Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band.rem Geschmack fast zu gründlich, die Vorurtheile beseitigt, welche das Weib Und doch brauchen wir kaum zu fürchten, daß wir in unseren, vielleicht Es ist nicht zu leugnen, namentlich seit der Thronbesteigung der Königin rem Geschmack fast zu gründlich, die Vorurtheile beseitigt, welche das Weib Und doch brauchen wir kaum zu fürchten, daß wir in unseren, vielleicht Es ist nicht zu leugnen, namentlich seit der Thronbesteigung der Königin <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0148" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/120835"/> <p xml:id="ID_448" prev="#ID_447"> rem Geschmack fast zu gründlich, die Vorurtheile beseitigt, welche das Weib<lb/> in die stillen Kreise, wenn nicht gerade des Familien-, so doch des Privat¬<lb/> lebens verweisen! Ist doch nirgends der genossenschaftliche Geist lebendiger,<lb/> schöpferischer als in Großbritannien, und bemächtigt er sich doch nirgends<lb/> rascher und ernstlicher aller sogenannten socialen Zeitfragen! In einem Lande,<lb/> wo eine Miß Fry und eine Miß Mary Carpenter Unvergleichliches für die<lb/> Reform des Gefängnißwesens geleistet, eine Miß Florence Hill und Miß<lb/> Louis« Troining für die Einrichtung von Armen- und Rettungshäusern ganz<lb/> neue Bahnen vorgezeichnet, wo eine Miß Burdett Coues bahnbrechend für die<lb/> Begründung von Land- und Baugesellschaften gewirkt, und Frauen wie die<lb/> verehrungswürdige Miß Nightingale der Welt gezeigt haben, welche Refor¬<lb/> men die Humanität auf dem Gebiete der öffentlichen Krankenpflege und des<lb/> Lazarethwesens fordere; in einem Lande, wo der bessere Theil der erzählen¬<lb/> den Literatur großentheils in Frauenhänden ruht, wo viele anderwärts aus¬<lb/> schließlich den Männern vorbehaltene Berufszweige seit langer Zeit her¬<lb/> gebrachtermaßen von Frauen versehen werden; in einem Lande endlich, wo<lb/> das Plaidoyer eines John Stuart Mill und eines Fawcett für politische<lb/> Gleichberechtigung der Frauen kaum mehr große Sensation erregt — in einem<lb/> solchen Lande waren ja alle Bedingungen gegeben, um die Frauenfrage einer<lb/> systematischen Lösung entgegenzuführen.</p><lb/> <p xml:id="ID_449"> Und doch brauchen wir kaum zu fürchten, daß wir in unseren, vielleicht<lb/> bescheidener aussehenden Bestrebungen auf dem gleichen Gebiete von den Eng¬<lb/> ländern alsbald überflügelt werden möchten. In Großbritannien gilt es zu¬<lb/> vörderst noch eine Arbeit zu vollenden, die bei uns längst erledigt ist; ich<lb/> meine die privatrechtliche Emancipation der Frau. Und eine andere Arbeit,<lb/> welche dort eingeleitet ist. wird — fürchte ich — zu einer Vergeudung werth¬<lb/> voller Kräfte führen. Der Kampf für die politische Gleichstellung der Frau<lb/> ist ein Kampf um ein Schemen. Würde der Sieg errungen — es würde<lb/> ein Sieg von sehr zweifelhaftem Werthe und von sehr fraglicher Dauer sein.</p><lb/> <p xml:id="ID_450" next="#ID_451"> Es ist nicht zu leugnen, namentlich seit der Thronbesteigung der Königin<lb/> Victoria ist in Großbritannien Vieles geschehen, ebensowohl zur Verbesserung<lb/> weiblicher Erziehung, wie zur Eröffnung neuer Erwerbsgebiete für Frauen.<lb/> In jeder größeren Stadt des mit Großstädten so reich gesegneten Jnselreichs<lb/> bestehen Vereine, die nach beiden Seiten hin ihre Wirksamkeit entfalten.<lb/> Aber das Terrain ist schwieriger zu bearbeiten, als es auf den ersten Blick<lb/> scheint. Die mehr wissenschaftlichen Berufszweige sind in England den Frauen<lb/> minder verschlossen, als anderwärts, und die mächtige und mächtig centrali-<lb/> sirte Großindustrie verwendet Frauenarbeit in ausgedehntesten Maße, oft<lb/> freilich auch in widernatürlichster Weise. Dagegen widerstrebt in den mittle¬<lb/> ren Schichten der Bevölkerung ein vielleicht stärkeres Vorurtheil, als ander-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0148]
