Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Lande verbreitet ist, in den Mittelclassen tausende von Mitgliedern zählt,
und sich in früherer Zeit (sie besteht seit 1784) sehr große Verdienste um
das Schulwesen erworben hatte, sucht dem Volke durch Brochüren und
Vorlesungen die Vortheile der neutralen Schule ins rechte Licht zu setzen.
Lehrerversammlungen, Schulcommissionen und Jnspectoren sprechen sich bei¬
nahe einstimmig zu Gunsten des bestehenden Schulgesetzes aus. Für den
Vorwurf einer materialistischen Richtung des Elementarunterrichts ist bisher
noch kein einziger Beweis geliefert worden; derselbe wird übrigens auch schwer
beizubringen sein, da einestheils Lehrer mit materialistischen Ideen sehr selten
sind, und anderntheils die Regierung streng über die Neutralität der Schule
wacht und demnach auch in dieser Richtung jede Propaganda verhütet.

Daß das Schulgesetz verändert werde, hält man darum allgemein für
höchst unwahrscheinlich.

Zum Schluß noch einige Worte über eine Brochüre vom^Prediger
F. W. S. Schwarz in Amsterdam: "Die religionslose Schule der Niederlande
und ihre Früchte." Jeder vorurtheilsfreie,, mit hiesigen Zuständen bekannte
Mann würde sie ruhig bei Seite legen, froh, daß er sich durch so viel Unwahr¬
heiten und Verleumdungen hindurchgearbeitet hat. Wenn aber Berliner
Lehrer sich bei einerEingabe an daspreußische Abgeordneten¬
haus auf dieses Schriftstück berufen, so ist es nöthig, vor solchen
falschen Darstellungen unserer Verhältnisse zu warnen.-- Es ist unmöglich,
alle die Beschuldigungen, die Herr Schwarz auf die öffentliche Staatsschule
wirft, zu widerlegen, da die meisten Thatsachen, die er anführt, ohne Namen
und Bezeichnung des Ortes sind. So lange sie in dieser Anonymität blei¬
ben, muß man sie für ersonnen halten; denn wenn man liest, daß die Kosten der
Staatsschule bleischwer auf den Gemeinden lasten, und man dagegen weiß, daß
dieselben in Amsterdam circa 6 Procent des Budgets betragen, so kann man
aus dieser Beschuldigung, die man controliren kann, ersehen, was man von
der andern zu halten hat, die der Controle entzogen sind. Oder kann man
auf Wahrheit und Ehrlichkeit Anspruch machen, wenn man von national-
christlicher Seite auf Materialismus gerichtete Anklage gegen solche Lehrer
bei der Regierung erhebt, die biblische Geschichte unterrichten und in der
Bibel lesen lassen, wie solches u. A. in Zuyd-Beyerland geschehen ist, Ein-
gabe des Lehrers der Sectenschule I. M. Stroes.

Oder wenn Herr Groen sagt: "Wir haben auf der neutralen Schule
am liebsten keine Moral, weil sich darunter so leicht der Religionseifer wohl¬
meinender Lehrer verbirgt", oder "Am besten wäre es, den Unterricht in der
vaterländischen Geschichte auf der öffentlichen Schule mit Claudius Civilis
zu schließen."

Vollkommene Unwahrheit ist es endlich, wenn Herr Schwarz behauptet, bis


Grenzboten II. 186". 23

Lande verbreitet ist, in den Mittelclassen tausende von Mitgliedern zählt,
und sich in früherer Zeit (sie besteht seit 1784) sehr große Verdienste um
das Schulwesen erworben hatte, sucht dem Volke durch Brochüren und
Vorlesungen die Vortheile der neutralen Schule ins rechte Licht zu setzen.
Lehrerversammlungen, Schulcommissionen und Jnspectoren sprechen sich bei¬
nahe einstimmig zu Gunsten des bestehenden Schulgesetzes aus. Für den
Vorwurf einer materialistischen Richtung des Elementarunterrichts ist bisher
noch kein einziger Beweis geliefert worden; derselbe wird übrigens auch schwer
beizubringen sein, da einestheils Lehrer mit materialistischen Ideen sehr selten
sind, und anderntheils die Regierung streng über die Neutralität der Schule
wacht und demnach auch in dieser Richtung jede Propaganda verhütet.

Daß das Schulgesetz verändert werde, hält man darum allgemein für
höchst unwahrscheinlich.

