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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band.

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In manchen Punkten ist es auch den Bemühungen dieser Männer in Ver¬
bindung mit den Führern der nationalen Partei, namentlich dem Grafen Mün¬
ster und Rudolf von Bennigsen, gelungen, alte gute hannoversche Einrichtungen
zu retten; aber das Schlimmste, das Eindringen des Berliner bureaukratischen
Geistes in die ganze Verwaltung der Provinz haben sie bis jetzt nicht abzu¬
wenden vermocht. In großem Umfang ist allerdings Viel-Regiererei und
Viel-Schreiberei eingerissen, die dem frischen Leben Gefahr droht; ein Arbeiten
nach der Schablone, ein auf principiellen Mißtrauen beruhendes Controlir-
Shstem macht sich fühlbar, das überall Mißstimmung erregt und freudiges
Schaffen lähmt. Was soll man dazu sagen, wenn ein mit der Controle der
Cassen beauftragter Beamter an einem Orte, wo mehrere öffentliche Cassen
sich befinden, erst bei dem einen Cassen-Beamten nur den Baarbestand auf¬
nimmt und dann stehenden Fußes zu den andern Cassen eilt und sich auch
hier den Cassenbestand aufzählen läßt, ehe er die weitere Revision vornimmt
und erklärt, es geschehe das in Folge ausdrücklicher höherer Vorschrift, um
eine Malversation mehrerer miteinander durchstechender Cassen-Beamten zu
verhindern?*)

Das erste Princip der Hannover'schen Verwaltung war, jeden Beamten
als Gentleman zu behandeln, jetzt scheint oft das Gegentheil maßgebend,
was freilich, wie männiglich bekannt, keinen Rückschluß auf die Integrität
altpreußischer Beamten zuläßt, aber Uebelwollende doch zu häßlichen prak¬
tischen Vergleichen reizt. Dazu kommt ein leidiges Arbeiten nach Ministe-
rialentscheidungen ze., wie sich ja in Alt-Preußen eine umfangreiche Rescripten-
Literatur gebildet hat, aus der für den einzelnen Fall Rath geholt wird,
statt mit gewissenhafter Prüfung selbst an die Auslegung des Gesetzes zu
gehen. Vor Allem in der Steuerverwaltung herrscht in dieser Beziehung
ein wahres Unwesen und hat darüber sogar der Städtetag, wie der Provin-
ziallandtag Beschwerde zu führen für nothwendig gehalten. Der an die
Spitze der Steuerverwaltung gestellte Oberbeamte ist eine unpopuläre Per¬
sönlichkeit im Lande, trotz und zugleich wegen der staunenswerthen Ar¬
beitskraft und des Geschäftseifers, den er wiederum von allen Unter¬
gebenen mit einer Ausschließlichkeit verlangt, die mit dem sonstigen Ge¬
schäftskreise derselben in Mißverhältniß steht. Die Folge sind Verfügungen
über Verfügungen und häufige Eingriffe in die Rechte der Gemeinden, die
schon mehrere Magistrate zu energischen Protesten veranlaßt haben. Daneben
macht sich in allen Zweigen des öffentlichen Dienstes eine kleinliche Sparerei



Anm. d. Red. Was man dazu sagen soll? Daß der revidirende Beamte -- wahr¬
scheinlich steif und pedantisch -- seine volle Pflicht gethan hat. Wozu sind denn Cassen-
reviflonen?

In manchen Punkten ist es auch den Bemühungen dieser Männer in Ver¬
bindung mit den Führern der nationalen Partei, namentlich dem Grafen Mün¬
ster und Rudolf von Bennigsen, gelungen, alte gute hannoversche Einrichtungen
zu retten; aber das Schlimmste, das Eindringen des Berliner bureaukratischen
Geistes in die ganze Verwaltung der Provinz haben sie bis jetzt nicht abzu¬
wenden vermocht. In großem Umfang ist allerdings Viel-Regiererei und
Viel-Schreiberei eingerissen, die dem frischen Leben Gefahr droht; ein Arbeiten
nach der Schablone, ein auf principiellen Mißtrauen beruhendes Controlir-
Shstem macht sich fühlbar, das überall Mißstimmung erregt und freudiges
Schaffen lähmt. Was soll man dazu sagen, wenn ein mit der Controle der
Cassen beauftragter Beamter an einem Orte, wo mehrere öffentliche Cassen
sich befinden, erst bei dem einen Cassen-Beamten nur den Baarbestand auf¬
nimmt und dann stehenden Fußes zu den andern Cassen eilt und sich auch
hier den Cassenbestand aufzählen läßt, ehe er die weitere Revision vornimmt
und erklärt, es geschehe das in Folge ausdrücklicher höherer Vorschrift, um
eine Malversation mehrerer miteinander durchstechender Cassen-Beamten zu
verhindern?*)

