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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band.

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Diese Verhandlungen, um deretwillen Herr Frere-Orban den ganzen
abgelaufenen Monat über in Paris geweilt hat, sind, allen officiösen Ver¬
sicherungen zum Trotz, so gut wie vollständig erfolglos geblieben und es läßt
sich schlechterdings nicht absehen, wie eine Verständigung erzielt oder für
Frankreich auch nur die Möglichkeit eines ehrenvollen Rückzuges geschaffen
werden soll. Herr Rouher. der an den Versuchen zur Auseinandersetzung
mit dem belgischen Minister sehr lebhaften Antheil genommen, versichert durch
seine Organe immer wieder, von dem Ankauf der Arion-Brüsseler Linie sei
gar nicht mehr die Rede und man stehe darum schon auf dem Punkte, sich zu
verständigen. In das Deutsche übersetzt, heißt das: Wir verlangen die Lei¬
tung des Betriebes der in die belgische Hauptstadt führenden Bahn, und
Herr Fröre-Orkan sagt uns. er könne diese ebenso wenig bewilligen, wie das
Eigenthum an jener wichtigen Verkehrslinie. Das äußerste Angebot des
Belgiers, welches gestatten wollte, daß französische Waggons geschlossen und
ununtersucht durch ganz Belgien fahren dürften, ist von den Franzosen als
ungenügend bezeichnet worden. -- Was die Pariser Blätter von einem bevor¬
stehenden Umschlag in Brüssel und von der Bereitwilligkeit der belgischen
Ultramontanen zur Zurücknahme des von den Liberalen durchgesetzten Kam¬
merbeschlusses erzählen, gehört bis jetzt in das Reich der Fabel. Alle belgi¬
schen Patrioten sind darüber einig, daß die Abtretung ihrer wichtigsten Eisen¬
bahnlinien an eine französische Gesellschaft, hinter der die kaiserliche Regie¬
rung steht, mit der Sicherheit des Staats und dem neutralen Charakter des¬
selben unverträglich sei. Die Franzosen dagegen sind durch die unaufhör¬
lichen Zeitungsphrasen über diesen Gegenstand in den Wahn gewiegt worden,
die Ehre der großen Nation sei gefährdet, wenn der kleine Nachbarstaat
nicht die gewünschten Zugeständnisse mache, und darum müsse auf diesen be¬
standen werden. Selbst die liberalen Oppositionsblätter, welche noch vor einigen
Wochen voller Unwillen über die Frechheit der säbelklirrenden Hofjournale und
sittlich entrüstet waren, haben sich gewöhnt, auf die einzelnen materiellen
Fragen und auf Untersuchungen darüber einzugehen, nach welchen Richtungen
die noch eben perhorrescirten Ansprüche der Regierung doch eine gewisse Be¬
rechtigung haben dürften. Da alle Nachrichten darin übereinstimmen, daß
die belgische Regierung bereits an die äußerste Grenze der ihr möglichen
Zugeständnisse gegangen sei, dieselbe nicht überschreiten könne und nicht
überschreiten werde und da andererseits die Fabel von dem Engagement der
französischen Ehre bereits im Munde eines nicht unbedeutenden Theils der
Pariser Presse ist, so fragt man vergeblich, wie diese Differenz ohne Stö¬
rungen gelöst werden soll. In vier, vielleicht schon in drei Wochen stehen
die Neuwahlen für den gesetzgebenden Körper bevor; der französischen Regie¬
rung muß Alles daran gelegen sein, bis zu diesem wichtigen Zeitpunkte einen


