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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band.

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emancipiren. Aber das steht noch in weitem Felde.' Bringen wirs doch
kaum im Parlamente zu einer Parteigruppirung! Die gesundesten unab¬
hängigsten Männer, welche wir aus den Provinzen nach Wien schicken, büßen
in kurzer Frist alle Energie ein, und auch darin liegt ein Grund des sich
immer allgemeiner und stärker äußernden Provinzialismus, über welchen später
einmal zu reden sein wird. Für diesmal will ich nur noch den "Wiener Un¬
abhängigen" welche sich getroffen fühlen sollren. a/statten, mich für einen
Ultramontanen, einen Pensionär des preußischen Preßfonds, einen abgewiese¬
nen Mitarbeiter oder was ihnen sonst beliebt zu erklären.




Griese aus Sicilien.
II.

Catania macht wie Palermo den Eindruck einer herabgekommenen Stadt,
die den Muth verloren hat. Hier wie dort eine Menge von Häusern, die
halb aufgebaut, dann mitten im Bau stehen geblieben oder mit einem Nots¬
tände zugedeckt sind. In beiden Städten sind die Straßen augenblicklich noch
in einem besonders wüsten Zustande, weil sie, vielleicht des besseren Verkehrs
wegen, nivellirt werden; so stehen ganze Häuserreihen mit ihren Eingängen
acht Fuß über dem neuen Pflastergrunde und ihre Fundamente sind blos¬
gelegt. Ein Erdstoß jetzt und sie liegen in Trümmern. Man findet wenig
gut ausgestattete Läden und denselben Dilettantismus in der Arbeit, wie
überall.

Die Tracht der Cataneserinnen hat etwas auffällig Nonnenhaftes. Keine
einzige geht ohne einen Shawl oder das Mantello über dem Kopfe. Dies
ist ein halbkreisförmiges Stück dunkelblaues oder weißes Tuch, das mit
der geraden Seite über den Kopf gelegt, unter dem Kinne zugehalten wird
und bis über die Hüften herabfällt. Wohlhabendere Frauen tragen ein
solches Mantello von schwarzer Seide und länger.

Auch hier gibt es die hübschen Pferdegeschirre in maurischen Geschmack,
und die Lastkarren werden zu fahrbaren ebenfalls bretternen Volksbüchern.
Auf einem studirte ich die Geschichte vom Verlornen Sohn. Der Künstler
hat sie kühn in ein tintenklecksendes Säculum versetzt und sich so ein für seine
Leute höchst verständliches Motiv geschaffen. Auf dem Bibliothekschranke des
Vaters stehen neben einem großen Dintenfasse nicht-weniger als drei kolossale


emancipiren. Aber das steht noch in weitem Felde.' Bringen wirs doch
kaum im Parlamente zu einer Parteigruppirung! Die gesundesten unab¬
hängigsten Männer, welche wir aus den Provinzen nach Wien schicken, büßen
in kurzer Frist alle Energie ein, und auch darin liegt ein Grund des sich
immer allgemeiner und stärker äußernden Provinzialismus, über welchen später
einmal zu reden sein wird. Für diesmal will ich nur noch den „Wiener Un¬
abhängigen" welche sich getroffen fühlen sollren. a/statten, mich für einen
Ultramontanen, einen Pensionär des preußischen Preßfonds, einen abgewiese¬
nen Mitarbeiter oder was ihnen sonst beliebt zu erklären.




Griese aus Sicilien.
II.

Catania macht wie Palermo den Eindruck einer herabgekommenen Stadt,
die den Muth verloren hat. Hier wie dort eine Menge von Häusern, die
halb aufgebaut, dann mitten im Bau stehen geblieben oder mit einem Nots¬
tände zugedeckt sind. In beiden Städten sind die Straßen augenblicklich noch
in einem besonders wüsten Zustande, weil sie, vielleicht des besseren Verkehrs
wegen, nivellirt werden; so stehen ganze Häuserreihen mit ihren Eingängen
acht Fuß über dem neuen Pflastergrunde und ihre Fundamente sind blos¬
gelegt. Ein Erdstoß jetzt und sie liegen in Trümmern. Man findet wenig
gut ausgestattete Läden und denselben Dilettantismus in der Arbeit, wie
überall.

