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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band.

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die wir doch hier wiedergeben wollen. Bismarck war damals 33 Jahre alt,
und schreibt von seiner "21jährigen Jugend": "Wie hat meine Weltan¬
schauung doch in den 14 Jahren seitdem so viele Verwandlungen durch¬
gemacht, von denen ich immer die gerade gegenwärtige für die rechte Ge¬
staltung hielt, und wie vieles ist mir jetzt klein, was damals groß erschien,
wie vieles jetzt ehrwürdig, was ich damals verspottete! Wie manches Laub
mag noch an unserm innern Menschen ausgrünen, schatten, rauschen und
werthlos welken, bis wieder 14 Jahre vorüber sind, bis 1865, wenn wirs
erleben."

In die Briefe aus der Petersburger Zeit fallen bisweilen dunkele Streif¬
lichter einer düsteren Weltanschauung. Körperliches Mißbefinden, sowie der
Kampf und Streit des Lebens scheinen den bisher so frischen Muth des
starken Mannes getrübt zu haben. --

Doch enden wir diese über Gebühr ausgedehnte Besprechung. Die mit¬
getheilten Briefe sind in ihrer Mehrzahl nicht nur eine werthvolle Zugabe,
sie sind der eigentliche Kern und Inhalt und, wohl auch der Zweck des
Buches. Sie sollen uns in den Stand setzen, noch bei Lebzeiten des Mannes,
in dessen Hände die Geschichte unseres Vaterlandes gelegt sind, menschlich
mit ihm zu empfinden, uns an seinen Herd zu setzen, in die weite Welt mit
ihm zu streifen. Hoffnungen und Befürchtungen mit ihm zu theilen.

Immerhin ist es schwer begreiflich, daß Graf Bismarck dies werthvolle
Material in solche Hände legen konnte. Denn zum Schluß müssen wir es
noch einmal sagen: Es ergreift uns in Wahrheit ein patriotischer Zorn,
wenn wir den deutschen Staatsmann in dieser Weise mißhandelt sehen. Be¬
schränkter Parteistandpunkt hat sein Bild getrübt; das Ganze ist ein faber
belletristischer Flitterkram; darunter glänzen die Briefe wie echte Perlen. --
Nur über Eines sind wir sicher. Es werden dereinst Andere kommen, die
von dem Starken auch ein großes Bild entwerfen.


C.


Aus Baden.

Während im Norden Deutschlands die öffentliche Aufmerksamkeit durch
die Verhandlungen des Reichstages in Anspruch genommen wird, ist man
im Süden vorzugsweise mit den MißHelligkeiten beschäftigt, welche neuer¬
dings in die Beziehungen der katholischen Kirche zu den Staatsregierungen
von Bayern und Württemberg eine bemerkenswerthe Spannung gebracht
haben, Baden aber schon seit Jahren zum Schauplatze eines erbitterten


die wir doch hier wiedergeben wollen. Bismarck war damals 33 Jahre alt,
und schreibt von seiner „21jährigen Jugend": „Wie hat meine Weltan¬
schauung doch in den 14 Jahren seitdem so viele Verwandlungen durch¬
gemacht, von denen ich immer die gerade gegenwärtige für die rechte Ge¬
staltung hielt, und wie vieles ist mir jetzt klein, was damals groß erschien,
wie vieles jetzt ehrwürdig, was ich damals verspottete! Wie manches Laub
mag noch an unserm innern Menschen ausgrünen, schatten, rauschen und
werthlos welken, bis wieder 14 Jahre vorüber sind, bis 1865, wenn wirs
erleben."

In die Briefe aus der Petersburger Zeit fallen bisweilen dunkele Streif¬
lichter einer düsteren Weltanschauung. Körperliches Mißbefinden, sowie der
Kampf und Streit des Lebens scheinen den bisher so frischen Muth des
starken Mannes getrübt zu haben. —

Doch enden wir diese über Gebühr ausgedehnte Besprechung. Die mit¬
getheilten Briefe sind in ihrer Mehrzahl nicht nur eine werthvolle Zugabe,
sie sind der eigentliche Kern und Inhalt und, wohl auch der Zweck des
Buches. Sie sollen uns in den Stand setzen, noch bei Lebzeiten des Mannes,
in dessen Hände die Geschichte unseres Vaterlandes gelegt sind, menschlich
mit ihm zu empfinden, uns an seinen Herd zu setzen, in die weite Welt mit
ihm zu streifen. Hoffnungen und Befürchtungen mit ihm zu theilen.

