobes rechtfertigt, welches dieselbe für
boshafte Ironie zu nehmen geneigt war: "Mein Fräulein, verdammen Sie
mich nicht, wenn Sie mich auch tadeln. Oft. da man mich überall um mein
Urtheil fragt, bin ich in großer Verlegenheit, und wenn ich mich nicht jener
Vielseitigkeit beflissen hätte, durch welche man allen Dingen eine gewisse
Seite abgewinnen lernt, die man zur Noth loben kann, so wüßte ich mir
gar nicht zu helfen. Nun klingt mein Lob oft für den Kenner ironisch,
wenn ich es auch ursprünglich nicht so gemeint habe, theils durch eine ge¬
wisse Uebertreibung, in die ich leicht verfalle, theils weil ich leider die Gabe
besitze, daß mir jetzt etwas tadelnswerth und im nächsten Momente preis¬
würdig erscheint. So bin ich denn Satyrikus und doch ehrlich, ein Schalk,
ohne mein Gewissen zu verletzen, und ein enthusiastischer Lobredner, ohne mir
viel dabei zu denken" --', hier hat man ein treues Bild der Eigenthümlich¬
keit dieses originellen Gelehrten. Böttiger hätte nach gewöhnlicher Menschen¬
art diesen Schimpf dem Tieck nie vergeben dürfen. Er war aber von der
Weimarischen Zeit her daran gewöhnt, sich'mit den bittersten Feinden, wie
damals mit Goethe und Schiller, möglichst gut zu stellen, und so wurde er
in Kurzem mit Tieck versöhnt und erschien vor seinem bald darauf erfolgen¬
den Tode mehrmals in dessen Salon. Darum konnte auch Prof. Vogel
von Vogelstein, der 1836 ein Bild ausstellte, wie Tieck in Gegenwart von
Hausgenossen und Gästen in seinem Zimmer von David modellirt wird, die
charakteristische Figur des alten schmunzelnden Herrn mit anbringen.


Vrenzboten II. 1869 34

sein Salon wurde durch seine musterhaften Vorlesungen berühmt. Hier konnte
Einem wohl werden, denn abgesehen von der merkwürdigen Persönlichkeit
des Dichters mit den wunderbaren Augen, welche Niemand vergessen wird,
der in dieselben hineingeblickt hat, lauschte man gern den herrlichen Vorträgen
und es herrschte hier im Widerspruch mit den von Tieck's Gegnern aufgespreng¬
ten Gerüchten ein ungezwungener Ton anmuthiger und geistvoller Unterhal¬
tung. Je mehr Tieck's Einfluß und Bedeutung wuchs, desto verstimmter
und verbitterter wurde sein Verhältniß zu der immer ohnmächtiger wer¬
denden literarischen Coterie, welche früher Alles bestimmt und beherrscht
hatte. Auf beiden Seiten mochte, namentlich von den Anhängern mit Kritik
und Klatscherei harmlos und böswillig gesündigt worden sein. Da ließ sich
Tieck, vielfach gereizt, 1835 zur Veröffentlichung einer Märchennovelle, „die
Vogelscheuche", hinreißen, in der er das ganze Treiben des Liederkreises per-
stfflirte. Hell wurde darin arg mißhandelt; der Legationsrath Ledebrinna
war eine chargirte Caricatur, welche ihn bei denen, die ihn nicht kannten,
in ein falsches Licht stellen mußte. Der Hofrath Böttiger aber war als Ma¬
gister Ubique mit köstlichem Humor nach dem Leben gezeichnet. Man be¬
trachte nur die demselben in den Mund gelegten Worte, mit denen er sich
gegen eine Dame wegen übertriebenen Lobes rechtfertigt, welches dieselbe für
boshafte Ironie zu nehmen geneigt war: „Mein Fräulein, verdammen Sie
mich nicht, wenn Sie mich auch tadeln. Oft. da man mich überall um mein
Urtheil fragt, bin ich in großer Verlegenheit, und wenn ich mich nicht jener
Vielseitigkeit beflissen hätte, durch welche man allen Dingen eine gewisse
Seite abgewinnen lernt, die man zur Noth loben kann, so wüßte ich mir
gar nicht zu helfen. Nun klingt mein Lob oft für den Kenner ironisch,
wenn ich es auch ursprünglich nicht so gemeint habe, theils durch eine ge¬
wisse Uebertreibung, in die ich leicht verfalle, theils weil ich leider die Gabe
besitze, daß mir jetzt etwas tadelnswerth und im nächsten Momente preis¬
würdig erscheint. So bin ich denn Satyrikus und doch ehrlich, ein Schalk,
ohne mein Gewissen zu verletzen, und ein enthusiastischer Lobredner, ohne mir
viel dabei zu denken" —', hier hat man ein treues Bild der Eigenthümlich¬
keit dieses originellen Gelehrten. Böttiger hätte nach gewöhnlicher Menschen¬
art diesen Schimpf dem Tieck nie vergeben dürfen. Er war aber von der
Weimarischen Zeit her daran gewöhnt, sich'mit den bittersten Feinden, wie
damals mit Goethe und Schiller, möglichst gut zu stellen, und so wurde er
in Kurzem mit Tieck versöhnt und erschien vor seinem bald darauf erfolgen¬
den Tode mehrmals in dessen Salon. Darum konnte auch Prof. Vogel
von Vogelstein, der 1836 ein Bild ausstellte, wie Tieck in Gegenwart von
Hausgenossen und Gästen in seinem Zimmer von David modellirt wird, die
charakteristische Figur des alten schmunzelnden Herrn mit anbringen.


