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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band.

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Urheber sind gewöhnlichem Urtheil nicht leicht verständlich. Wenn die preußi¬
schen Zeitungen behaupten, man habe dadurch die öffentliche Meinung in
Oestreich und Süddeutschland gegen Preußen erbittern wollen, so mußte, wer
jene Depesche unvollständig in das militärische Werk setzte, sich doch sagen,
daß eine Rücksichtslosigkeit Preußens gegen Italien bei jenem Kriege kein
großes Agitationsmittel gegenüber dem eigenen Volk und den Ultramontanen
Deutschlands sei. Man wollte vielleicht die Stimmung Italiens aufreizen?
Aber die Italiener gelten dafür, daß sie sehr lebhafte Empfindung für ge¬
selligen Anstand haben, und wenn sie durch ihre Zeitungen erfuhren, daß die
Behauptung der östreichischen Staatsschrift auf einer absichtlichen Täuschung
des Publicums beruhe, so war doch die entgegengesetzte Wirkung, d. h. eine
für die kaiserliche Regierung sehr ungünstige Schlußfolgerung nicht aufzu¬
halten. Wir glauben nicht, daß ein Soldat von Urtheil den Abdruck veranlaßt
hat, und wir glauben auch nicht, daß Graf Beust bei diesem Geschäft direct
betheiligt ist.

Wenn wir aber doch diesen Vorfall erklären sollen, so finden wir keine
andere Deutung, als die harmloseste, wie sie ja auch jene officielle Vertheidigung
ausspricht, und zugleich die traurigste von allen. Eine gewisse Stumpfheit des
Urtheils, eine kleine plumpe Schlauheit! Das Factum gilt in dem officiellen
Oestreich gar nicht für ein erwähnenswerthes Unrecht; es ist dort -- nach jener
Vertheidigung -- überhaupt nichts Besonderes und Auffallendes. Es ist dieselbe
Geschichte, wie mit jener Gußstahlkanone, welche einst der König von Preußen
dem Kaiser von Oestreich zum Geschenk gemacht hatte und welche während des
Krieges 1866 in den Straßen Wiens dem Volke gezeigt wurde als eine den
Preußen abgenommene Kriegsbeute. Und es ist eine ähnliche Geschichte, wie mit
jenem nie geschriebenen Briefe des Königs von Preußen, jenem Briefe, welcher
nachder Schlacht bei Solferino der östreichischen Staatsleitung die Ueberzeugung
gab, daß man mit Frankreich und Italien Frieden schließen müsse, weil
Preußen feindselig gegen Oestreich rüste, und welcher in denselben Tagen dem
östreichischen Volke denuncirt wurde, in denen die preußischen Truppen, um
Oestreich zu helfen, an den Rhein marschirten. Damals wollte man nachträglich
von Seiten Oestreichs die Schuld eines "Mißverständnisses" auf Frankreich
wälzen, und wenn wir nicht irren, verschwand der peinliche Zwischenfall von
der Tagesordnung erst mit dem Ausspruche König Wilhelm's: Kaiser Na¬
poleon sei nicht der Mann, einen falschen Brief vorzulegen.

Wenn noch heute viele wackere Männer in Oestreich uns Deutsche eines
Mangels an freundlicher Gesinnung und warmer Theilnahme mit ihrem
Schicksal zeihen und die schroffe Haltung des Nordens anklagen, so mögen
sie aus diesem Vorfall die Ueberzeugung gewinnen, daß nicht uns der gute
Wille fehlt, ihnen die Freundeshand über die Grenze zu reichen, son-


Urheber sind gewöhnlichem Urtheil nicht leicht verständlich. Wenn die preußi¬
schen Zeitungen behaupten, man habe dadurch die öffentliche Meinung in
Oestreich und Süddeutschland gegen Preußen erbittern wollen, so mußte, wer
jene Depesche unvollständig in das militärische Werk setzte, sich doch sagen,
daß eine Rücksichtslosigkeit Preußens gegen Italien bei jenem Kriege kein
großes Agitationsmittel gegenüber dem eigenen Volk und den Ultramontanen
Deutschlands sei. Man wollte vielleicht die Stimmung Italiens aufreizen?
Aber die Italiener gelten dafür, daß sie sehr lebhafte Empfindung für ge¬
selligen Anstand haben, und wenn sie durch ihre Zeitungen erfuhren, daß die
Behauptung der östreichischen Staatsschrift auf einer absichtlichen Täuschung
des Publicums beruhe, so war doch die entgegengesetzte Wirkung, d. h. eine
für die kaiserliche Regierung sehr ungünstige Schlußfolgerung nicht aufzu¬
halten. Wir glauben nicht, daß ein Soldat von Urtheil den Abdruck veranlaßt
hat, und wir glauben auch nicht, daß Graf Beust bei diesem Geschäft direct
betheiligt ist.