Zum Schluß noch einige Worte über eine Brochüre vom^Prediger
F. W. S. Schwarz in Amsterdam: „Die religionslose Schule der Niederlande
und ihre Früchte." Jeder vorurtheilsfreie,, mit hiesigen Zuständen bekannte
Mann würde sie ruhig bei Seite legen, froh, daß er sich durch so viel Unwahr¬
heiten und Verleumdungen hindurchgearbeitet hat. Wenn aber Berliner
Lehrer sich bei einerEingabe an daspreußische Abgeordneten¬
haus auf dieses Schriftstück berufen, so ist es nöthig, vor solchen
falschen Darstellungen unserer Verhältnisse zu warnen.— Es ist unmöglich,
alle die Beschuldigungen, die Herr Schwarz auf die öffentliche Staatsschule
wirft, zu widerlegen, da die meisten Thatsachen, die er anführt, ohne Namen
und Bezeichnung des Ortes sind. So lange sie in dieser Anonymität blei¬
ben, muß man sie für ersonnen halten; denn wenn man liest, daß die Kosten der
Staatsschule bleischwer auf den Gemeinden lasten, und man dagegen weiß, daß
dieselben in Amsterdam circa 6 Procent des Budgets betragen, so kann man
aus dieser Beschuldigung, die man controliren kann, ersehen, was man von
der andern zu halten hat, die der Controle entzogen sind. Oder kann man
auf Wahrheit und Ehrlichkeit Anspruch machen, wenn man von national-
christlicher Seite auf Materialismus gerichtete Anklage gegen solche Lehrer
bei der Regierung erhebt, die biblische Geschichte unterrichten und in der
Bibel lesen lassen, wie solches u. A. in Zuyd-Beyerland geschehen ist, Ein-
gabe des Lehrers der Sectenschule I. M. Stroes.

Oder wenn Herr Groen sagt: „Wir haben auf der neutralen Schule
am liebsten keine Moral, weil sich darunter so leicht der Religionseifer wohl¬
meinender Lehrer verbirgt", oder „Am besten wäre es, den Unterricht in der
vaterländischen Geschichte auf der öffentlichen Schule mit Claudius Civilis
zu schließen."

