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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band.

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Wir sahen nun noch zwei große und höchst interessante Lakonien. Die
eine ist im Besitze der Familie Borgia, die einen prächtigen Garten darin
angelegt hat. Er ist ringsherum von mehr als hundert Fuß hohen Fels¬
wänden eingeschlossen, eine mit einem mächtigen Saal, welcher schon einmal
zu einem Balle benutzt wurde. Kolossale Felspfeiler von phantastischen For-
men sind im Garten stehen geblieben, und zwischen sie hinein hat das Erd-
beben von oben herab riesige Blöcke gestürzt. Die andere Latomie ist die
der Kapuziner, die größte und mächtigste, ein höchst malerischer Irrgarten
von den großartigsten Prospecten.

Neben S. Giovanni, der einzigen Kirche, die als mittelalterliches Denk¬
mal Interesse hat, ist der Eingang zu den Katakomben, die wie diejenigen
von Neapel in drei Etagen über einander angelegt sind, nur sind die grö¬
ßeren gekuppelten Räume regelmäßiger und gleichartiger geformt, ein Um¬
stand, der die Orientirung sehr erschwert. Auf meine Frage, ob sich Ge¬
mälde in den Katakomben fänden, sagte der Custode, es sei ein einziges da;
aber er vermochte nicht, es wieder aufzufinden, so leicht ist es hier, sich zu
verirren.




Am Ausgang einer ziemlich engen malerischen Felsschlucht liegt Lentini.
Da machten wir in einem armseligen Wirthshause Rast, stärkten uns an
vortrefflichem Ziegenbraten, den man in Deutschland mit Unrecht verachtet,
und fuhren eiligst weiter, noch vor Nacht Catania zu erreichen. Aber nicht
lange, so begegnete uns ein Wagen, der am Simeto hatte umkehren müssen,
weil dieser durch Regengüsse im Innern der Insel zu stark angeschwollen war,
um vermittelst der Fähre passirt werden zu können. Auch weiter landein¬
wärts gab es keine Möglichkeit hinüberzukommen, und es blieb nichts weiter
über, als den Weg nach Lentini zurückzumachen, um in der Frühe den
Uebergang zu versuchen, in der Hoffnung, die Fluth werde bis dahin ver¬
laufen sein. Wir hatten keinen Bürgen einzulösen wie Möros, der vielleicht
dieses selben Weges gezogen war, und durften uns mit einem minder heroi¬
schen Entschlüsse begnügen.

Mit sauren Mienen begrüßten wir unsere Wirthsleute von Lentini, die
uns ihrerseits herzlich genug empfingen und dem Vetturino feierlich ge¬
lobten, unsere Betten mit reiner Wäsche versehen zu wollen, um uns mit
unserem Schicksal zu versöhnen. Ein Gang durch die Stadt verschaffte einen
komischen Anblick. Auf dem Markte nämlich ergingen sich bei beginnendem
Dunkel die Männer von Lentini, sämmtlich in lang herabhängenden weißen
Nachtmützen, wohl Hunderte. Es sah aus, als hätte sie ein plötzlicher nächt¬
licher Lärm aus den Betten geholt, und doch machten sie nur ihre gewöhn-


Wir sahen nun noch zwei große und höchst interessante Lakonien. Die
eine ist im Besitze der Familie Borgia, die einen prächtigen Garten darin
angelegt hat. Er ist ringsherum von mehr als hundert Fuß hohen Fels¬
wänden eingeschlossen, eine mit einem mächtigen Saal, welcher schon einmal
zu einem Balle benutzt wurde. Kolossale Felspfeiler von phantastischen For-
men sind im Garten stehen geblieben, und zwischen sie hinein hat das Erd-
beben von oben herab riesige Blöcke gestürzt. Die andere Latomie ist die
der Kapuziner, die größte und mächtigste, ein höchst malerischer Irrgarten
von den großartigsten Prospecten.

Neben S. Giovanni, der einzigen Kirche, die als mittelalterliches Denk¬
mal Interesse hat, ist der Eingang zu den Katakomben, die wie diejenigen
von Neapel in drei Etagen über einander angelegt sind, nur sind die grö¬
ßeren gekuppelten Räume regelmäßiger und gleichartiger geformt, ein Um¬
stand, der die Orientirung sehr erschwert. Auf meine Frage, ob sich Ge¬
mälde in den Katakomben fänden, sagte der Custode, es sei ein einziges da;
aber er vermochte nicht, es wieder aufzufinden, so leicht ist es hier, sich zu
verirren.




