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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band.

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Widersprechen sie den liberalen und nationalen Bestrebungen der Gegenwart,
zu denen sich Graf Bismarck heute selbst bekennt. Man vergleiche S. 165,
171 u. a.

Das Einzige in dem Buch, was man loben kann, das aber nicht von
Herrn Hesekiel herrührt, um dessen willen allein es sich lohnt, das Werk zu
lesen; das sind die mitgetheilten zahlreichen Briefe Bismarcks. Mit Ausnahme
weniger, so viel uns bekannt schon früher gedruckter, sind fast alle Familien¬
briefe. Es wird selten vorkommen, daß schon bei Lebzeiten eines Mannes,
der noch an der Spitze eines großen Staates steht, dergleichen vertrauliche
Herzensergüsse veröffentlicht werden. Die Freunde und Verehrer des Grafen
Bismarck empfinden, daß dies ganz seinem offenen Charakter entspreche,
der gestattete, daß das mit seinem Wissen und Willen geschah; seine Gegner
werden nicht loben, daß er solche zweckvolle Redaction privater Correspon-
denz vornahm oder gar Herrn Hesekiel gestattete. Wir freuen uns aufrichtig
an vielem menschlich Ansprechenden, das darin geboten wird. Im Allgemeinen
ist nicht zu verschweigen, daß vielleicht auch hier eine strengere Auswahl zu
wünschen gewesen wäre; manche der abgedruckten Zettel sind doch zu unbe¬
deutend, auch wenn sie vom Grafen Bismarck herrühren. Aber die meisten
Briefe sind werthvoll, und ganz geeignet, einen Blick in das Innere dieses
merkwürdigen Mannes zu thun. Man findet die geistvolle Sprache, die be¬
zeichnenden Bilder wieder, die ihm auch in seinen Reden zu Gebote stehen;
man findet aber auch ein reiches Gemüthsleben, das Viele nicht in dem
trotzigen Kämpfer gesucht hätten.

Insbesondere hat Bismarck ein außerordentlich lebhaftes Naturgefühl;
seine Briefe enthalten eine ganze Reihe von Schilderungen aus Nord und
Süd, die ungemein anschaulich sind. Wir können hier keine Proben geben;
man muß die Briefe selbst lesen. Er sagt selbst von sich, er sei ein Natur¬
schwärmer; er liebe das Meer wie eine Geliebte u. s. w.; aber es ist mehr
als das; er hat ein feines landschaftliches Gefühl, und gibt uns eine Anzahl
höchst charakteristischer Bilder von fesselnden Reiz, die warm empfunden, auch
einen poetischen Eindruck machen. Wir übertreiben nicht. Man lese nur die
Briefe aus Ofen, aus der ungarischen Steppe, aus Rotterdam, aus der
nordischen Gevirgswildniß, aus Peterhof; ferner aus Frankreich, Schloß
Chambord, S. Sebastian, Pyrenäen u. a.

Durch alle Briefe zieht sich ein Hang zum Landleben, und ein aus¬
geprägtes Familiengefühl. Auf seinen Kreuz- und Querfahrten sehnt sich
der Schreiber gleich Odysseus nach Weib und Kind und nach dem stillen
Schönhausen. -- Sehr schön ist der Trostbries an seinen Schwager S. 241;
die religiöse Saite wird überhaupt öfters angeschlagen. Eine sehr merkwür¬
dige Stelle findet sich in dem Briefe aus Frankfurt v. 3. Juli 1851, S. 261,


Widersprechen sie den liberalen und nationalen Bestrebungen der Gegenwart,
zu denen sich Graf Bismarck heute selbst bekennt. Man vergleiche S. 165,
171 u. a.

Das Einzige in dem Buch, was man loben kann, das aber nicht von
Herrn Hesekiel herrührt, um dessen willen allein es sich lohnt, das Werk zu
lesen; das sind die mitgetheilten zahlreichen Briefe Bismarcks. Mit Ausnahme
weniger, so viel uns bekannt schon früher gedruckter, sind fast alle Familien¬
briefe. Es wird selten vorkommen, daß schon bei Lebzeiten eines Mannes,
der noch an der Spitze eines großen Staates steht, dergleichen vertrauliche
Herzensergüsse veröffentlicht werden. Die Freunde und Verehrer des Grafen
Bismarck empfinden, daß dies ganz seinem offenen Charakter entspreche,
der gestattete, daß das mit seinem Wissen und Willen geschah; seine Gegner
werden nicht loben, daß er solche zweckvolle Redaction privater Correspon-
denz vornahm oder gar Herrn Hesekiel gestattete. Wir freuen uns aufrichtig
an vielem menschlich Ansprechenden, das darin geboten wird. Im Allgemeinen
ist nicht zu verschweigen, daß vielleicht auch hier eine strengere Auswahl zu
wünschen gewesen wäre; manche der abgedruckten Zettel sind doch zu unbe¬
deutend, auch wenn sie vom Grafen Bismarck herrühren. Aber die meisten
Briefe sind werthvoll, und ganz geeignet, einen Blick in das Innere dieses
merkwürdigen Mannes zu thun. Man findet die geistvolle Sprache, die be¬
zeichnenden Bilder wieder, die ihm auch in seinen Reden zu Gebote stehen;
man findet aber auch ein reiches Gemüthsleben, das Viele nicht in dem
trotzigen Kämpfer gesucht hätten.

