Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

befangener Beurtheiler französischer Zustände die Klage, daß bei diesem un¬
serem Nachbarvolke, welches sich so gern seines Platzes an der Spitze der Ci-'
vilisation rühmt, die weibliche Erziehung so gut wie Alles zu wünschen läßt,
in den unteren Ständen ebenso wie in den höheren.

Auch die bei uns übliche weibliche Erziehung ist -- ich suchte dies an
anderer Stelle zu constatiren -- in vielen Stücken mangelhaft. Aber das
Durchschnittsniveau der Bildung unserer Frauen in Stadt und Land, in
allen Lebenskreisen, steht doch offenbar höher als das der französischen,
die zum größten Theile noch auf die dürftigen Leistungen geistlicher Ordens¬
schulen beschränkt sind. Nur zu leicht lassen wir uns in unserem Urtheile
zu Gunsten des Bildungszustandes französischer Frauen blenden durch das,
was wir in Pariser Werkstätten beobachten und aus diesen hervorgehen
sehen. Aber das ist mehr natürliche Anlage und angeborener Geschmack, als
die Frucht sorgsamer Erziehung, und Paris ist nicht Frankreich, die Pariser
Jndustriearbeiterinnen bilden doch nur einen sehr kleinen und einen ganz ab¬
sonderlichen Bruchtheil der weiblichen Bevölkerung des Kaiserreichs.

Die neueren, namentlich von dem derzeitigen Unterrrichrsminister Duruy
angeregten Bestrebungen auf dem Gebiete der Frauenfrage sind deshalb
auch vorzugsweise auf eine gründliche Reform der weiblichen Erziehung, der
elementaren, wie der höheren Bildungsanstalten, gerichtet. Und selbst von
diesen Bestrebungen kann man nicht Notiz nehmen, ohne sich von der Be¬
fürchtung beschleichen zu lassen, daß es dabei weit mehr auf einseitige, schablo-
nenmäßige Dressur, als auf gründliche und harmonische Durchbildung abge¬
sehen sei.

Wir können in Paris lernen, welcher großen Ausdehnung das gewerb¬
liche Arbeitsgebiet der Frauen sähig ist; aber, wenn wir nach Vorbildern
einer zweckmäßigen weiblichen Erziehungsmethode suchen, dürfen wir unsere
Blicke gewiß nicht nach Frankreich wenden.

Beschränken sich in Frankreich die auf die Verbesserung der Stellung
des weiblichen Geschlechtes gerichteten Bestrebungen fast lediglich auf einige
theils von gemeinsinnigen Privatpersonen, theils von Staatswegen unter¬
nommene und auf die weibliche Bevölkerung von Paris berechnete Versuche
von noch ziemlich jungem Datum, so darf es nicht Wunder nehmen, daß jen¬
seits des Canals. in Großbritannien, die Bewegung Ungleich tiefere
Wurzeln geschlagen, ungleich breiteren Boden gewonnen hat. Hat sich doch
in Großbritannien schon seit geraumer Zeit die Stellung der Frau völlig an¬
ders gestaltet, als aus dem Continent! Spielen doch dort, keineswegs erst
seit heute und gestern, die privatrechtlich stärker als irgendwo bevormundeten
Frauen im öffentlichen Leben eine weitaus bedeutendere Rolle, als irgendwo
sonst! Sind doch dort früher als anderwärts, und gründlicher, nach unse-


18"

befangener Beurtheiler französischer Zustände die Klage, daß bei diesem un¬
serem Nachbarvolke, welches sich so gern seines Platzes an der Spitze der Ci-'
vilisation rühmt, die weibliche Erziehung so gut wie Alles zu wünschen läßt,
in den unteren Ständen ebenso wie in den höheren.

