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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band.

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von Dr. C. Rosenberg herausgegebenes "Wochenblatt für den gemeinen Mann"
wirkt, hat während des verflossenen Jahres nicht weniger als 33 Volks¬
versammlungen in allen Theilen des Königreichs gehalten, um die Gegen¬
sätze öffentlich zur Sprache und dadurch das Volk zum Bewußtsein seiner po¬
litischen Lage zu bringen. Den Dänen sagt es offenbar vor vielen anderen
Völkern zu. sonntäglich im Verein oder auch in einem geeignetem Saale zu¬
sammenzukommen, ihre Politiker sprechen, womöglich auch sich ein wenig in
die Haare gerathen zu hören, und dann dies Tagewerk mit einem vergnüg¬
lichen Bankett zu beschließen. Der nüchterne, rauhe Ernst öffentlicher Ange¬
legenheiten fließt dieser leichtblütigen, lebenslustigen Nation mit de^in Spiele
einer ausgebildeten Genußsucht nur zu leicht in Eins zusammen. Nirgend
in der Welt ist bekanntlich so reichlich für die öffentliche Vergnügungslust ge¬
sorgt wie in Kopenhagen, und der Leichtsinn, mit welchem man dort noch
während des letzten Krieges einem lockeren Leben nachhing, bis dasselbe mit
der Eroberung Athens plötzlich in das Gegentheil panischen Schreckens und
Allesverlorengebens umschlug, hat es zu einem historischen Gedenkwort ge¬
macht, daß "Schleswig im Tivoli verloren worden sei." Bei alledem möchte
es an sich nicht zu tadeln sein, daß die vorausblickenden Führer der nationalen
und liberalen Partei sich dieses allgemeinen Hanges ihrer Landsleute bedienen,
um ihre Ideen den Volksmassen einzuprägen. Gefährlich könnte dieses
Thun nur werden, wenn es sie selbst rückwirkend mit Illusionen über die
Tragweite solcher öffentlichen Applause und Bekehrungen erfüllte, und davor
bewahren sie gegenwärtig einigermaßen die furchtbaren Enttäuschungen über
Dänemarks Recht und Europas thätiges Interesse, welche erst das Jahr 1864.
dann der Mißerfolg der bekannten nordschleswigschen Clausel des Prager
Friedens ihnen bereitet hat.

Dieser bitteren Lehre droht sich übrigens eben jetzt eine neue Hinzuzuge-
sellen. Wie es den Anschein hat, wird aus der Abtretung von Sanct Tho¬
mas und Sanct Johann an Nordamerika nichts werden. Im Jahre 1865
von Seward zuerst angeregt, damals in Kopenhagen kühl, um nicht zu sagen
ablehnend aufgenommen, dann aber von Washington her immer wieder mit
höheren Geldangeboten betrieben, endlich von Dänemark acceptirt und loyal
ausgeführt, ist diese Maßregel von den Vereinigten Staaten auf eine in der
That sehr rücksichtslose Weise erst hingehalten, dann mehr oder weniger auf¬
gehoben worden. Gerade als Dänemark seinen Theil des Vertrages erfüllt,
die Abstimmung aus den beiden Inseln vorgenommen und zu Gunsten der
Maßregel geleitet hatte, hörte in Washington alle Thätigkeit in Bezug auf
sie mit Einem Male auf. Der Staatssecretair lieh sein Ohr noch lockenderen
Vorschlägen, welche von der Erwerbung der Bat von Samana auf Hasel
sprachen; und im Congreß stieß schon die Genehmigung des Ankaufs von


von Dr. C. Rosenberg herausgegebenes „Wochenblatt für den gemeinen Mann"
wirkt, hat während des verflossenen Jahres nicht weniger als 33 Volks¬
versammlungen in allen Theilen des Königreichs gehalten, um die Gegen¬
sätze öffentlich zur Sprache und dadurch das Volk zum Bewußtsein seiner po¬
litischen Lage zu bringen. Den Dänen sagt es offenbar vor vielen anderen
Völkern zu. sonntäglich im Verein oder auch in einem geeignetem Saale zu¬
sammenzukommen, ihre Politiker sprechen, womöglich auch sich ein wenig in
die Haare gerathen zu hören, und dann dies Tagewerk mit einem vergnüg¬
lichen Bankett zu beschließen. Der nüchterne, rauhe Ernst öffentlicher Ange¬
legenheiten fließt dieser leichtblütigen, lebenslustigen Nation mit de^in Spiele
einer ausgebildeten Genußsucht nur zu leicht in Eins zusammen. Nirgend
in der Welt ist bekanntlich so reichlich für die öffentliche Vergnügungslust ge¬
sorgt wie in Kopenhagen, und der Leichtsinn, mit welchem man dort noch
während des letzten Krieges einem lockeren Leben nachhing, bis dasselbe mit
der Eroberung Athens plötzlich in das Gegentheil panischen Schreckens und
Allesverlorengebens umschlug, hat es zu einem historischen Gedenkwort ge¬
macht, daß „Schleswig im Tivoli verloren worden sei." Bei alledem möchte
es an sich nicht zu tadeln sein, daß die vorausblickenden Führer der nationalen
und liberalen Partei sich dieses allgemeinen Hanges ihrer Landsleute bedienen,
um ihre Ideen den Volksmassen einzuprägen. Gefährlich könnte dieses
Thun nur werden, wenn es sie selbst rückwirkend mit Illusionen über die
Tragweite solcher öffentlichen Applause und Bekehrungen erfüllte, und davor
bewahren sie gegenwärtig einigermaßen die furchtbaren Enttäuschungen über
Dänemarks Recht und Europas thätiges Interesse, welche erst das Jahr 1864.
dann der Mißerfolg der bekannten nordschleswigschen Clausel des Prager
Friedens ihnen bereitet hat.

Dieser bitteren Lehre droht sich übrigens eben jetzt eine neue Hinzuzuge-
sellen. Wie es den Anschein hat, wird aus der Abtretung von Sanct Tho¬
mas und Sanct Johann an Nordamerika nichts werden. Im Jahre 1865
von Seward zuerst angeregt, damals in Kopenhagen kühl, um nicht zu sagen
ablehnend aufgenommen, dann aber von Washington her immer wieder mit
höheren Geldangeboten betrieben, endlich von Dänemark acceptirt und loyal
ausgeführt, ist diese Maßregel von den Vereinigten Staaten auf eine in der
That sehr rücksichtslose Weise erst hingehalten, dann mehr oder weniger auf¬
gehoben worden. Gerade als Dänemark seinen Theil des Vertrages erfüllt,
die Abstimmung aus den beiden Inseln vorgenommen und zu Gunsten der
Maßregel geleitet hatte, hörte in Washington alle Thätigkeit in Bezug auf
sie mit Einem Male auf. Der Staatssecretair lieh sein Ohr noch lockenderen
Vorschlägen, welche von der Erwerbung der Bat von Samana auf Hasel
sprachen; und im Congreß stieß schon die Genehmigung des Ankaufs von


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120686/189>, abgerufen am 24.07.2024.