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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band.

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cussion sich bereits so weit von ihrem natürlichen Ausgangspunkt entfernt,
war die Frage nach der Stellung des Grafen Bismarck zu den Antrag¬
stellern und zu der Majorität des Hauses so sehr zu ihrem Hauptinhalt ge¬
worden, daß dem Redner nichts übrig blieb, als den einmal thatsächlich
eingeschlagenen Weg weiter zu gehen, und die Consequenz zu ziehen, welche
am nächsten lag: daß wenn man einem Ministerpräsidenten College" geben
will, diese nicht die Aufgabe haben können, die Politik ihres Leiters zu hem¬
men, sondern daß sie derselben zu ersprießlicher Durchführung verhelfen sollen.
Laster's Deduction hat nicht nur das Verdienst, die bewegte Verhandlung
in ihre natürlichen Gleise zurückgeführt zu haben, sie hat zugleich an einen
constitutionellen Gedanken gemahnt, der trotz alles fortschrittlicken Eifers
für den Parlamentarismus, bei uns eigentlich immer im Winkel ge¬
legen hat. Unsere höchste Regierungsgewalt ist noch nicht von der Noth¬
wendigkeit überzeugt, daß Uebereinstimmung zwischen den Gliedern eines
Cabinets für eine geordnete Regierung ebenso unerläßlich ist, als Ueber¬
einstimmung mit der Majorität der Volksvertretung. Im Grunde genom¬
men liegt die Forderung der Solidarität zwischen Ministern noch näher,
als der Anspruch auf deren Uebereinstimmung mit der Majorität. -- Daß
der Bundesrath dem Reichstagobeschluß vom 16. April seine Bestätigung geben
wird, ist nach dem, was der Kanzler am Schluß der Debatte sagte, wohl nur
noch Frage der Zeit.

Der Antrag auf Einsetzung verantwortlicher Fachminister des nord¬
deutschen Bundes ist aber nicht der einzige, der von dem Wachsthum und
Expansionsbedürfniß unsres neuen Staats Zeugniß abgelegt hat. Zwei andere
Anträge (und wenn wir die Grundrecht'sche Bill für Unterordnung der
Küstenpolizei und des Btleuchtungswesens hinzuzählen -- drei) liegen in
derselben Richtung vor: die Miquel-Losker'jede Motion für Ausdehnung der
Bundescompetenz auf die Civilgefetzgebung und das Verlangen der königlich
sächsischen Staatsregierung nach Begründung eines obersten Bundesgerichts¬
hofes in Leipzig. So wenig zwischen den Antragstellern der einen und der
andern Forderung bewußte Interessen- und Jdeengemeinschaft angenommen
Werden kann, beide Anträge stehen nicht nur in materiellem Zusammenhang,
sondern sie ruhen auch auf dem Grunde der gemeinsamen, hier ausgesprochenen,
dort unausgesprochenen Ueberzeugung, daß die Entwickelung des Werkes vom
Jahre 1866 unaufhaltsam ist. und daß die Interessen der Deutschen mächtiger
und connexer sind, als alle Parteien.




cussion sich bereits so weit von ihrem natürlichen Ausgangspunkt entfernt,
war die Frage nach der Stellung des Grafen Bismarck zu den Antrag¬
stellern und zu der Majorität des Hauses so sehr zu ihrem Hauptinhalt ge¬
worden, daß dem Redner nichts übrig blieb, als den einmal thatsächlich
eingeschlagenen Weg weiter zu gehen, und die Consequenz zu ziehen, welche
am nächsten lag: daß wenn man einem Ministerpräsidenten College» geben
will, diese nicht die Aufgabe haben können, die Politik ihres Leiters zu hem¬
men, sondern daß sie derselben zu ersprießlicher Durchführung verhelfen sollen.
Laster's Deduction hat nicht nur das Verdienst, die bewegte Verhandlung
in ihre natürlichen Gleise zurückgeführt zu haben, sie hat zugleich an einen
constitutionellen Gedanken gemahnt, der trotz alles fortschrittlicken Eifers
für den Parlamentarismus, bei uns eigentlich immer im Winkel ge¬
legen hat. Unsere höchste Regierungsgewalt ist noch nicht von der Noth¬
wendigkeit überzeugt, daß Uebereinstimmung zwischen den Gliedern eines
Cabinets für eine geordnete Regierung ebenso unerläßlich ist, als Ueber¬
einstimmung mit der Majorität der Volksvertretung. Im Grunde genom¬
men liegt die Forderung der Solidarität zwischen Ministern noch näher,
als der Anspruch auf deren Uebereinstimmung mit der Majorität. — Daß
der Bundesrath dem Reichstagobeschluß vom 16. April seine Bestätigung geben
wird, ist nach dem, was der Kanzler am Schluß der Debatte sagte, wohl nur
noch Frage der Zeit.