Auch die bei uns übliche weibliche Erziehung ist — ich suchte dies an
anderer Stelle zu constatiren — in vielen Stücken mangelhaft. Aber das
Durchschnittsniveau der Bildung unserer Frauen in Stadt und Land, in
allen Lebenskreisen, steht doch offenbar höher als das der französischen,
die zum größten Theile noch auf die dürftigen Leistungen geistlicher Ordens¬
schulen beschränkt sind. Nur zu leicht lassen wir uns in unserem Urtheile
zu Gunsten des Bildungszustandes französischer Frauen blenden durch das,
was wir in Pariser Werkstätten beobachten und aus diesen hervorgehen
sehen. Aber das ist mehr natürliche Anlage und angeborener Geschmack, als
die Frucht sorgsamer Erziehung, und Paris ist nicht Frankreich, die Pariser
Jndustriearbeiterinnen bilden doch nur einen sehr kleinen und einen ganz ab¬
sonderlichen Bruchtheil der weiblichen Bevölkerung des Kaiserreichs.

Die neueren, namentlich von dem derzeitigen Unterrrichrsminister Duruy
angeregten Bestrebungen auf dem Gebiete der Frauenfrage sind deshalb
auch vorzugsweise auf eine gründliche Reform der weiblichen Erziehung, der
elementaren, wie der höheren Bildungsanstalten, gerichtet. Und selbst von
diesen Bestrebungen kann man nicht Notiz nehmen, ohne sich von der Be¬
fürchtung beschleichen zu lassen, daß es dabei weit mehr auf einseitige, schablo-
nenmäßige Dressur, als auf gründliche und harmonische Durchbildung abge¬
sehen sei.

Wir können in Paris lernen, welcher großen Ausdehnung das gewerb¬
liche Arbeitsgebiet der Frauen sähig ist; aber, wenn wir nach Vorbildern
einer zweckmäßigen weiblichen Erziehungsmethode suchen, dürfen wir unsere
Blicke gewiß nicht nach Frankreich wenden.

Beschränken sich in Frankreich die auf die Verbesserung der Stellung
des weiblichen Geschlechtes gerichteten Bestrebungen fast lediglich auf einige
theils von gemeinsinnigen Privatpersonen, theils von Staatswegen unter¬
nommene und auf die weibliche Bevölkerung von Paris berechnete Versuche
von noch ziemlich jungem Datum, so darf es nicht Wunder nehmen, daß jen¬
seits des Canals. in Großbritannien, die Bewegung Ungleich tiefere
Wurzeln geschlagen, ungleich breiteren Boden gewonnen hat. Hat sich doch
in Großbritannien schon seit geraumer Zeit die Stellung der Frau völlig an¬
ders gestaltet, als aus dem Continent! Spielen doch dort, keineswegs erst
seit heute und gestern, die privatrechtlich stärker als irgendwo bevormundeten
Frauen im öffentlichen Leben eine weitaus bedeutendere Rolle, als irgendwo
sonst! Sind doch dort früher als anderwärts, und gründlicher, nach unse-


