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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band.

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konnten sich mit allem Recht darauf berufen, daß die Schule nach dem Gesetz
christlich, also nicht gottesdienstlos sei. Dasselbe Wörtchen "christlich", das
im Jahre 1857 von den Liberalen als ein den Christlich-nationalen gemach¬
tes Zugeständnis? betrachtet worden war, bildete jetzt den Stein des An¬
stoßes für die nationalen.

Herr Groen ließ sich im Jahr 1862 wieder in die zweite Kammer wäh¬
len, da die Aussichten auf Erfolg seiner Bestrebungen unter den damaligen
politischen Verhältnissen gewachsen waren.

Die conservative Partei hatte nämlich nach dem Ministerium van der
Brughen-Simons noch einige Ministerien aufgestellt, die jedoch alle keine
dauernde Mehrzahl in den Kammern für sich gewinnen konnten. Der König
hatte deshalb wieder Herrn Thorbecke beauftragt, ein liberales Cabinet zu
bilden. In Folge dieses Umschlags suchten die Conservativen ihre früheren
Bundesgenossen, die Christlich-nationalen wieder auf. um ihre Opposition
gegen Thorbecke dadurch zu verstärken. Herr Groen scheint im Jahre 1862
auf Grund dieses Bündnisses, das sich jedoch als sehr locker erwies, auf eine
Revision des Schulgesetzes gehofft zu haben.

Er beantragte deshalb in der Kammer die Streichung des Wörtchens
"christlich", weil "christliche Tugenden" und ein Christenthum, die sich nicht
auf Dogmen stützte, nicht beständen; da die Staatsschule neutral sein und
keine Dogmen lehren solle, könne in derselben weder vom Christenthum, noch
von christlichen Tugenden die Rede sein. Von anderer Seite wurde dagegen
behauptet: Es gebe ein Christenthum, das über der Meinungsverschiedenheit
stehe, das der Ausfluß der Ueberzeugung aller Konfessionen und Secten sei
und nach dem sich unsere modernen socialen Verhältnisse gestaltet hätten.

Zu einem Resultate hat die Eingabe des Herrn Groen nicht geführt, da
er nur geringe Unterstützung fand.

Das inzwischen zur Berathung gelangte Gesetz über die höheren Bürger¬
schulen schien die allgemeine Aufmerksamkeit, die sich in der letzten Zeit fast
ausschließlich auf die coloniale Frage gerichtet hatte, wieder auf die Schul-
angelegenhetten zu lenken, und Herr Groen hatte die Genugthuung, daß von
seinen Ideen wieder gesprochen wurde.

Das Ministerium Thorbecke und das Cabinet Franssen van de Putte
unterlagen jedoch in dem Streit über die Colonien und die Conservativen
gelangten wieder ans Ruder. Einige Mitglieder des neuen Ministeriums
Myer -- van Zuylen gehörten zu den Gesinnungsgenossen Groens und man er¬
wartete allgemein von denselben, daß sie nicht allein die coloniale Frage
lösen, sondern auch eine Revision des Schulgesetzes von 1857 herbeiführen
würden. In dieser Erwartung sah man sich wiederum gänzlich betrogen.
Herr Myer ließ sich alsbald zum Generalgouvemeur von Ostindien ernennen.


konnten sich mit allem Recht darauf berufen, daß die Schule nach dem Gesetz
christlich, also nicht gottesdienstlos sei. Dasselbe Wörtchen „christlich", das
im Jahre 1857 von den Liberalen als ein den Christlich-nationalen gemach¬
tes Zugeständnis? betrachtet worden war, bildete jetzt den Stein des An¬
stoßes für die nationalen.

Herr Groen ließ sich im Jahr 1862 wieder in die zweite Kammer wäh¬
len, da die Aussichten auf Erfolg seiner Bestrebungen unter den damaligen
politischen Verhältnissen gewachsen waren.

Die conservative Partei hatte nämlich nach dem Ministerium van der
Brughen-Simons noch einige Ministerien aufgestellt, die jedoch alle keine
dauernde Mehrzahl in den Kammern für sich gewinnen konnten. Der König
hatte deshalb wieder Herrn Thorbecke beauftragt, ein liberales Cabinet zu
bilden. In Folge dieses Umschlags suchten die Conservativen ihre früheren
Bundesgenossen, die Christlich-nationalen wieder auf. um ihre Opposition
gegen Thorbecke dadurch zu verstärken. Herr Groen scheint im Jahre 1862
auf Grund dieses Bündnisses, das sich jedoch als sehr locker erwies, auf eine
Revision des Schulgesetzes gehofft zu haben.