Wenn wir aber doch diesen Vorfall erklären sollen, so finden wir keine
andere Deutung, als die harmloseste, wie sie ja auch jene officielle Vertheidigung
ausspricht, und zugleich die traurigste von allen. Eine gewisse Stumpfheit des
Urtheils, eine kleine plumpe Schlauheit! Das Factum gilt in dem officiellen
Oestreich gar nicht für ein erwähnenswerthes Unrecht; es ist dort — nach jener
Vertheidigung — überhaupt nichts Besonderes und Auffallendes. Es ist dieselbe
Geschichte, wie mit jener Gußstahlkanone, welche einst der König von Preußen
dem Kaiser von Oestreich zum Geschenk gemacht hatte und welche während des
Krieges 1866 in den Straßen Wiens dem Volke gezeigt wurde als eine den
Preußen abgenommene Kriegsbeute. Und es ist eine ähnliche Geschichte, wie mit
jenem nie geschriebenen Briefe des Königs von Preußen, jenem Briefe, welcher
nachder Schlacht bei Solferino der östreichischen Staatsleitung die Ueberzeugung
gab, daß man mit Frankreich und Italien Frieden schließen müsse, weil
Preußen feindselig gegen Oestreich rüste, und welcher in denselben Tagen dem
östreichischen Volke denuncirt wurde, in denen die preußischen Truppen, um
Oestreich zu helfen, an den Rhein marschirten. Damals wollte man nachträglich
von Seiten Oestreichs die Schuld eines „Mißverständnisses" auf Frankreich
wälzen, und wenn wir nicht irren, verschwand der peinliche Zwischenfall von
der Tagesordnung erst mit dem Ausspruche König Wilhelm's: Kaiser Na¬
poleon sei nicht der Mann, einen falschen Brief vorzulegen.

Wenn noch heute viele wackere Männer in Oestreich uns Deutsche eines
Mangels an freundlicher Gesinnung und warmer Theilnahme mit ihrem
Schicksal zeihen und die schroffe Haltung des Nordens anklagen, so mögen
sie aus diesem Vorfall die Ueberzeugung gewinnen, daß nicht uns der gute
Wille fehlt, ihnen die Freundeshand über die Grenze zu reichen, son-


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[0255] Urheber sind gewöhnlichem Urtheil nicht leicht verständlich. Wenn die preußi¬ schen Zeitungen behaupten, man habe dadurch die öffentliche Meinung in Oestreich und Süddeutschland gegen Preußen erbittern wollen, so mußte, wer jene Depesche unvollständig in das militärische Werk setzte, sich doch sagen, daß eine Rücksichtslosigkeit Preußens gegen Italien bei jenem Kriege kein großes Agitationsmittel gegenüber dem eigenen Volk und den Ultramontanen Deutschlands sei. Man wollte vielleicht die Stimmung Italiens aufreizen? Aber die Italiener gelten dafür, daß sie sehr lebhafte Empfindung für ge¬ selligen Anstand haben, und wenn sie durch ihre Zeitungen erfuhren, daß die Behauptung der östreichischen Staatsschrift auf einer absichtlichen Täuschung des Publicums beruhe, so war doch die entgegengesetzte Wirkung, d. h. eine für die kaiserliche Regierung sehr ungünstige Schlußfolgerung nicht aufzu¬ halten. Wir glauben nicht, daß ein Soldat von Urtheil den Abdruck veranlaßt hat, und wir glauben auch nicht, daß Graf Beust bei diesem Geschäft direct betheiligt ist. Wenn wir aber doch diesen Vorfall erklären sollen, so finden wir keine andere Deutung, als die harmloseste, wie sie ja auch jene officielle Vertheidigung ausspricht, und zugleich die traurigste von allen. Eine gewisse Stumpfheit des Urtheils, eine kleine plumpe Schlauheit! Das Factum gilt in dem officiellen Oestreich gar nicht für ein erwähnenswerthes Unrecht; es ist dort — nach jener Vertheidigung — überhaupt nichts Besonderes und Auffallendes. Es ist dieselbe Geschichte, wie mit jener Gußstahlkanone, welche einst der König von Preußen dem Kaiser von Oestreich zum Geschenk gemacht hatte und welche während des Krieges 1866 in den Straßen Wiens dem Volke gezeigt wurde als eine den Preußen abgenommene Kriegsbeute. Und es ist eine ähnliche Geschichte, wie mit jenem nie geschriebenen Briefe des Königs von Preußen, jenem Briefe, welcher nachder Schlacht bei Solferino der östreichischen Staatsleitung die Ueberzeugung gab, daß man mit Frankreich und Italien Frieden schließen müsse, weil Preußen feindselig gegen Oestreich rüste, und welcher in denselben Tagen dem östreichischen Volke denuncirt wurde, in denen die preußischen Truppen, um Oestreich zu helfen, an den Rhein marschirten. Damals wollte man nachträglich von Seiten Oestreichs die Schuld eines „Mißverständnisses" auf Frankreich wälzen, und wenn wir nicht irren, verschwand der peinliche Zwischenfall von der Tagesordnung erst mit dem Ausspruche König Wilhelm's: Kaiser Na¬ poleon sei nicht der Mann, einen falschen Brief vorzulegen. Wenn noch heute viele wackere Männer in Oestreich uns Deutsche eines Mangels an freundlicher Gesinnung und warmer Theilnahme mit ihrem Schicksal zeihen und die schroffe Haltung des Nordens anklagen, so mögen sie aus diesem Vorfall die Ueberzeugung gewinnen, daß nicht uns der gute Wille fehlt, ihnen die Freundeshand über die Grenze zu reichen, son-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120686/255>, abgerufen am 24.07.2024.