Am Ausgang einer ziemlich engen malerischen Felsschlucht liegt Lentini.
Da machten wir in einem armseligen Wirthshause Rast, stärkten uns an
vortrefflichem Ziegenbraten, den man in Deutschland mit Unrecht verachtet,
und fuhren eiligst weiter, noch vor Nacht Catania zu erreichen. Aber nicht
lange, so begegnete uns ein Wagen, der am Simeto hatte umkehren müssen,
weil dieser durch Regengüsse im Innern der Insel zu stark angeschwollen war,
um vermittelst der Fähre passirt werden zu können. Auch weiter landein¬
wärts gab es keine Möglichkeit hinüberzukommen, und es blieb nichts weiter
über, als den Weg nach Lentini zurückzumachen, um in der Frühe den
Uebergang zu versuchen, in der Hoffnung, die Fluth werde bis dahin ver¬
laufen sein. Wir hatten keinen Bürgen einzulösen wie Möros, der vielleicht
dieses selben Weges gezogen war, und durften uns mit einem minder heroi¬
schen Entschlüsse begnügen.

Mit sauren Mienen begrüßten wir unsere Wirthsleute von Lentini, die
uns ihrerseits herzlich genug empfingen und dem Vetturino feierlich ge¬
lobten, unsere Betten mit reiner Wäsche versehen zu wollen, um uns mit
unserem Schicksal zu versöhnen. Ein Gang durch die Stadt verschaffte einen
komischen Anblick. Auf dem Markte nämlich ergingen sich bei beginnendem
Dunkel die Männer von Lentini, sämmtlich in lang herabhängenden weißen
Nachtmützen, wohl Hunderte. Es sah aus, als hätte sie ein plötzlicher nächt¬
licher Lärm aus den Betten geholt, und doch machten sie nur ihre gewöhn-


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[0164] Wir sahen nun noch zwei große und höchst interessante Lakonien. Die eine ist im Besitze der Familie Borgia, die einen prächtigen Garten darin angelegt hat. Er ist ringsherum von mehr als hundert Fuß hohen Fels¬ wänden eingeschlossen, eine mit einem mächtigen Saal, welcher schon einmal zu einem Balle benutzt wurde. Kolossale Felspfeiler von phantastischen For- men sind im Garten stehen geblieben, und zwischen sie hinein hat das Erd- beben von oben herab riesige Blöcke gestürzt. Die andere Latomie ist die der Kapuziner, die größte und mächtigste, ein höchst malerischer Irrgarten von den großartigsten Prospecten. Neben S. Giovanni, der einzigen Kirche, die als mittelalterliches Denk¬ mal Interesse hat, ist der Eingang zu den Katakomben, die wie diejenigen von Neapel in drei Etagen über einander angelegt sind, nur sind die grö¬ ßeren gekuppelten Räume regelmäßiger und gleichartiger geformt, ein Um¬ stand, der die Orientirung sehr erschwert. Auf meine Frage, ob sich Ge¬ mälde in den Katakomben fänden, sagte der Custode, es sei ein einziges da; aber er vermochte nicht, es wieder aufzufinden, so leicht ist es hier, sich zu verirren. Am Ausgang einer ziemlich engen malerischen Felsschlucht liegt Lentini. Da machten wir in einem armseligen Wirthshause Rast, stärkten uns an vortrefflichem Ziegenbraten, den man in Deutschland mit Unrecht verachtet, und fuhren eiligst weiter, noch vor Nacht Catania zu erreichen. Aber nicht lange, so begegnete uns ein Wagen, der am Simeto hatte umkehren müssen, weil dieser durch Regengüsse im Innern der Insel zu stark angeschwollen war, um vermittelst der Fähre passirt werden zu können. Auch weiter landein¬ wärts gab es keine Möglichkeit hinüberzukommen, und es blieb nichts weiter über, als den Weg nach Lentini zurückzumachen, um in der Frühe den Uebergang zu versuchen, in der Hoffnung, die Fluth werde bis dahin ver¬ laufen sein. Wir hatten keinen Bürgen einzulösen wie Möros, der vielleicht dieses selben Weges gezogen war, und durften uns mit einem minder heroi¬ schen Entschlüsse begnügen. Mit sauren Mienen begrüßten wir unsere Wirthsleute von Lentini, die uns ihrerseits herzlich genug empfingen und dem Vetturino feierlich ge¬ lobten, unsere Betten mit reiner Wäsche versehen zu wollen, um uns mit unserem Schicksal zu versöhnen. Ein Gang durch die Stadt verschaffte einen komischen Anblick. Auf dem Markte nämlich ergingen sich bei beginnendem Dunkel die Männer von Lentini, sämmtlich in lang herabhängenden weißen Nachtmützen, wohl Hunderte. Es sah aus, als hätte sie ein plötzlicher nächt¬ licher Lärm aus den Betten geholt, und doch machten sie nur ihre gewöhn-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120686/164>, abgerufen am 24.07.2024.