Diese Verhandlungen, um deretwillen Herr Frere-Orban den ganzen
abgelaufenen Monat über in Paris geweilt hat, sind, allen officiösen Ver¬
sicherungen zum Trotz, so gut wie vollständig erfolglos geblieben und es läßt
sich schlechterdings nicht absehen, wie eine Verständigung erzielt oder für
Frankreich auch nur die Möglichkeit eines ehrenvollen Rückzuges geschaffen
werden soll. Herr Rouher. der an den Versuchen zur Auseinandersetzung
mit dem belgischen Minister sehr lebhaften Antheil genommen, versichert durch
seine Organe immer wieder, von dem Ankauf der Arion-Brüsseler Linie sei
gar nicht mehr die Rede und man stehe darum schon auf dem Punkte, sich zu
verständigen. In das Deutsche übersetzt, heißt das: Wir verlangen die Lei¬
tung des Betriebes der in die belgische Hauptstadt führenden Bahn, und
Herr Fröre-Orkan sagt uns. er könne diese ebenso wenig bewilligen, wie das
Eigenthum an jener wichtigen Verkehrslinie. Das äußerste Angebot des
Belgiers, welches gestatten wollte, daß französische Waggons geschlossen und
ununtersucht durch ganz Belgien fahren dürften, ist von den Franzosen als
ungenügend bezeichnet worden. — Was die Pariser Blätter von einem bevor¬
stehenden Umschlag in Brüssel und von der Bereitwilligkeit der belgischen
Ultramontanen zur Zurücknahme des von den Liberalen durchgesetzten Kam¬
merbeschlusses erzählen, gehört bis jetzt in das Reich der Fabel. Alle belgi¬
schen Patrioten sind darüber einig, daß die Abtretung ihrer wichtigsten Eisen¬
bahnlinien an eine französische Gesellschaft, hinter der die kaiserliche Regie¬
rung steht, mit der Sicherheit des Staats und dem neutralen Charakter des¬
selben unverträglich sei. Die Franzosen dagegen sind durch die unaufhör¬
lichen Zeitungsphrasen über diesen Gegenstand in den Wahn gewiegt worden,
die Ehre der großen Nation sei gefährdet, wenn der kleine Nachbarstaat
nicht die gewünschten Zugeständnisse mache, und darum müsse auf diesen be¬
standen werden. Selbst die liberalen Oppositionsblätter, welche noch vor einigen
Wochen voller Unwillen über die Frechheit der säbelklirrenden Hofjournale und
sittlich entrüstet waren, haben sich gewöhnt, auf die einzelnen materiellen
Fragen und auf Untersuchungen darüber einzugehen, nach welchen Richtungen
die noch eben perhorrescirten Ansprüche der Regierung doch eine gewisse Be¬
rechtigung haben dürften. Da alle Nachrichten darin übereinstimmen, daß
die belgische Regierung bereits an die äußerste Grenze der ihr möglichen
Zugeständnisse gegangen sei, dieselbe nicht überschreiten könne und nicht
überschreiten werde und da andererseits die Fabel von dem Engagement der
französischen Ehre bereits im Munde eines nicht unbedeutenden Theils der
Pariser Presse ist, so fragt man vergeblich, wie diese Differenz ohne Stö¬
rungen gelöst werden soll. In vier, vielleicht schon in drei Wochen stehen
die Neuwahlen für den gesetzgebenden Körper bevor; der französischen Regie¬
rung muß Alles daran gelegen sein, bis zu diesem wichtigen Zeitpunkte einen


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[0194] Diese Verhandlungen, um deretwillen Herr Frere-Orban den ganzen abgelaufenen Monat über in Paris geweilt hat, sind, allen officiösen Ver¬ sicherungen zum Trotz, so gut wie vollständig erfolglos geblieben und es läßt sich schlechterdings nicht absehen, wie eine Verständigung erzielt oder für Frankreich auch nur die Möglichkeit eines ehrenvollen Rückzuges geschaffen werden soll. Herr Rouher. der an den Versuchen zur Auseinandersetzung mit dem belgischen Minister sehr lebhaften Antheil genommen, versichert durch seine Organe immer wieder, von dem Ankauf der Arion-Brüsseler Linie sei gar nicht mehr die Rede und man stehe darum schon auf dem Punkte, sich zu verständigen. In das Deutsche übersetzt, heißt das: Wir verlangen die Lei¬ tung des Betriebes der in die belgische Hauptstadt führenden Bahn, und Herr Fröre-Orkan sagt uns. er könne diese ebenso wenig bewilligen, wie das Eigenthum an jener wichtigen Verkehrslinie. Das äußerste Angebot des Belgiers, welches gestatten wollte, daß französische Waggons geschlossen und ununtersucht durch ganz Belgien fahren dürften, ist von den Franzosen als ungenügend bezeichnet worden. — Was die Pariser Blätter von einem bevor¬ stehenden Umschlag in Brüssel und von der Bereitwilligkeit der belgischen Ultramontanen zur Zurücknahme des von den Liberalen durchgesetzten Kam¬ merbeschlusses erzählen, gehört bis jetzt in das Reich der Fabel. Alle belgi¬ schen Patrioten sind darüber einig, daß die Abtretung ihrer wichtigsten Eisen¬ bahnlinien an eine französische Gesellschaft, hinter der die kaiserliche Regie¬ rung steht, mit der Sicherheit des Staats und dem neutralen Charakter des¬ selben unverträglich sei. Die Franzosen dagegen sind durch die unaufhör¬ lichen Zeitungsphrasen über diesen Gegenstand in den Wahn gewiegt worden, die Ehre der großen Nation sei gefährdet, wenn der kleine Nachbarstaat nicht die gewünschten Zugeständnisse mache, und darum müsse auf diesen be¬ standen werden. Selbst die liberalen Oppositionsblätter, welche noch vor einigen Wochen voller Unwillen über die Frechheit der säbelklirrenden Hofjournale und sittlich entrüstet waren, haben sich gewöhnt, auf die einzelnen materiellen Fragen und auf Untersuchungen darüber einzugehen, nach welchen Richtungen die noch eben perhorrescirten Ansprüche der Regierung doch eine gewisse Be¬ rechtigung haben dürften. Da alle Nachrichten darin übereinstimmen, daß die belgische Regierung bereits an die äußerste Grenze der ihr möglichen Zugeständnisse gegangen sei, dieselbe nicht überschreiten könne und nicht überschreiten werde und da andererseits die Fabel von dem Engagement der französischen Ehre bereits im Munde eines nicht unbedeutenden Theils der Pariser Presse ist, so fragt man vergeblich, wie diese Differenz ohne Stö¬ rungen gelöst werden soll. In vier, vielleicht schon in drei Wochen stehen die Neuwahlen für den gesetzgebenden Körper bevor; der französischen Regie¬ rung muß Alles daran gelegen sein, bis zu diesem wichtigen Zeitpunkte einen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120686/194>, abgerufen am 24.07.2024.