Er beantragte deshalb in der Kammer die Streichung des Wörtchens
„christlich", weil „christliche Tugenden" und ein Christenthum, die sich nicht
auf Dogmen stützte, nicht beständen; da die Staatsschule neutral sein und
keine Dogmen lehren solle, könne in derselben weder vom Christenthum, noch
von christlichen Tugenden die Rede sein. Von anderer Seite wurde dagegen
behauptet: Es gebe ein Christenthum, das über der Meinungsverschiedenheit
stehe, das der Ausfluß der Ueberzeugung aller Konfessionen und Secten sei
und nach dem sich unsere modernen socialen Verhältnisse gestaltet hätten.

Zu einem Resultate hat die Eingabe des Herrn Groen nicht geführt, da
er nur geringe Unterstützung fand.

Das inzwischen zur Berathung gelangte Gesetz über die höheren Bürger¬
schulen schien die allgemeine Aufmerksamkeit, die sich in der letzten Zeit fast
ausschließlich auf die coloniale Frage gerichtet hatte, wieder auf die Schul-
angelegenhetten zu lenken, und Herr Groen hatte die Genugthuung, daß von
seinen Ideen wieder gesprochen wurde.

Das Ministerium Thorbecke und das Cabinet Franssen van de Putte
unterlagen jedoch in dem Streit über die Colonien und die Conservativen
gelangten wieder ans Ruder. Einige Mitglieder des neuen Ministeriums
Myer — van Zuylen gehörten zu den Gesinnungsgenossen Groens und man er¬
wartete allgemein von denselben, daß sie nicht allein die coloniale Frage
lösen, sondern auch eine Revision des Schulgesetzes von 1857 herbeiführen
würden. In dieser Erwartung sah man sich wiederum gänzlich betrogen.
Herr Myer ließ sich alsbald zum Generalgouvemeur von Ostindien ernennen.


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[0180] konnten sich mit allem Recht darauf berufen, daß die Schule nach dem Gesetz christlich, also nicht gottesdienstlos sei. Dasselbe Wörtchen „christlich", das im Jahre 1857 von den Liberalen als ein den Christlich-nationalen gemach¬ tes Zugeständnis? betrachtet worden war, bildete jetzt den Stein des An¬ stoßes für die nationalen. Herr Groen ließ sich im Jahr 1862 wieder in die zweite Kammer wäh¬ len, da die Aussichten auf Erfolg seiner Bestrebungen unter den damaligen politischen Verhältnissen gewachsen waren. Die conservative Partei hatte nämlich nach dem Ministerium van der Brughen-Simons noch einige Ministerien aufgestellt, die jedoch alle keine dauernde Mehrzahl in den Kammern für sich gewinnen konnten. Der König hatte deshalb wieder Herrn Thorbecke beauftragt, ein liberales Cabinet zu bilden. In Folge dieses Umschlags suchten die Conservativen ihre früheren Bundesgenossen, die Christlich-nationalen wieder auf. um ihre Opposition gegen Thorbecke dadurch zu verstärken. Herr Groen scheint im Jahre 1862 auf Grund dieses Bündnisses, das sich jedoch als sehr locker erwies, auf eine Revision des Schulgesetzes gehofft zu haben. Er beantragte deshalb in der Kammer die Streichung des Wörtchens „christlich", weil „christliche Tugenden" und ein Christenthum, die sich nicht auf Dogmen stützte, nicht beständen; da die Staatsschule neutral sein und keine Dogmen lehren solle, könne in derselben weder vom Christenthum, noch von christlichen Tugenden die Rede sein. Von anderer Seite wurde dagegen behauptet: Es gebe ein Christenthum, das über der Meinungsverschiedenheit stehe, das der Ausfluß der Ueberzeugung aller Konfessionen und Secten sei und nach dem sich unsere modernen socialen Verhältnisse gestaltet hätten. Zu einem Resultate hat die Eingabe des Herrn Groen nicht geführt, da er nur geringe Unterstützung fand. Das inzwischen zur Berathung gelangte Gesetz über die höheren Bürger¬ schulen schien die allgemeine Aufmerksamkeit, die sich in der letzten Zeit fast ausschließlich auf die coloniale Frage gerichtet hatte, wieder auf die Schul- angelegenhetten zu lenken, und Herr Groen hatte die Genugthuung, daß von seinen Ideen wieder gesprochen wurde. Das Ministerium Thorbecke und das Cabinet Franssen van de Putte unterlagen jedoch in dem Streit über die Colonien und die Conservativen gelangten wieder ans Ruder. Einige Mitglieder des neuen Ministeriums Myer — van Zuylen gehörten zu den Gesinnungsgenossen Groens und man er¬ wartete allgemein von denselben, daß sie nicht allein die coloniale Frage lösen, sondern auch eine Revision des Schulgesetzes von 1857 herbeiführen würden. In dieser Erwartung sah man sich wiederum gänzlich betrogen. Herr Myer ließ sich alsbald zum Generalgouvemeur von Ostindien ernennen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120686/180>, abgerufen am 24.07.2024.