Insbesondere hat Bismarck ein außerordentlich lebhaftes Naturgefühl;
seine Briefe enthalten eine ganze Reihe von Schilderungen aus Nord und
Süd, die ungemein anschaulich sind. Wir können hier keine Proben geben;
man muß die Briefe selbst lesen. Er sagt selbst von sich, er sei ein Natur¬
schwärmer; er liebe das Meer wie eine Geliebte u. s. w.; aber es ist mehr
als das; er hat ein feines landschaftliches Gefühl, und gibt uns eine Anzahl
höchst charakteristischer Bilder von fesselnden Reiz, die warm empfunden, auch
einen poetischen Eindruck machen. Wir übertreiben nicht. Man lese nur die
Briefe aus Ofen, aus der ungarischen Steppe, aus Rotterdam, aus der
nordischen Gevirgswildniß, aus Peterhof; ferner aus Frankreich, Schloß
Chambord, S. Sebastian, Pyrenäen u. a.

Durch alle Briefe zieht sich ein Hang zum Landleben, und ein aus¬
geprägtes Familiengefühl. Auf seinen Kreuz- und Querfahrten sehnt sich
der Schreiber gleich Odysseus nach Weib und Kind und nach dem stillen
Schönhausen. — Sehr schön ist der Trostbries an seinen Schwager S. 241;
die religiöse Saite wird überhaupt öfters angeschlagen. Eine sehr merkwür¬
dige Stelle findet sich in dem Briefe aus Frankfurt v. 3. Juli 1851, S. 261,


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[0263] Widersprechen sie den liberalen und nationalen Bestrebungen der Gegenwart, zu denen sich Graf Bismarck heute selbst bekennt. Man vergleiche S. 165, 171 u. a. Das Einzige in dem Buch, was man loben kann, das aber nicht von Herrn Hesekiel herrührt, um dessen willen allein es sich lohnt, das Werk zu lesen; das sind die mitgetheilten zahlreichen Briefe Bismarcks. Mit Ausnahme weniger, so viel uns bekannt schon früher gedruckter, sind fast alle Familien¬ briefe. Es wird selten vorkommen, daß schon bei Lebzeiten eines Mannes, der noch an der Spitze eines großen Staates steht, dergleichen vertrauliche Herzensergüsse veröffentlicht werden. Die Freunde und Verehrer des Grafen Bismarck empfinden, daß dies ganz seinem offenen Charakter entspreche, der gestattete, daß das mit seinem Wissen und Willen geschah; seine Gegner werden nicht loben, daß er solche zweckvolle Redaction privater Correspon- denz vornahm oder gar Herrn Hesekiel gestattete. Wir freuen uns aufrichtig an vielem menschlich Ansprechenden, das darin geboten wird. Im Allgemeinen ist nicht zu verschweigen, daß vielleicht auch hier eine strengere Auswahl zu wünschen gewesen wäre; manche der abgedruckten Zettel sind doch zu unbe¬ deutend, auch wenn sie vom Grafen Bismarck herrühren. Aber die meisten Briefe sind werthvoll, und ganz geeignet, einen Blick in das Innere dieses merkwürdigen Mannes zu thun. Man findet die geistvolle Sprache, die be¬ zeichnenden Bilder wieder, die ihm auch in seinen Reden zu Gebote stehen; man findet aber auch ein reiches Gemüthsleben, das Viele nicht in dem trotzigen Kämpfer gesucht hätten. Insbesondere hat Bismarck ein außerordentlich lebhaftes Naturgefühl; seine Briefe enthalten eine ganze Reihe von Schilderungen aus Nord und Süd, die ungemein anschaulich sind. Wir können hier keine Proben geben; man muß die Briefe selbst lesen. Er sagt selbst von sich, er sei ein Natur¬ schwärmer; er liebe das Meer wie eine Geliebte u. s. w.; aber es ist mehr als das; er hat ein feines landschaftliches Gefühl, und gibt uns eine Anzahl höchst charakteristischer Bilder von fesselnden Reiz, die warm empfunden, auch einen poetischen Eindruck machen. Wir übertreiben nicht. Man lese nur die Briefe aus Ofen, aus der ungarischen Steppe, aus Rotterdam, aus der nordischen Gevirgswildniß, aus Peterhof; ferner aus Frankreich, Schloß Chambord, S. Sebastian, Pyrenäen u. a. Durch alle Briefe zieht sich ein Hang zum Landleben, und ein aus¬ geprägtes Familiengefühl. Auf seinen Kreuz- und Querfahrten sehnt sich der Schreiber gleich Odysseus nach Weib und Kind und nach dem stillen Schönhausen. — Sehr schön ist der Trostbries an seinen Schwager S. 241; die religiöse Saite wird überhaupt öfters angeschlagen. Eine sehr merkwür¬ dige Stelle findet sich in dem Briefe aus Frankfurt v. 3. Juli 1851, S. 261,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120686/263>, abgerufen am 04.07.2024.