Das erste Princip der Hannover'schen Verwaltung war, jeden Beamten
als Gentleman zu behandeln, jetzt scheint oft das Gegentheil maßgebend,
was freilich, wie männiglich bekannt, keinen Rückschluß auf die Integrität
altpreußischer Beamten zuläßt, aber Uebelwollende doch zu häßlichen prak¬
tischen Vergleichen reizt. Dazu kommt ein leidiges Arbeiten nach Ministe-
rialentscheidungen ze., wie sich ja in Alt-Preußen eine umfangreiche Rescripten-
Literatur gebildet hat, aus der für den einzelnen Fall Rath geholt wird,
statt mit gewissenhafter Prüfung selbst an die Auslegung des Gesetzes zu
gehen. Vor Allem in der Steuerverwaltung herrscht in dieser Beziehung
ein wahres Unwesen und hat darüber sogar der Städtetag, wie der Provin-
ziallandtag Beschwerde zu führen für nothwendig gehalten. Der an die
Spitze der Steuerverwaltung gestellte Oberbeamte ist eine unpopuläre Per¬
sönlichkeit im Lande, trotz und zugleich wegen der staunenswerthen Ar¬
beitskraft und des Geschäftseifers, den er wiederum von allen Unter¬
gebenen mit einer Ausschließlichkeit verlangt, die mit dem sonstigen Ge¬
schäftskreise derselben in Mißverhältniß steht. Die Folge sind Verfügungen
über Verfügungen und häufige Eingriffe in die Rechte der Gemeinden, die
schon mehrere Magistrate zu energischen Protesten veranlaßt haben. Daneben
macht sich in allen Zweigen des öffentlichen Dienstes eine kleinliche Sparerei



Anm. d. Red. Was man dazu sagen soll? Daß der revidirende Beamte — wahr¬
scheinlich steif und pedantisch — seine volle Pflicht gethan hat. Wozu sind denn Cassen-
reviflonen?
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[0244] In manchen Punkten ist es auch den Bemühungen dieser Männer in Ver¬ bindung mit den Führern der nationalen Partei, namentlich dem Grafen Mün¬ ster und Rudolf von Bennigsen, gelungen, alte gute hannoversche Einrichtungen zu retten; aber das Schlimmste, das Eindringen des Berliner bureaukratischen Geistes in die ganze Verwaltung der Provinz haben sie bis jetzt nicht abzu¬ wenden vermocht. In großem Umfang ist allerdings Viel-Regiererei und Viel-Schreiberei eingerissen, die dem frischen Leben Gefahr droht; ein Arbeiten nach der Schablone, ein auf principiellen Mißtrauen beruhendes Controlir- Shstem macht sich fühlbar, das überall Mißstimmung erregt und freudiges Schaffen lähmt. Was soll man dazu sagen, wenn ein mit der Controle der Cassen beauftragter Beamter an einem Orte, wo mehrere öffentliche Cassen sich befinden, erst bei dem einen Cassen-Beamten nur den Baarbestand auf¬ nimmt und dann stehenden Fußes zu den andern Cassen eilt und sich auch hier den Cassenbestand aufzählen läßt, ehe er die weitere Revision vornimmt und erklärt, es geschehe das in Folge ausdrücklicher höherer Vorschrift, um eine Malversation mehrerer miteinander durchstechender Cassen-Beamten zu verhindern?*) Das erste Princip der Hannover'schen Verwaltung war, jeden Beamten als Gentleman zu behandeln, jetzt scheint oft das Gegentheil maßgebend, was freilich, wie männiglich bekannt, keinen Rückschluß auf die Integrität altpreußischer Beamten zuläßt, aber Uebelwollende doch zu häßlichen prak¬ tischen Vergleichen reizt. Dazu kommt ein leidiges Arbeiten nach Ministe- rialentscheidungen ze., wie sich ja in Alt-Preußen eine umfangreiche Rescripten- Literatur gebildet hat, aus der für den einzelnen Fall Rath geholt wird, statt mit gewissenhafter Prüfung selbst an die Auslegung des Gesetzes zu gehen. Vor Allem in der Steuerverwaltung herrscht in dieser Beziehung ein wahres Unwesen und hat darüber sogar der Städtetag, wie der Provin- ziallandtag Beschwerde zu führen für nothwendig gehalten. Der an die Spitze der Steuerverwaltung gestellte Oberbeamte ist eine unpopuläre Per¬ sönlichkeit im Lande, trotz und zugleich wegen der staunenswerthen Ar¬ beitskraft und des Geschäftseifers, den er wiederum von allen Unter¬ gebenen mit einer Ausschließlichkeit verlangt, die mit dem sonstigen Ge¬ schäftskreise derselben in Mißverhältniß steht. Die Folge sind Verfügungen über Verfügungen und häufige Eingriffe in die Rechte der Gemeinden, die schon mehrere Magistrate zu energischen Protesten veranlaßt haben. Daneben macht sich in allen Zweigen des öffentlichen Dienstes eine kleinliche Sparerei Anm. d. Red. Was man dazu sagen soll? Daß der revidirende Beamte — wahr¬ scheinlich steif und pedantisch — seine volle Pflicht gethan hat. Wozu sind denn Cassen- reviflonen?

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120686/244>, abgerufen am 24.07.2024.