Vrenzboten II. 1869 34
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0273" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/120960"/>
          <p xml:id="ID_837" prev="#ID_836"> sein Salon wurde durch seine musterhaften Vorlesungen berühmt.  Hier konnte<lb/>
Einem wohl werden, denn abgesehen von der merkwürdigen Persönlichkeit<lb/>
des Dichters mit den wunderbaren Augen, welche Niemand vergessen wird,<lb/>
der in dieselben hineingeblickt hat, lauschte man gern den herrlichen Vorträgen<lb/>
und es herrschte hier im Widerspruch mit den von Tieck's Gegnern aufgespreng¬<lb/>
ten Gerüchten ein ungezwungener Ton anmuthiger und geistvoller Unterhal¬<lb/>
tung.  Je mehr Tieck's Einfluß und Bedeutung wuchs, desto verstimmter<lb/>
und verbitterter wurde sein Verhältniß zu der immer ohnmächtiger wer¬<lb/>
denden literarischen Coterie, welche früher Alles bestimmt und beherrscht<lb/>
hatte. Auf beiden Seiten mochte, namentlich von den Anhängern mit Kritik<lb/>
und Klatscherei harmlos und böswillig gesündigt worden sein.  Da ließ sich<lb/>
Tieck, vielfach gereizt, 1835 zur Veröffentlichung einer Märchennovelle, &#x201E;die<lb/>
Vogelscheuche", hinreißen, in der er das ganze Treiben des Liederkreises per-<lb/>
stfflirte.  Hell wurde darin arg mißhandelt; der Legationsrath Ledebrinna<lb/>
war eine chargirte Caricatur, welche ihn bei denen, die ihn nicht kannten,<lb/>
in ein falsches Licht stellen mußte.  Der Hofrath Böttiger aber war als Ma¬<lb/>
gister Ubique mit  köstlichem Humor nach dem Leben gezeichnet.  Man be¬<lb/>
trachte nur die demselben in den Mund gelegten Worte, mit denen er sich<lb/>
gegen eine Dame wegen übertriebenen Lobes rechtfertigt, welches dieselbe für<lb/>
boshafte Ironie zu nehmen geneigt war: &#x201E;Mein Fräulein, verdammen Sie<lb/>
mich nicht, wenn Sie mich auch tadeln.  Oft. da man mich überall um mein<lb/>
Urtheil fragt, bin ich in großer Verlegenheit, und wenn ich mich nicht jener<lb/>
Vielseitigkeit beflissen hätte, durch welche man allen Dingen eine gewisse<lb/>
Seite abgewinnen lernt, die man zur Noth loben kann, so wüßte ich mir<lb/>
gar nicht zu helfen.  Nun klingt mein Lob oft für den Kenner ironisch,<lb/>
wenn ich es auch ursprünglich nicht so gemeint habe, theils durch eine ge¬<lb/>
wisse Uebertreibung, in die ich leicht verfalle, theils weil ich leider die Gabe<lb/>
besitze, daß mir jetzt etwas tadelnswerth und im nächsten Momente preis¬<lb/>
würdig erscheint.  So bin ich denn Satyrikus und doch ehrlich, ein Schalk,<lb/>
ohne mein Gewissen zu verletzen, und ein enthusiastischer Lobredner, ohne mir<lb/>
viel dabei zu denken" &#x2014;', hier hat man ein treues Bild der Eigenthümlich¬<lb/>
keit dieses originellen Gelehrten.  Böttiger hätte nach gewöhnlicher Menschen¬<lb/>
art diesen Schimpf dem Tieck nie vergeben dürfen.  Er war aber von der<lb/>
Weimarischen Zeit her daran gewöhnt, sich'mit den bittersten Feinden, wie<lb/>
damals mit Goethe und Schiller, möglichst gut zu stellen, und so wurde er<lb/>
in Kurzem mit Tieck versöhnt und erschien vor seinem bald darauf erfolgen¬<lb/>
den Tode mehrmals in dessen Salon.  Darum konnte auch Prof. Vogel<lb/>
von Vogelstein, der 1836 ein Bild ausstellte, wie Tieck in Gegenwart von<lb/>
Hausgenossen und Gästen in seinem Zimmer von David modellirt wird, die<lb/>