Der Antrag auf Einsetzung verantwortlicher Fachminister des nord¬
deutschen Bundes ist aber nicht der einzige, der von dem Wachsthum und
Expansionsbedürfniß unsres neuen Staats Zeugniß abgelegt hat. Zwei andere
Anträge (und wenn wir die Grundrecht'sche Bill für Unterordnung der
Küstenpolizei und des Btleuchtungswesens hinzuzählen — drei) liegen in
derselben Richtung vor: die Miquel-Losker'jede Motion für Ausdehnung der
Bundescompetenz auf die Civilgefetzgebung und das Verlangen der königlich
sächsischen Staatsregierung nach Begründung eines obersten Bundesgerichts¬
hofes in Leipzig. So wenig zwischen den Antragstellern der einen und der
andern Forderung bewußte Interessen- und Jdeengemeinschaft angenommen
Werden kann, beide Anträge stehen nicht nur in materiellem Zusammenhang,
sondern sie ruhen auch auf dem Grunde der gemeinsamen, hier ausgesprochenen,
dort unausgesprochenen Ueberzeugung, daß die Entwickelung des Werkes vom
Jahre 1866 unaufhaltsam ist. und daß die Interessen der Deutschen mächtiger
und connexer sind, als alle Parteien.




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[0205] cussion sich bereits so weit von ihrem natürlichen Ausgangspunkt entfernt, war die Frage nach der Stellung des Grafen Bismarck zu den Antrag¬ stellern und zu der Majorität des Hauses so sehr zu ihrem Hauptinhalt ge¬ worden, daß dem Redner nichts übrig blieb, als den einmal thatsächlich eingeschlagenen Weg weiter zu gehen, und die Consequenz zu ziehen, welche am nächsten lag: daß wenn man einem Ministerpräsidenten College» geben will, diese nicht die Aufgabe haben können, die Politik ihres Leiters zu hem¬ men, sondern daß sie derselben zu ersprießlicher Durchführung verhelfen sollen. Laster's Deduction hat nicht nur das Verdienst, die bewegte Verhandlung in ihre natürlichen Gleise zurückgeführt zu haben, sie hat zugleich an einen constitutionellen Gedanken gemahnt, der trotz alles fortschrittlicken Eifers für den Parlamentarismus, bei uns eigentlich immer im Winkel ge¬ legen hat. Unsere höchste Regierungsgewalt ist noch nicht von der Noth¬ wendigkeit überzeugt, daß Uebereinstimmung zwischen den Gliedern eines Cabinets für eine geordnete Regierung ebenso unerläßlich ist, als Ueber¬ einstimmung mit der Majorität der Volksvertretung. Im Grunde genom¬ men liegt die Forderung der Solidarität zwischen Ministern noch näher, als der Anspruch auf deren Uebereinstimmung mit der Majorität. — Daß der Bundesrath dem Reichstagobeschluß vom 16. April seine Bestätigung geben wird, ist nach dem, was der Kanzler am Schluß der Debatte sagte, wohl nur noch Frage der Zeit. Der Antrag auf Einsetzung verantwortlicher Fachminister des nord¬ deutschen Bundes ist aber nicht der einzige, der von dem Wachsthum und Expansionsbedürfniß unsres neuen Staats Zeugniß abgelegt hat. Zwei andere Anträge (und wenn wir die Grundrecht'sche Bill für Unterordnung der Küstenpolizei und des Btleuchtungswesens hinzuzählen — drei) liegen in derselben Richtung vor: die Miquel-Losker'jede Motion für Ausdehnung der Bundescompetenz auf die Civilgefetzgebung und das Verlangen der königlich sächsischen Staatsregierung nach Begründung eines obersten Bundesgerichts¬ hofes in Leipzig. So wenig zwischen den Antragstellern der einen und der andern Forderung bewußte Interessen- und Jdeengemeinschaft angenommen Werden kann, beide Anträge stehen nicht nur in materiellem Zusammenhang, sondern sie ruhen auch auf dem Grunde der gemeinsamen, hier ausgesprochenen, dort unausgesprochenen Ueberzeugung, daß die Entwickelung des Werkes vom Jahre 1866 unaufhaltsam ist. und daß die Interessen der Deutschen mächtiger und connexer sind, als alle Parteien.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120686/205>, abgerufen am 04.07.2024.