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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band.

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stellen. Und was in der Hauptstadt unmöglich, wie sollte das in den Kron¬
ländern möglich sein! Nur Ungarn hat sich nie Wien untergeordnet und
Prag erhält einige Blätter von mehr als localer Bedeutung, hauptsächlich,
weil es die Hauptstadt eines industriellen Landes ist.

Nickt immer war es so schlecht um die Wiener Presse bestellt. Von
der ausschließlich belletristischen Zeit vor 1848 kann hier so wenig die Rede
sein wie von dem Sturmjahre. Aber die wenigen Zeitungen, welche sich aus
jenem in den Belagerungszustand hinübergerettet hatten, bewahrten auch in
den folgenden Jahren eine im Allgemeinen sehr anständige Haltung. Der Grün"
der der damals sehr einflußreichen "Presse", der bekannte Zang, war, was
man ihm auch sonst vorwerfen mag. jeder Zeit ein guter Oestreicher. Man
machte sogar Opposition innerhalb der engen Grenzen der Bach'schen "Pre߬
freiheit". Zur Zeit des orientalischen Krieges errangen die Wiener Blätter
sich eine geachtete Position vor ganz Europa. Ueberall wurde anerkannt,
daß sie mit Talent gemacht und von Patriotismus geleitet seien. Nur ein
Fleck haftete noch von früherher auf der Wiener Journalistik: die literarische und
Kunstkritik galt für käuflich. Dagegen empörte sich ein Kreis von jungen
Männern, welche sich eines reineren Strebens bewußt waren als die Ver¬
treter des "alten Wien", die Saphir und Bäuerle und Consorten und unter
dem Beifall des Publicums wurden diese Götzen von ihren Postamenten ge¬
stürzt. Aber um dieselbe Zeit, als in den Feuilletons gegen die Bestechlich¬
keit gedonnert wurde, hielt die Corruption zum ersten Male ihren feierlichen
Einzug in die Spalten "über dem Strich". Der arme Saphir mußte Spie߬
ruthen laufen, weil er den Sänger tadelte, welcher verabsäumt hatte, ihm
einen Braten in die Küche und noch einige Ducaten dazu zu schicken; der
Scandal endigte wie gewöhnlich mit einer Gerichtsverhandlung, und die
Herren Redacteure und Eigenthümer der Zeitungen wendeten sich voll mo¬
ralischer Entrüstung von dem feilen Collegen ab. Denn sie hatten sich ja
nur "betheilen" lassen. Von Brück patronistrt war kurz zuvor die Credit¬
anstalt für Handel und Gewerbe nach französischem Muster gegründet wor¬
den und nach französischem Muster suchte man die Blätter für das Unter¬
nehmen zu interessiren, indem man ihnen Actien zum Emissionspreise zur
Verfügung stellte. Ein ganz unschuldiger Vorgang -- natürlich. Nicht we¬
niger natürlich thaten die Blätter das Ihrige, um die Actien in die Höhe
zu bringen. Und es gelang ihnen wunderbar. Die berüchtigte L.ne Huin-
cnmpoix war nach Wien versetzt Vierundzwanzig Stunden vor Beginn der
Actienzeichnung stellten sich die Menschenmassen unter freiem Himmel auf,
um einige Jnterimsscheine zu erwerben und sie sofort wieder mit einem Auf¬
gelde von zehn oder fünfzehn Gulden an den Mann zu bringen. Und so
stieg das Agio von Tage zu Tage fort. Weshalb? Wo lag die Gewähr


stellen. Und was in der Hauptstadt unmöglich, wie sollte das in den Kron¬
ländern möglich sein! Nur Ungarn hat sich nie Wien untergeordnet und
Prag erhält einige Blätter von mehr als localer Bedeutung, hauptsächlich,
weil es die Hauptstadt eines industriellen Landes ist.

