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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band.

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wie sich die Blätter von der Solidität einer Unternehmung überzeugen. Aber
nachdem der Kampf vierzehn Tage getobt hatte und alle Kämpfer über und
über mit Koth bedeckt waren, erkannte es die Creditanstalt für die weiseste
Politik, Frieden zu machen, und ihr Gegner schwieg. Er brauchte das Ein¬
stellen der Feindseligkeiten nicht zu erklären oder zu entschuldigen, die Leser
wußten, woran sie waren und woran er war.

Derselbe Herr benutzte diesen Anlaß, um zu dociren. daß die Zugänglich-
keit in wirthschaftlichen Fragen keineswegs auch Käuflichkeit in der Politik
bedinge: dort handle sichs um Geschäfte, hier um Ueberzeugungen. Ob er
viele Gläubige gefunden hat, steht dahin. Gewöhnlich geartete Sterbliche
werden nicht so leicht im Stande sein, diese sublime Unterscheidung zu be.
greifen. In Wahrheit gelangt man dahin, an Integrität bei Persönlich¬
keiten des öffentlichen Lebens überhaupt nicht mehr zu glauben. Hier und da
sind auch schon sehr böse Anspielungen darüber gefallen, in welchen Kreisen
die neueste schwarze Kunst Adepten aufzuweisen habe, und mit einfachen De¬
mentis wird man das Mißtrauen nicht ausrotten. Die "Unabhängigkeit der
Presse" wurde schon vor Jahren so gekennzeichnet: "Von den fünfzehn Tages¬
blättern in Wien sind vierzehn officiös und eins officiell." Das mag über¬
trieben sein, kommt aber gewiß der Wahrheit ziemlich nahe. Auffallen muß
es schon, daß Zänkereien zwischen zwei Zeitungen regelmäßig mit der Be¬
schuldigung der Officiosität nach beiden Seiten anfangen. .Und als der Ab¬
geordnete Steile, das eiMnt tsi-ribis der Opposition, einmal behauptete, Herr
v. Beust habe die gesammte Journalistik Wiens gekauft, erhielt er zwar von
allen Seiten Grobheiten, aber so viel ich mich erinnere (sollte ich irren, so
bitte ich um Entschuldigung), forderte von den namhaften Wiener Blättern
nur eines dccidirt Beweis oder Widerruf -- der Wanderer. Das war vor
etwa zwei Jahren; seit einigen Wochen soll auch der Wanderer in den Besitz
von Leuten übergegangen sein, welche eher mit sich reden lassen. Gewiß läßt
nicht jedes Blatt sich die Unterstützung der Regierung baar bezahlen, denn
unter Umständen können ja Nachrichten viel mehr werth sein als Banknoten.
Auch mögen häufig nur Verträge für einen bestimmten Fall abgeschlossen
werden. Wo aber weder Geld, noch Mittheilungen noch Orden Einfluß
haben, da herrscht gewöhnlich eine Roheit, ein so ekelhaftes Schmeicheln
und Hätscheln der Leidenschaften und des Geschmacks der großen Masse, daß
einem reinlichen Menschen auch vor der Berührung mit diesen Unabhängigen
graut. Die natürliche Folge ist, daß immer seltener politische Menschen,
welche mit ihrer Meinung und ihrer Stellung kein Geschäft machen wollen,
sich an der Publicistik betheiligen. Allerdings ist es nicht die rechte Art. sich
schmollend und pessimistisch zurückzuziehen. Die Parteien müssen Opfer brin¬
gen, um sich von der schmählichen Vormundschaft der Geschästsblätter zu


wie sich die Blätter von der Solidität einer Unternehmung überzeugen. Aber
nachdem der Kampf vierzehn Tage getobt hatte und alle Kämpfer über und
über mit Koth bedeckt waren, erkannte es die Creditanstalt für die weiseste
Politik, Frieden zu machen, und ihr Gegner schwieg. Er brauchte das Ein¬
stellen der Feindseligkeiten nicht zu erklären oder zu entschuldigen, die Leser
wußten, woran sie waren und woran er war.

Derselbe Herr benutzte diesen Anlaß, um zu dociren. daß die Zugänglich-
keit in wirthschaftlichen Fragen keineswegs auch Käuflichkeit in der Politik
bedinge: dort handle sichs um Geschäfte, hier um Ueberzeugungen. Ob er
viele Gläubige gefunden hat, steht dahin. Gewöhnlich geartete Sterbliche
werden nicht so leicht im Stande sein, diese sublime Unterscheidung zu be.
greifen. In Wahrheit gelangt man dahin, an Integrität bei Persönlich¬
keiten des öffentlichen Lebens überhaupt nicht mehr zu glauben. Hier und da
sind auch schon sehr böse Anspielungen darüber gefallen, in welchen Kreisen
die neueste schwarze Kunst Adepten aufzuweisen habe, und mit einfachen De¬
mentis wird man das Mißtrauen nicht ausrotten. Die „Unabhängigkeit der
Presse" wurde schon vor Jahren so gekennzeichnet: „Von den fünfzehn Tages¬
blättern in Wien sind vierzehn officiös und eins officiell." Das mag über¬
trieben sein, kommt aber gewiß der Wahrheit ziemlich nahe. Auffallen muß
es schon, daß Zänkereien zwischen zwei Zeitungen regelmäßig mit der Be¬
schuldigung der Officiosität nach beiden Seiten anfangen. .Und als der Ab¬
geordnete Steile, das eiMnt tsi-ribis der Opposition, einmal behauptete, Herr
v. Beust habe die gesammte Journalistik Wiens gekauft, erhielt er zwar von
allen Seiten Grobheiten, aber so viel ich mich erinnere (sollte ich irren, so
bitte ich um Entschuldigung), forderte von den namhaften Wiener Blättern
nur eines dccidirt Beweis oder Widerruf — der Wanderer. Das war vor
etwa zwei Jahren; seit einigen Wochen soll auch der Wanderer in den Besitz
von Leuten übergegangen sein, welche eher mit sich reden lassen. Gewiß läßt
nicht jedes Blatt sich die Unterstützung der Regierung baar bezahlen, denn
unter Umständen können ja Nachrichten viel mehr werth sein als Banknoten.
Auch mögen häufig nur Verträge für einen bestimmten Fall abgeschlossen
werden. Wo aber weder Geld, noch Mittheilungen noch Orden Einfluß
haben, da herrscht gewöhnlich eine Roheit, ein so ekelhaftes Schmeicheln
und Hätscheln der Leidenschaften und des Geschmacks der großen Masse, daß
einem reinlichen Menschen auch vor der Berührung mit diesen Unabhängigen
graut. Die natürliche Folge ist, daß immer seltener politische Menschen,
welche mit ihrer Meinung und ihrer Stellung kein Geschäft machen wollen,
sich an der Publicistik betheiligen. Allerdings ist es nicht die rechte Art. sich
schmollend und pessimistisch zurückzuziehen. Die Parteien müssen Opfer brin¬
gen, um sich von der schmählichen Vormundschaft der Geschästsblätter zu


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120686/158>, abgerufen am 24.07.2024.