Die Tracht der Cataneserinnen hat etwas auffällig Nonnenhaftes. Keine
einzige geht ohne einen Shawl oder das Mantello über dem Kopfe. Dies
ist ein halbkreisförmiges Stück dunkelblaues oder weißes Tuch, das mit
der geraden Seite über den Kopf gelegt, unter dem Kinne zugehalten wird
und bis über die Hüften herabfällt. Wohlhabendere Frauen tragen ein
solches Mantello von schwarzer Seide und länger.

Auch hier gibt es die hübschen Pferdegeschirre in maurischen Geschmack,
und die Lastkarren werden zu fahrbaren ebenfalls bretternen Volksbüchern.
Auf einem studirte ich die Geschichte vom Verlornen Sohn. Der Künstler
hat sie kühn in ein tintenklecksendes Säculum versetzt und sich so ein für seine
Leute höchst verständliches Motiv geschaffen. Auf dem Bibliothekschranke des
Vaters stehen neben einem großen Dintenfasse nicht-weniger als drei kolossale


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[0159] emancipiren. Aber das steht noch in weitem Felde.' Bringen wirs doch kaum im Parlamente zu einer Parteigruppirung! Die gesundesten unab¬ hängigsten Männer, welche wir aus den Provinzen nach Wien schicken, büßen in kurzer Frist alle Energie ein, und auch darin liegt ein Grund des sich immer allgemeiner und stärker äußernden Provinzialismus, über welchen später einmal zu reden sein wird. Für diesmal will ich nur noch den „Wiener Un¬ abhängigen" welche sich getroffen fühlen sollren. a/statten, mich für einen Ultramontanen, einen Pensionär des preußischen Preßfonds, einen abgewiese¬ nen Mitarbeiter oder was ihnen sonst beliebt zu erklären. Griese aus Sicilien. II. Catania macht wie Palermo den Eindruck einer herabgekommenen Stadt, die den Muth verloren hat. Hier wie dort eine Menge von Häusern, die halb aufgebaut, dann mitten im Bau stehen geblieben oder mit einem Nots¬ tände zugedeckt sind. In beiden Städten sind die Straßen augenblicklich noch in einem besonders wüsten Zustande, weil sie, vielleicht des besseren Verkehrs wegen, nivellirt werden; so stehen ganze Häuserreihen mit ihren Eingängen acht Fuß über dem neuen Pflastergrunde und ihre Fundamente sind blos¬ gelegt. Ein Erdstoß jetzt und sie liegen in Trümmern. Man findet wenig gut ausgestattete Läden und denselben Dilettantismus in der Arbeit, wie überall. Die Tracht der Cataneserinnen hat etwas auffällig Nonnenhaftes. Keine einzige geht ohne einen Shawl oder das Mantello über dem Kopfe. Dies ist ein halbkreisförmiges Stück dunkelblaues oder weißes Tuch, das mit der geraden Seite über den Kopf gelegt, unter dem Kinne zugehalten wird und bis über die Hüften herabfällt. Wohlhabendere Frauen tragen ein solches Mantello von schwarzer Seide und länger. Auch hier gibt es die hübschen Pferdegeschirre in maurischen Geschmack, und die Lastkarren werden zu fahrbaren ebenfalls bretternen Volksbüchern. Auf einem studirte ich die Geschichte vom Verlornen Sohn. Der Künstler hat sie kühn in ein tintenklecksendes Säculum versetzt und sich so ein für seine Leute höchst verständliches Motiv geschaffen. Auf dem Bibliothekschranke des Vaters stehen neben einem großen Dintenfasse nicht-weniger als drei kolossale

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120686/159>, abgerufen am 04.07.2024.