Vollkommene Unwahrheit ist es endlich, wenn Herr Schwarz behauptet, bis


Grenzboten II. 186». 23
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0185" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/120872"/>
            <p xml:id="ID_603" prev="#ID_602"> Lande verbreitet ist, in den Mittelclassen tausende von Mitgliedern zählt,<lb/>
und sich in früherer Zeit (sie besteht seit 1784) sehr große Verdienste um<lb/>
das Schulwesen erworben hatte, sucht dem Volke durch Brochüren und<lb/>
Vorlesungen die Vortheile der neutralen Schule ins rechte Licht zu setzen.<lb/>
Lehrerversammlungen, Schulcommissionen und Jnspectoren sprechen sich bei¬<lb/>
nahe einstimmig zu Gunsten des bestehenden Schulgesetzes aus. Für den<lb/>
Vorwurf einer materialistischen Richtung des Elementarunterrichts ist bisher<lb/>
noch kein einziger Beweis geliefert worden; derselbe wird übrigens auch schwer<lb/>
beizubringen sein, da einestheils Lehrer mit materialistischen Ideen sehr selten<lb/>
sind, und anderntheils die Regierung streng über die Neutralität der Schule<lb/>
wacht und demnach auch in dieser Richtung jede Propaganda verhütet.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_604"> Daß das Schulgesetz verändert werde, hält man darum allgemein für<lb/>
höchst unwahrscheinlich.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_605"> Zum Schluß noch einige Worte über eine Brochüre vom^Prediger<lb/>
F. W. S. Schwarz in Amsterdam: &#x201E;Die religionslose Schule der Niederlande<lb/>
und ihre Früchte." Jeder vorurtheilsfreie,, mit hiesigen Zuständen bekannte<lb/>
Mann würde sie ruhig bei Seite legen, froh, daß er sich durch so viel Unwahr¬<lb/>
heiten und Verleumdungen hindurchgearbeitet hat. Wenn aber Berliner<lb/>
Lehrer sich bei einerEingabe an daspreußische Abgeordneten¬<lb/>
haus auf dieses Schriftstück berufen, so ist es nöthig, vor solchen<lb/>
falschen Darstellungen unserer Verhältnisse zu warnen.&#x2014; Es ist unmöglich,<lb/>
alle die Beschuldigungen, die Herr Schwarz auf die öffentliche Staatsschule<lb/>
wirft, zu widerlegen, da die meisten Thatsachen, die er anführt, ohne Namen<lb/>
und Bezeichnung des Ortes sind. So lange sie in dieser Anonymität blei¬<lb/>
ben, muß man sie für ersonnen halten; denn wenn man liest, daß die Kosten der<lb/>
Staatsschule bleischwer auf den Gemeinden lasten, und man dagegen weiß, daß<lb/>
dieselben in Amsterdam circa 6 Procent des Budgets betragen, so kann man<lb/>
aus dieser Beschuldigung, die man controliren kann, ersehen, was man von<lb/>
der andern zu halten hat, die der Controle entzogen sind. Oder kann man<lb/>
auf Wahrheit und Ehrlichkeit Anspruch machen, wenn man von national-<lb/>
christlicher Seite auf Materialismus gerichtete Anklage gegen solche Lehrer<lb/>
bei der Regierung erhebt, die biblische Geschichte unterrichten und in der<lb/>
Bibel lesen lassen, wie solches u. A. in Zuyd-Beyerland geschehen ist, Ein-<lb/>
gabe des Lehrers der Sectenschule I. M. Stroes.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_606"> Oder wenn Herr Groen sagt: &#x201E;Wir haben auf der neutralen Schule<lb/>
am liebsten keine Moral, weil sich darunter so leicht der Religionseifer wohl¬<lb/>
meinender Lehrer verbirgt", oder &#x201E;Am besten wäre es, den Unterricht in der<lb/>
vaterländischen Geschichte auf der öffentlichen Schule mit Claudius Civilis<lb/>
zu schließen."</p><lb/>
            <p xml:id="ID_607" next="#ID_608"> Vollkommene Unwahrheit ist es endlich, wenn Herr Schwarz behauptet, bis</p><lb/>
            <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten II. 186». 23</fw><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0185] Lande verbreitet ist, in den Mittelclassen tausende von Mitgliedern zählt, und sich in früherer Zeit (sie besteht seit 1784) sehr große Verdienste um das Schulwesen erworben hatte, sucht dem Volke durch Brochüren und Vorlesungen die Vortheile der neutralen Schule ins rechte Licht zu setzen. Lehrerversammlungen, Schulcommissionen und Jnspectoren sprechen sich bei¬ nahe einstimmig zu Gunsten des bestehenden Schulgesetzes aus. Für den Vorwurf einer materialistischen Richtung des Elementarunterrichts ist bisher noch kein einziger Beweis geliefert worden; derselbe wird übrigens auch schwer beizubringen sein, da einestheils Lehrer mit materialistischen Ideen sehr selten sind, und anderntheils die Regierung streng über die Neutralität der Schule wacht und demnach auch in dieser Richtung jede Propaganda verhütet. Daß das Schulgesetz verändert werde, hält man darum allgemein für höchst unwahrscheinlich. Zum Schluß noch einige Worte über eine Brochüre vom^Prediger F. W. S. Schwarz in Amsterdam: „Die religionslose Schule der Niederlande und ihre Früchte." Jeder vorurtheilsfreie,, mit hiesigen Zuständen bekannte Mann würde sie ruhig bei Seite legen, froh, daß er sich durch so viel Unwahr¬ heiten und Verleumdungen hindurchgearbeitet hat. Wenn aber Berliner Lehrer sich bei einerEingabe an daspreußische Abgeordneten¬ haus auf dieses Schriftstück berufen, so ist es nöthig, vor solchen falschen Darstellungen unserer Verhältnisse zu warnen.— Es ist unmöglich, alle die Beschuldigungen, die Herr Schwarz auf die öffentliche Staatsschule wirft, zu widerlegen, da die meisten Thatsachen, die er anführt, ohne Namen und Bezeichnung des Ortes sind. So lange sie in dieser Anonymität blei¬ ben, muß man sie für ersonnen halten; denn wenn man liest, daß die Kosten der Staatsschule bleischwer auf den Gemeinden lasten, und man dagegen weiß, daß dieselben in Amsterdam circa 6 Procent des Budgets betragen, so kann man aus dieser Beschuldigung, die man controliren kann, ersehen, was man von der andern zu halten hat, die der Controle entzogen sind. Oder kann man auf Wahrheit und Ehrlichkeit Anspruch machen, wenn man von national- christlicher Seite auf Materialismus gerichtete Anklage gegen solche Lehrer bei der Regierung erhebt, die biblische Geschichte unterrichten und in der Bibel lesen lassen, wie solches u. A. in Zuyd-Beyerland geschehen ist, Ein- gabe des Lehrers der Sectenschule I. M. Stroes. Oder wenn Herr Groen sagt: „Wir haben auf der neutralen Schule am liebsten keine Moral, weil sich darunter so leicht der Religionseifer wohl¬ meinender Lehrer verbirgt", oder „Am besten wäre es, den Unterricht in der vaterländischen Geschichte auf der öffentlichen Schule mit Claudius Civilis zu schließen." Vollkommene Unwahrheit ist es endlich, wenn Herr Schwarz behauptet, bis Grenzboten II. 186». 23

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120686
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120686/185
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120686/185>, abgerufen am 24.07.2024.