Immerhin ist es schwer begreiflich, daß Graf Bismarck dies werthvolle
Material in solche Hände legen konnte. Denn zum Schluß müssen wir es
noch einmal sagen: Es ergreift uns in Wahrheit ein patriotischer Zorn,
wenn wir den deutschen Staatsmann in dieser Weise mißhandelt sehen. Be¬
schränkter Parteistandpunkt hat sein Bild getrübt; das Ganze ist ein faber
belletristischer Flitterkram; darunter glänzen die Briefe wie echte Perlen. —
Nur über Eines sind wir sicher. Es werden dereinst Andere kommen, die
von dem Starken auch ein großes Bild entwerfen.


C.


Aus Baden.

Während im Norden Deutschlands die öffentliche Aufmerksamkeit durch
die Verhandlungen des Reichstages in Anspruch genommen wird, ist man
im Süden vorzugsweise mit den MißHelligkeiten beschäftigt, welche neuer¬
dings in die Beziehungen der katholischen Kirche zu den Staatsregierungen
von Bayern und Württemberg eine bemerkenswerthe Spannung gebracht
haben, Baden aber schon seit Jahren zum Schauplatze eines erbitterten


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[0264] die wir doch hier wiedergeben wollen. Bismarck war damals 33 Jahre alt, und schreibt von seiner „21jährigen Jugend": „Wie hat meine Weltan¬ schauung doch in den 14 Jahren seitdem so viele Verwandlungen durch¬ gemacht, von denen ich immer die gerade gegenwärtige für die rechte Ge¬ staltung hielt, und wie vieles ist mir jetzt klein, was damals groß erschien, wie vieles jetzt ehrwürdig, was ich damals verspottete! Wie manches Laub mag noch an unserm innern Menschen ausgrünen, schatten, rauschen und werthlos welken, bis wieder 14 Jahre vorüber sind, bis 1865, wenn wirs erleben." In die Briefe aus der Petersburger Zeit fallen bisweilen dunkele Streif¬ lichter einer düsteren Weltanschauung. Körperliches Mißbefinden, sowie der Kampf und Streit des Lebens scheinen den bisher so frischen Muth des starken Mannes getrübt zu haben. — Doch enden wir diese über Gebühr ausgedehnte Besprechung. Die mit¬ getheilten Briefe sind in ihrer Mehrzahl nicht nur eine werthvolle Zugabe, sie sind der eigentliche Kern und Inhalt und, wohl auch der Zweck des Buches. Sie sollen uns in den Stand setzen, noch bei Lebzeiten des Mannes, in dessen Hände die Geschichte unseres Vaterlandes gelegt sind, menschlich mit ihm zu empfinden, uns an seinen Herd zu setzen, in die weite Welt mit ihm zu streifen. Hoffnungen und Befürchtungen mit ihm zu theilen. Immerhin ist es schwer begreiflich, daß Graf Bismarck dies werthvolle Material in solche Hände legen konnte. Denn zum Schluß müssen wir es noch einmal sagen: Es ergreift uns in Wahrheit ein patriotischer Zorn, wenn wir den deutschen Staatsmann in dieser Weise mißhandelt sehen. Be¬ schränkter Parteistandpunkt hat sein Bild getrübt; das Ganze ist ein faber belletristischer Flitterkram; darunter glänzen die Briefe wie echte Perlen. — Nur über Eines sind wir sicher. Es werden dereinst Andere kommen, die von dem Starken auch ein großes Bild entwerfen. C. Aus Baden. Während im Norden Deutschlands die öffentliche Aufmerksamkeit durch die Verhandlungen des Reichstages in Anspruch genommen wird, ist man im Süden vorzugsweise mit den MißHelligkeiten beschäftigt, welche neuer¬ dings in die Beziehungen der katholischen Kirche zu den Staatsregierungen von Bayern und Württemberg eine bemerkenswerthe Spannung gebracht haben, Baden aber schon seit Jahren zum Schauplatze eines erbitterten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120686/264>, abgerufen am 24.07.2024.