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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band.

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Taaffe zum definitiven Ministerpräsidenten scheint darauf berechnet, den wan¬
kenden Muth der Anhänger zu heben, die Gegner in ihre Schranken zu ver¬
weisen. -- Aber selbst in Wien bleibt die Stimmung flau und argwöhnisch,
und die Leute versuchen, ihr Mißtrauen gegen die Dauerbarkeit der Ver¬
hältnisse durch waghalsige Bankspeculationen zu übertäuben. Gegen die Re¬
nitenz und Feindschaft der Klerikalen wagt man noch immer nicht energisch
vorzugehen, obwol man aus langjähriger Erfahrung weiß, daß Nachgiebig¬
keit und Versöhnlichkeit hier am übelsten angebracht sind. Aber der Einfluß
der Bürgerminister hat an den Sympathien und Traditionen der Hofburg
seine sehr bestimmte Grenze und diese ist mit Bestätigung der gegen das
Concordat gerichteten Gesetze längst erreicht. -- Während die officiöse Presse
sich noch in Freudenbezeugungen darüber erging, daß die Anträge des gali-
zischen Landtags in den Ausschußberathungen des Reichsraths zu Fall ge¬
kommen, haben die Parteien der Opposition an der Debatte über das Schul¬
gesetz zu einer feindlichen Demonstration Veranlassung genommen, welche in
Bezug auf Entschiedenheit nichts zu wünschen übrig läßt. Kaum war der
erste Paragraph jenes Gesetzes verlesen, so erhob Pater Greuter sich zu einer
fulminanten Rede gegen die "confessionslose" Schule, und als diese erfolglos
blieb, verließen die klerikalen Tiroler unter Führung Giovanelli's, von den
Polen und Slowenen begleitet, nach feierlichem Protest den Sitzungssaal.
Der Eindruck dieser Scene mußte um so größer sein, als zwei Tage zuvor
bekannt geworden war, daß die Minister es nicht für rathsam gehalten, dem
Ausschußgutachten für Vornahme directer Wahlen in jenen Ländern, deren
Landtage in dem Reichsrath unvertreten sind, zuzustimmen. Diese Zögerung
ist um so. bemerkenswerther, als selbst die Polen dem Ausschußgutachten bei¬
getreten waren. Wahrscheinlich hat man sich gescheut, der nationalböhmi¬
schen Partei einen neuen Fehdehandschuh hinzuwerfen. Dieselben Zeitungs¬
blätter, welche diese bedeutungsvollen Nachrichten brachten, enthielten ein
Telegramm, welches für die Lage in Ungarn höchst charakteristisch ist: an
einem und demselben Tage hatte die Linke darauf angetragen, die Minister
wegen Beeinflussung der Wahlen in Anklagezustand zu versetzen, Kossuth zur
Einnahme seines Sitzes im Ständesaal einzuladen und Klapka, den Ercom-
mandanten von Komorn, als Landesvertheidigungsminister aufzustellen --
Beweis genug dafür, daß die Opposition sich zu fühlen beginnt.

Während Oestreich auf diese Weise durch den Hader feindseliger Na¬
tionalitäten und unsühnbarer Gegensätze hin- und hergerissen wird, hat sein
erster Staatsmann Zeit und Unternehmungslust genug übrig gehabt, um
seine gewohnten kleinen Ränke gegen Preußen fortzuspinnen. Nicht nur, daß
der vierte Band des östreichischen Generalstabswerkes über den Krieg von
1866 den Wortlaut preußischer Depeschen (die mit der Sache selbst nichts


Taaffe zum definitiven Ministerpräsidenten scheint darauf berechnet, den wan¬
kenden Muth der Anhänger zu heben, die Gegner in ihre Schranken zu ver¬
weisen. — Aber selbst in Wien bleibt die Stimmung flau und argwöhnisch,
und die Leute versuchen, ihr Mißtrauen gegen die Dauerbarkeit der Ver¬
hältnisse durch waghalsige Bankspeculationen zu übertäuben. Gegen die Re¬
nitenz und Feindschaft der Klerikalen wagt man noch immer nicht energisch
vorzugehen, obwol man aus langjähriger Erfahrung weiß, daß Nachgiebig¬
keit und Versöhnlichkeit hier am übelsten angebracht sind. Aber der Einfluß
der Bürgerminister hat an den Sympathien und Traditionen der Hofburg
seine sehr bestimmte Grenze und diese ist mit Bestätigung der gegen das
Concordat gerichteten Gesetze längst erreicht. — Während die officiöse Presse
sich noch in Freudenbezeugungen darüber erging, daß die Anträge des gali-
zischen Landtags in den Ausschußberathungen des Reichsraths zu Fall ge¬
kommen, haben die Parteien der Opposition an der Debatte über das Schul¬
gesetz zu einer feindlichen Demonstration Veranlassung genommen, welche in
Bezug auf Entschiedenheit nichts zu wünschen übrig läßt. Kaum war der
erste Paragraph jenes Gesetzes verlesen, so erhob Pater Greuter sich zu einer
fulminanten Rede gegen die „confessionslose" Schule, und als diese erfolglos
blieb, verließen die klerikalen Tiroler unter Führung Giovanelli's, von den
Polen und Slowenen begleitet, nach feierlichem Protest den Sitzungssaal.
Der Eindruck dieser Scene mußte um so größer sein, als zwei Tage zuvor
bekannt geworden war, daß die Minister es nicht für rathsam gehalten, dem
Ausschußgutachten für Vornahme directer Wahlen in jenen Ländern, deren
Landtage in dem Reichsrath unvertreten sind, zuzustimmen. Diese Zögerung
ist um so. bemerkenswerther, als selbst die Polen dem Ausschußgutachten bei¬
getreten waren. Wahrscheinlich hat man sich gescheut, der nationalböhmi¬
schen Partei einen neuen Fehdehandschuh hinzuwerfen. Dieselben Zeitungs¬
blätter, welche diese bedeutungsvollen Nachrichten brachten, enthielten ein
Telegramm, welches für die Lage in Ungarn höchst charakteristisch ist: an
einem und demselben Tage hatte die Linke darauf angetragen, die Minister
wegen Beeinflussung der Wahlen in Anklagezustand zu versetzen, Kossuth zur
Einnahme seines Sitzes im Ständesaal einzuladen und Klapka, den Ercom-
mandanten von Komorn, als Landesvertheidigungsminister aufzustellen —
Beweis genug dafür, daß die Opposition sich zu fühlen beginnt.

Während Oestreich auf diese Weise durch den Hader feindseliger Na¬
tionalitäten und unsühnbarer Gegensätze hin- und hergerissen wird, hat sein
erster Staatsmann Zeit und Unternehmungslust genug übrig gehabt, um
seine gewohnten kleinen Ränke gegen Preußen fortzuspinnen. Nicht nur, daß
der vierte Band des östreichischen Generalstabswerkes über den Krieg von
1866 den Wortlaut preußischer Depeschen (die mit der Sache selbst nichts


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120686/202>, abgerufen am 04.07.2024.