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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band.

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nach willfährigen Fürsten in der Neuzeit zuerst das Beispiel gegeben haben,
in Griechenland und Rumänien, hat die Sache der Ordnung und Ruhe auch
in dem abgelaufenen Monat keine Fortschritte gemacht. Parteikämpfe und
Bürgerkriege bleiben bei ihnen trotz der glücklich gefundenen Fürsten ebenso
üblich wie in dem königloser Spanien. -- Das Friedens- und Bildungs¬
programm, über welches sich eine Anzahl ätherischer Wahlmänner vor Kurzem
geeinigt hat, wird noch lange zu warten haben, ehe es in weiteren Kreisen
Unterstützung findet. In der griechischen Politik spielt ein Programm, wel-
ches Reorganisation des Schulwesens, Anlegung neuer Straßen, Stabilität
der Beamten und Sparsamkeit im Staatshaushalt auf seine Fahne schreibt,
zunächst die Rolle eines Curiosums. denn für diese Dinge haben hellenische
Liberale und Conservative, Großgriechen und Föderativrepublikaner gleich
wenig Sinn und Verständniß. Daß dasselbe Programm die Errichtung einer
Flotte und ein Ministerverantwortlichkeitsgesetz verlangt, geschieht offenbar,
weil die Führer der neuen Partei eines populairen Köders bedürfen, um auf
die Masse zu wirken. Da die neue Kammer schon in drei Wochen gewählt
werden soll, hat dieser erste Versuch in vernünftiger Weise auf Förderung der
materiellen Interessen und Beschaffung der ersten Bedingungen wirklicher Cultur
hinzuarbeiten, noch wenig Aussicht auf große moralische Eroberungen unter
den Hellenen. Wie schwer es hält, die Völker des slavischen Südostens in die
Bahn wirklicher Gesittung zu führen, das hat auch die rumänische Regierung
in letzter Zeit wieder deutlich erfahren. Die Neuwahlen zur Kammer, auf
welche auch außerhalb Rumäniens so große Hoffnungen gesetzt wurden, sind
allerdings wesentlich im Sinn der Regierung und einer friedlichen Politik
ausgefallen, aber die Partei Bratiano's hat so erfolgreich an die Sympa-
thieen des "Volkes hinter den Wählern" appellirt, daß an verschiedenen
Orten, u. A. auch in der Hauptstadt Bucharest, wiederholte und ernste Ruhe¬
störungen vorgekommen sind, und der Gehorsam gegen das Gesetz in ein¬
zelnen Städten nur mit Hülfe der Waffen erzwungen werden konnte. Bra¬
tiano's großrumänische Phantasien gelten dem rumänischen Normalpolitiker
immer noch für den einzigen vollgültigen Ausdruck des Patriotismus und
einer wahrhaft nationalen Gesinnung, Der Einfluß dieses unruhigen Mannes
ist so groß, daß er den Verdiensten, welche Fürst Karl sich um das Land er¬
worben, reichlich die Waage hält und daß immer wieder vergessen wird, daß
Bratiano es war, der -- gerade wie Herr Bulgaris in Athen -- dem Moldau-
Wallachischen Staat im Westen wie im Süden die gefährlichsten Feinde be¬
reitete, ohne irgend wirksame Schutzmittel gegen dieselben in Händen zu
haben. -- In den ersten Apriltagen hat die Bucharester Regierung sich sei¬
tens der Pforte ein neues Pfand ihrer Selbständigkeit auszuwirken gewußt,
die Anerkennung des Münzrechts. Dagegen hat Fürst Karl vorläufig auf


nach willfährigen Fürsten in der Neuzeit zuerst das Beispiel gegeben haben,
in Griechenland und Rumänien, hat die Sache der Ordnung und Ruhe auch
in dem abgelaufenen Monat keine Fortschritte gemacht. Parteikämpfe und
Bürgerkriege bleiben bei ihnen trotz der glücklich gefundenen Fürsten ebenso
üblich wie in dem königloser Spanien. — Das Friedens- und Bildungs¬
programm, über welches sich eine Anzahl ätherischer Wahlmänner vor Kurzem
geeinigt hat, wird noch lange zu warten haben, ehe es in weiteren Kreisen
Unterstützung findet. In der griechischen Politik spielt ein Programm, wel-
ches Reorganisation des Schulwesens, Anlegung neuer Straßen, Stabilität
der Beamten und Sparsamkeit im Staatshaushalt auf seine Fahne schreibt,
zunächst die Rolle eines Curiosums. denn für diese Dinge haben hellenische
Liberale und Conservative, Großgriechen und Föderativrepublikaner gleich
wenig Sinn und Verständniß. Daß dasselbe Programm die Errichtung einer
Flotte und ein Ministerverantwortlichkeitsgesetz verlangt, geschieht offenbar,
weil die Führer der neuen Partei eines populairen Köders bedürfen, um auf
die Masse zu wirken. Da die neue Kammer schon in drei Wochen gewählt
werden soll, hat dieser erste Versuch in vernünftiger Weise auf Förderung der
materiellen Interessen und Beschaffung der ersten Bedingungen wirklicher Cultur
hinzuarbeiten, noch wenig Aussicht auf große moralische Eroberungen unter
den Hellenen. Wie schwer es hält, die Völker des slavischen Südostens in die
Bahn wirklicher Gesittung zu führen, das hat auch die rumänische Regierung
in letzter Zeit wieder deutlich erfahren. Die Neuwahlen zur Kammer, auf
welche auch außerhalb Rumäniens so große Hoffnungen gesetzt wurden, sind
allerdings wesentlich im Sinn der Regierung und einer friedlichen Politik
ausgefallen, aber die Partei Bratiano's hat so erfolgreich an die Sympa-
thieen des „Volkes hinter den Wählern" appellirt, daß an verschiedenen
Orten, u. A. auch in der Hauptstadt Bucharest, wiederholte und ernste Ruhe¬
störungen vorgekommen sind, und der Gehorsam gegen das Gesetz in ein¬
zelnen Städten nur mit Hülfe der Waffen erzwungen werden konnte. Bra¬
tiano's großrumänische Phantasien gelten dem rumänischen Normalpolitiker
immer noch für den einzigen vollgültigen Ausdruck des Patriotismus und
einer wahrhaft nationalen Gesinnung, Der Einfluß dieses unruhigen Mannes
ist so groß, daß er den Verdiensten, welche Fürst Karl sich um das Land er¬
worben, reichlich die Waage hält und daß immer wieder vergessen wird, daß
Bratiano es war, der — gerade wie Herr Bulgaris in Athen — dem Moldau-
Wallachischen Staat im Westen wie im Süden die gefährlichsten Feinde be¬
reitete, ohne irgend wirksame Schutzmittel gegen dieselben in Händen zu
haben. — In den ersten Apriltagen hat die Bucharester Regierung sich sei¬
tens der Pforte ein neues Pfand ihrer Selbständigkeit auszuwirken gewußt,
die Anerkennung des Münzrechts. Dagegen hat Fürst Karl vorläufig auf


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120686/200>, abgerufen am 04.07.2024.