charakteristische Figur des alten schmunzelnden Herrn mit anbringen.</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Vrenzboten II. 1869 34</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0273] sein Salon wurde durch seine musterhaften Vorlesungen berühmt. Hier konnte Einem wohl werden, denn abgesehen von der merkwürdigen Persönlichkeit des Dichters mit den wunderbaren Augen, welche Niemand vergessen wird, der in dieselben hineingeblickt hat, lauschte man gern den herrlichen Vorträgen und es herrschte hier im Widerspruch mit den von Tieck's Gegnern aufgespreng¬ ten Gerüchten ein ungezwungener Ton anmuthiger und geistvoller Unterhal¬ tung. Je mehr Tieck's Einfluß und Bedeutung wuchs, desto verstimmter und verbitterter wurde sein Verhältniß zu der immer ohnmächtiger wer¬ denden literarischen Coterie, welche früher Alles bestimmt und beherrscht hatte. Auf beiden Seiten mochte, namentlich von den Anhängern mit Kritik und Klatscherei harmlos und böswillig gesündigt worden sein. Da ließ sich Tieck, vielfach gereizt, 1835 zur Veröffentlichung einer Märchennovelle, „die Vogelscheuche", hinreißen, in der er das ganze Treiben des Liederkreises per- stfflirte. Hell wurde darin arg mißhandelt; der Legationsrath Ledebrinna war eine chargirte Caricatur, welche ihn bei denen, die ihn nicht kannten, in ein falsches Licht stellen mußte. Der Hofrath Böttiger aber war als Ma¬ gister Ubique mit köstlichem Humor nach dem Leben gezeichnet. Man be¬ trachte nur die demselben in den Mund gelegten Worte, mit denen er sich gegen eine Dame wegen übertriebenen Lobes rechtfertigt, welches dieselbe für boshafte Ironie zu nehmen geneigt war: „Mein Fräulein, verdammen Sie mich nicht, wenn Sie mich auch tadeln. Oft. da man mich überall um mein Urtheil fragt, bin ich in großer Verlegenheit, und wenn ich mich nicht jener Vielseitigkeit beflissen hätte, durch welche man allen Dingen eine gewisse Seite abgewinnen lernt, die man zur Noth loben kann, so wüßte ich mir gar nicht zu helfen. Nun klingt mein Lob oft für den Kenner ironisch, wenn ich es auch ursprünglich nicht so gemeint habe, theils durch eine ge¬ wisse Uebertreibung, in die ich leicht verfalle, theils weil ich leider die Gabe besitze, daß mir jetzt etwas tadelnswerth und im nächsten Momente preis¬ würdig erscheint. So bin ich denn Satyrikus und doch ehrlich, ein Schalk, ohne mein Gewissen zu verletzen, und ein enthusiastischer Lobredner, ohne mir viel dabei zu denken" —', hier hat man ein treues Bild der Eigenthümlich¬ keit dieses originellen Gelehrten. Böttiger hätte nach gewöhnlicher Menschen¬ art diesen Schimpf dem Tieck nie vergeben dürfen. Er war aber von der Weimarischen Zeit her daran gewöhnt, sich'mit den bittersten Feinden, wie damals mit Goethe und Schiller, möglichst gut zu stellen, und so wurde er in Kurzem mit Tieck versöhnt und erschien vor seinem bald darauf erfolgen¬ den Tode mehrmals in dessen Salon. Darum konnte auch Prof. Vogel von Vogelstein, der 1836 ein Bild ausstellte, wie Tieck in Gegenwart von Hausgenossen und Gästen in seinem Zimmer von David modellirt wird, die charakteristische Figur des alten schmunzelnden Herrn mit anbringen. Vrenzboten II. 1869 34

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120686
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120686/273
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120686/273>, abgerufen am 04.07.2024.