Nickt immer war es so schlecht um die Wiener Presse bestellt. Von
der ausschließlich belletristischen Zeit vor 1848 kann hier so wenig die Rede
sein wie von dem Sturmjahre. Aber die wenigen Zeitungen, welche sich aus
jenem in den Belagerungszustand hinübergerettet hatten, bewahrten auch in
den folgenden Jahren eine im Allgemeinen sehr anständige Haltung. Der Grün»
der der damals sehr einflußreichen „Presse", der bekannte Zang, war, was
man ihm auch sonst vorwerfen mag. jeder Zeit ein guter Oestreicher. Man
machte sogar Opposition innerhalb der engen Grenzen der Bach'schen „Pre߬
freiheit". Zur Zeit des orientalischen Krieges errangen die Wiener Blätter
sich eine geachtete Position vor ganz Europa. Ueberall wurde anerkannt,
daß sie mit Talent gemacht und von Patriotismus geleitet seien. Nur ein
Fleck haftete noch von früherher auf der Wiener Journalistik: die literarische und
Kunstkritik galt für käuflich. Dagegen empörte sich ein Kreis von jungen
Männern, welche sich eines reineren Strebens bewußt waren als die Ver¬
treter des „alten Wien", die Saphir und Bäuerle und Consorten und unter
dem Beifall des Publicums wurden diese Götzen von ihren Postamenten ge¬
stürzt. Aber um dieselbe Zeit, als in den Feuilletons gegen die Bestechlich¬
keit gedonnert wurde, hielt die Corruption zum ersten Male ihren feierlichen
Einzug in die Spalten „über dem Strich". Der arme Saphir mußte Spie߬
ruthen laufen, weil er den Sänger tadelte, welcher verabsäumt hatte, ihm
einen Braten in die Küche und noch einige Ducaten dazu zu schicken; der
Scandal endigte wie gewöhnlich mit einer Gerichtsverhandlung, und die
Herren Redacteure und Eigenthümer der Zeitungen wendeten sich voll mo¬
ralischer Entrüstung von dem feilen Collegen ab. Denn sie hatten sich ja
nur „betheilen" lassen. Von Brück patronistrt war kurz zuvor die Credit¬
anstalt für Handel und Gewerbe nach französischem Muster gegründet wor¬
den und nach französischem Muster suchte man die Blätter für das Unter¬
nehmen zu interessiren, indem man ihnen Actien zum Emissionspreise zur
Verfügung stellte. Ein ganz unschuldiger Vorgang — natürlich. Nicht we¬
niger natürlich thaten die Blätter das Ihrige, um die Actien in die Höhe
zu bringen. Und es gelang ihnen wunderbar. Die berüchtigte L.ne Huin-
cnmpoix war nach Wien versetzt Vierundzwanzig Stunden vor Beginn der
Actienzeichnung stellten sich die Menschenmassen unter freiem Himmel auf,
um einige Jnterimsscheine zu erwerben und sie sofort wieder mit einem Auf¬
gelde von zehn oder fünfzehn Gulden an den Mann zu bringen. Und so
stieg das Agio von Tage zu Tage fort. Weshalb? Wo lag die Gewähr


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[0154] stellen. Und was in der Hauptstadt unmöglich, wie sollte das in den Kron¬ ländern möglich sein! Nur Ungarn hat sich nie Wien untergeordnet und Prag erhält einige Blätter von mehr als localer Bedeutung, hauptsächlich, weil es die Hauptstadt eines industriellen Landes ist. Nickt immer war es so schlecht um die Wiener Presse bestellt. Von der ausschließlich belletristischen Zeit vor 1848 kann hier so wenig die Rede sein wie von dem Sturmjahre. Aber die wenigen Zeitungen, welche sich aus jenem in den Belagerungszustand hinübergerettet hatten, bewahrten auch in den folgenden Jahren eine im Allgemeinen sehr anständige Haltung. Der Grün» der der damals sehr einflußreichen „Presse", der bekannte Zang, war, was man ihm auch sonst vorwerfen mag. jeder Zeit ein guter Oestreicher. Man machte sogar Opposition innerhalb der engen Grenzen der Bach'schen „Pre߬ freiheit". Zur Zeit des orientalischen Krieges errangen die Wiener Blätter sich eine geachtete Position vor ganz Europa. Ueberall wurde anerkannt, daß sie mit Talent gemacht und von Patriotismus geleitet seien. Nur ein Fleck haftete noch von früherher auf der Wiener Journalistik: die literarische und Kunstkritik galt für käuflich. Dagegen empörte sich ein Kreis von jungen Männern, welche sich eines reineren Strebens bewußt waren als die Ver¬ treter des „alten Wien", die Saphir und Bäuerle und Consorten und unter dem Beifall des Publicums wurden diese Götzen von ihren Postamenten ge¬ stürzt. Aber um dieselbe Zeit, als in den Feuilletons gegen die Bestechlich¬ keit gedonnert wurde, hielt die Corruption zum ersten Male ihren feierlichen Einzug in die Spalten „über dem Strich". Der arme Saphir mußte Spie߬ ruthen laufen, weil er den Sänger tadelte, welcher verabsäumt hatte, ihm einen Braten in die Küche und noch einige Ducaten dazu zu schicken; der Scandal endigte wie gewöhnlich mit einer Gerichtsverhandlung, und die Herren Redacteure und Eigenthümer der Zeitungen wendeten sich voll mo¬ ralischer Entrüstung von dem feilen Collegen ab. Denn sie hatten sich ja nur „betheilen" lassen. Von Brück patronistrt war kurz zuvor die Credit¬ anstalt für Handel und Gewerbe nach französischem Muster gegründet wor¬ den und nach französischem Muster suchte man die Blätter für das Unter¬ nehmen zu interessiren, indem man ihnen Actien zum Emissionspreise zur Verfügung stellte. Ein ganz unschuldiger Vorgang — natürlich. Nicht we¬ niger natürlich thaten die Blätter das Ihrige, um die Actien in die Höhe zu bringen. Und es gelang ihnen wunderbar. Die berüchtigte L.ne Huin- cnmpoix war nach Wien versetzt Vierundzwanzig Stunden vor Beginn der Actienzeichnung stellten sich die Menschenmassen unter freiem Himmel auf, um einige Jnterimsscheine zu erwerben und sie sofort wieder mit einem Auf¬ gelde von zehn oder fünfzehn Gulden an den Mann zu bringen. Und so stieg das Agio von Tage zu Tage fort. Weshalb? Wo lag die Gewähr

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120686/154>, abgerufen am 24.07.2024.