rem Geschmack fast zu gründlich, die Vorurtheile beseitigt, welche das Weib
in die stillen Kreise, wenn nicht gerade des Familien-, so doch des Privat¬
lebens verweisen! Ist doch nirgends der genossenschaftliche Geist lebendiger,
schöpferischer als in Großbritannien, und bemächtigt er sich doch nirgends
rascher und ernstlicher aller sogenannten socialen Zeitfragen! In einem Lande,
wo eine Miß Fry und eine Miß Mary Carpenter Unvergleichliches für die
Reform des Gefängnißwesens geleistet, eine Miß Florence Hill und Miß
Louis« Troining für die Einrichtung von Armen- und Rettungshäusern ganz
neue Bahnen vorgezeichnet, wo eine Miß Burdett Coues bahnbrechend für die
Begründung von Land- und Baugesellschaften gewirkt, und Frauen wie die
verehrungswürdige Miß Nightingale der Welt gezeigt haben, welche Refor¬
men die Humanität auf dem Gebiete der öffentlichen Krankenpflege und des
Lazarethwesens fordere; in einem Lande, wo der bessere Theil der erzählen¬
den Literatur großentheils in Frauenhänden ruht, wo viele anderwärts aus¬
schließlich den Männern vorbehaltene Berufszweige seit langer Zeit her¬
gebrachtermaßen von Frauen versehen werden; in einem Lande endlich, wo
das Plaidoyer eines John Stuart Mill und eines Fawcett für politische
Gleichberechtigung der Frauen kaum mehr große Sensation erregt — in einem
solchen Lande waren ja alle Bedingungen gegeben, um die Frauenfrage einer
systematischen Lösung entgegenzuführen.
Und doch brauchen wir kaum zu fürchten, daß wir in unseren, vielleicht
bescheidener aussehenden Bestrebungen auf dem gleichen Gebiete von den Eng¬
ländern alsbald überflügelt werden möchten. In Großbritannien gilt es zu¬
vörderst noch eine Arbeit zu vollenden, die bei uns längst erledigt ist; ich
meine die privatrechtliche Emancipation der Frau. Und eine andere Arbeit,
welche dort eingeleitet ist. wird — fürchte ich — zu einer Vergeudung werth¬
voller Kräfte führen. Der Kampf für die politische Gleichstellung der Frau
ist ein Kampf um ein Schemen. Würde der Sieg errungen — es würde
ein Sieg von sehr zweifelhaftem Werthe und von sehr fraglicher Dauer sein.
Es ist nicht zu leugnen, namentlich seit der Thronbesteigung der Königin
Victoria ist in Großbritannien Vieles geschehen, ebensowohl zur Verbesserung
weiblicher Erziehung, wie zur Eröffnung neuer Erwerbsgebiete für Frauen.
In jeder größeren Stadt des mit Großstädten so reich gesegneten Jnselreichs
bestehen Vereine, die nach beiden Seiten hin ihre Wirksamkeit entfalten.
Aber das Terrain ist schwieriger zu bearbeiten, als es auf den ersten Blick
scheint. Die mehr wissenschaftlichen Berufszweige sind in England den Frauen
minder verschlossen, als anderwärts, und die mächtige und mächtig centrali-
sirte Großindustrie verwendet Frauenarbeit in ausgedehntesten Maße, oft
freilich auch in widernatürlichster Weise. Dagegen widerstrebt in den mittle¬
ren Schichten der Bevölkerung ein vielleicht stärkeres Vorurtheil, als ander-
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