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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band.

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gehöhnt haben. Oestreich würde im Gegentheile gern sehen, daß Ihre Regierung
nicht blos mit Frankreich, sondern auch mit uns bräche, damit man zu Wien Sie
ganz in seiner Gewalt hätte. Die Erklärung des Herzogs von Broglie ist
veranlaßt worden durch die vorausgegangenen gemeinsamen Verhandlungen
der Höfe von Wien, Berlin und Se. Petersburg. Hätten sie stille geschwie¬
gen, und hätten Sie nicht an diesen Verhandlungen Theil genommen, so
hätten Sie sich nicht über die empfangene Antwort zu beklugen. Als wir
der Ansicht waren, daß Vernunft und gutes Recht auf Seite Ihrer Regie¬
rung seien, waren wir sehr gern bereit, Sie mit unseren guten Diensten zu
unterstützen. Aber im gegenwärtigen Fall sind wir der Meinung, daß sie
auf Seiten des Unrechts steht. Sie sprechen beständig von Ihrem Wunsch,
sich in den besten Beziehungen mit Frankreich zu halten, und gleichwohl
hören Sie nicht auf, seiner Negierung Verdruß zu bereiten und Proben von
Uebelwollen zu geben. Ich muß Ihnen sagen, wenn Sie gegen Frankreich
eine weniger freundschaftliche Haltung einnehmen, so werden wir urtheilen,
daß Sie nicht den mindesten Grund dazu haben, und folglich wird es uns
unmöglich sein, Sie zu unterstützen. Der Hauptgrund des besonderen In¬
teresses, das England bisher für Piemont gezeigt, war immer die unabhängige
Stellung, die Ihre Regierung gegen Oestreich und Frankreich bewahrt.
Ganz natürlich hört dieses Interesse von dem Augenblick an gänzlich auf,
da Ihr Land sich in eine östreichische Provinz verwandelt." (Depesche des
Grasen d'Aglie, 27. Jan. 1834.)

Als im Januar 1835 das auswärtige Ministerium dem Grafen Solaro
della Margherita übertragen wurde, schien die reaetionaire Tendenz der sar¬
dinischen Regierung nur noch mehr sich zu befestigen. Denn Margherita
war ein schroffer Dogmatiker des absoluten Fürstenrechts, keine "Transaction
mit den Principien des Liberalismus" war sein Hauptgrundsatz. Er hatte
seinen Wunsch nicht zurückgehalten, daß die französischen Legitimisten, deren
Mäßigung er beklagte, die Fahne der Empörung erheben möchten, und die
Unterstützung ihrer Sache durch die conservativen Höfe, ebenso wie in Spa¬
nien, empfohlen; in diesem Sinne hatten seine Rathschläge von Madrid aus
gelautet, wo er bis dahin Gesandter gewesen war, und wo er seinem
interimistischen Nachfolger Jnstructionen im Sinne der Begünstigung des
(artistischen Aufstandes zurückließ. Minister geworden, richtete er an den
König einen Bericht, worin er, die geheimsten Neigungen Karl Alberts wohl
kennend, die Krone nachdrücklich davor warnte, sich durch ein Bündniß mit
der liberalen Partei zu ehrgeizigen Zwecken zu beflecken. "Es ist eine allge¬
mein verbreitete Meinung, daß, um die Grenzen des eigenen Gebiets auszu¬
dehnen, dem Hause Savoyen nichts anderes nöthig wäre, als sich zu eini¬
gen vorgeblichen Reformen zu bequemen. Einen solchen Weg einschlagen,


gehöhnt haben. Oestreich würde im Gegentheile gern sehen, daß Ihre Regierung
nicht blos mit Frankreich, sondern auch mit uns bräche, damit man zu Wien Sie
ganz in seiner Gewalt hätte. Die Erklärung des Herzogs von Broglie ist
veranlaßt worden durch die vorausgegangenen gemeinsamen Verhandlungen
der Höfe von Wien, Berlin und Se. Petersburg. Hätten sie stille geschwie¬
gen, und hätten Sie nicht an diesen Verhandlungen Theil genommen, so
hätten Sie sich nicht über die empfangene Antwort zu beklugen. Als wir
der Ansicht waren, daß Vernunft und gutes Recht auf Seite Ihrer Regie¬
rung seien, waren wir sehr gern bereit, Sie mit unseren guten Diensten zu
unterstützen. Aber im gegenwärtigen Fall sind wir der Meinung, daß sie
auf Seiten des Unrechts steht. Sie sprechen beständig von Ihrem Wunsch,
sich in den besten Beziehungen mit Frankreich zu halten, und gleichwohl
hören Sie nicht auf, seiner Negierung Verdruß zu bereiten und Proben von
Uebelwollen zu geben. Ich muß Ihnen sagen, wenn Sie gegen Frankreich
eine weniger freundschaftliche Haltung einnehmen, so werden wir urtheilen,
daß Sie nicht den mindesten Grund dazu haben, und folglich wird es uns
unmöglich sein, Sie zu unterstützen. Der Hauptgrund des besonderen In¬
teresses, das England bisher für Piemont gezeigt, war immer die unabhängige
Stellung, die Ihre Regierung gegen Oestreich und Frankreich bewahrt.
Ganz natürlich hört dieses Interesse von dem Augenblick an gänzlich auf,
da Ihr Land sich in eine östreichische Provinz verwandelt." (Depesche des
Grasen d'Aglie, 27. Jan. 1834.)

Als im Januar 1835 das auswärtige Ministerium dem Grafen Solaro
della Margherita übertragen wurde, schien die reaetionaire Tendenz der sar¬
dinischen Regierung nur noch mehr sich zu befestigen. Denn Margherita
war ein schroffer Dogmatiker des absoluten Fürstenrechts, keine „Transaction
mit den Principien des Liberalismus" war sein Hauptgrundsatz. Er hatte
seinen Wunsch nicht zurückgehalten, daß die französischen Legitimisten, deren
Mäßigung er beklagte, die Fahne der Empörung erheben möchten, und die
Unterstützung ihrer Sache durch die conservativen Höfe, ebenso wie in Spa¬
nien, empfohlen; in diesem Sinne hatten seine Rathschläge von Madrid aus
gelautet, wo er bis dahin Gesandter gewesen war, und wo er seinem
interimistischen Nachfolger Jnstructionen im Sinne der Begünstigung des
(artistischen Aufstandes zurückließ. Minister geworden, richtete er an den
König einen Bericht, worin er, die geheimsten Neigungen Karl Alberts wohl
kennend, die Krone nachdrücklich davor warnte, sich durch ein Bündniß mit
der liberalen Partei zu ehrgeizigen Zwecken zu beflecken. „Es ist eine allge¬
mein verbreitete Meinung, daß, um die Grenzen des eigenen Gebiets auszu¬
dehnen, dem Hause Savoyen nichts anderes nöthig wäre, als sich zu eini¬
gen vorgeblichen Reformen zu bequemen. Einen solchen Weg einschlagen,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120686/232>, abgerufen am 04.07.2024.