18"
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0147" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/120834"/>
          <p xml:id="ID_443" prev="#ID_442"> befangener Beurtheiler französischer Zustände die Klage, daß bei diesem un¬<lb/>
serem Nachbarvolke, welches sich so gern seines Platzes an der Spitze der Ci-'<lb/>
vilisation rühmt, die weibliche Erziehung so gut wie Alles zu wünschen läßt,<lb/>
in den unteren Ständen ebenso wie in den höheren.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_444"> Auch die bei uns übliche weibliche Erziehung ist &#x2014; ich suchte dies an<lb/>
anderer Stelle zu constatiren &#x2014; in vielen Stücken mangelhaft. Aber das<lb/>
Durchschnittsniveau der Bildung unserer Frauen in Stadt und Land, in<lb/>
allen Lebenskreisen, steht doch offenbar höher als das der französischen,<lb/>
die zum größten Theile noch auf die dürftigen Leistungen geistlicher Ordens¬<lb/>
schulen beschränkt sind. Nur zu leicht lassen wir uns in unserem Urtheile<lb/>
zu Gunsten des Bildungszustandes französischer Frauen blenden durch das,<lb/>
was wir in Pariser Werkstätten beobachten und aus diesen hervorgehen<lb/>
sehen. Aber das ist mehr natürliche Anlage und angeborener Geschmack, als<lb/>
die Frucht sorgsamer Erziehung, und Paris ist nicht Frankreich, die Pariser<lb/>
Jndustriearbeiterinnen bilden doch nur einen sehr kleinen und einen ganz ab¬<lb/>
sonderlichen Bruchtheil der weiblichen Bevölkerung des Kaiserreichs.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_445"> Die neueren, namentlich von dem derzeitigen Unterrrichrsminister Duruy<lb/>
angeregten Bestrebungen auf dem Gebiete der Frauenfrage sind deshalb<lb/>
auch vorzugsweise auf eine gründliche Reform der weiblichen Erziehung, der<lb/>
elementaren, wie der höheren Bildungsanstalten, gerichtet. Und selbst von<lb/>
diesen Bestrebungen kann man nicht Notiz nehmen, ohne sich von der Be¬<lb/>
fürchtung beschleichen zu lassen, daß es dabei weit mehr auf einseitige, schablo-<lb/>
nenmäßige Dressur, als auf gründliche und harmonische Durchbildung abge¬<lb/>
sehen sei.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_446"> Wir können in Paris lernen, welcher großen Ausdehnung das gewerb¬<lb/>
liche Arbeitsgebiet der Frauen sähig ist; aber, wenn wir nach Vorbildern<lb/>
einer zweckmäßigen weiblichen Erziehungsmethode suchen, dürfen wir unsere<lb/>
Blicke gewiß nicht nach Frankreich wenden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_447" next="#ID_448"> Beschränken sich in Frankreich die auf die Verbesserung der Stellung<lb/>
des weiblichen Geschlechtes gerichteten Bestrebungen fast lediglich auf einige<lb/>
theils von gemeinsinnigen Privatpersonen, theils von Staatswegen unter¬<lb/>
nommene und auf die weibliche Bevölkerung von Paris berechnete Versuche<lb/>
von noch ziemlich jungem Datum, so darf es nicht Wunder nehmen, daß jen¬<lb/>
seits des Canals. in Großbritannien, die Bewegung Ungleich tiefere<lb/>
Wurzeln geschlagen, ungleich breiteren Boden gewonnen hat. Hat sich doch<lb/>
in Großbritannien schon seit geraumer Zeit die Stellung der Frau völlig an¬<lb/>
ders gestaltet, als aus dem Continent! Spielen doch dort, keineswegs erst<lb/>
seit heute und gestern, die privatrechtlich stärker als irgendwo bevormundeten<lb/>
Frauen im öffentlichen Leben eine weitaus bedeutendere Rolle, als irgendwo<lb/>
sonst! Sind doch dort früher als anderwärts, und gründlicher, nach unse-</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> 18"</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0147] befangener Beurtheiler französischer Zustände die Klage, daß bei diesem un¬ serem Nachbarvolke, welches sich so gern seines Platzes an der Spitze der Ci-' vilisation rühmt, die weibliche Erziehung so gut wie Alles zu wünschen läßt, in den unteren Ständen ebenso wie in den höheren. Auch die bei uns übliche weibliche Erziehung ist — ich suchte dies an anderer Stelle zu constatiren — in vielen Stücken mangelhaft. Aber das Durchschnittsniveau der Bildung unserer Frauen in Stadt und Land, in allen Lebenskreisen, steht doch offenbar höher als das der französischen, die zum größten Theile noch auf die dürftigen Leistungen geistlicher Ordens¬ schulen beschränkt sind. Nur zu leicht lassen wir uns in unserem Urtheile zu Gunsten des Bildungszustandes französischer Frauen blenden durch das, was wir in Pariser Werkstätten beobachten und aus diesen hervorgehen sehen. Aber das ist mehr natürliche Anlage und angeborener Geschmack, als die Frucht sorgsamer Erziehung, und Paris ist nicht Frankreich, die Pariser Jndustriearbeiterinnen bilden doch nur einen sehr kleinen und einen ganz ab¬ sonderlichen Bruchtheil der weiblichen Bevölkerung des Kaiserreichs. Die neueren, namentlich von dem derzeitigen Unterrrichrsminister Duruy angeregten Bestrebungen auf dem Gebiete der Frauenfrage sind deshalb auch vorzugsweise auf eine gründliche Reform der weiblichen Erziehung, der elementaren, wie der höheren Bildungsanstalten, gerichtet. Und selbst von diesen Bestrebungen kann man nicht Notiz nehmen, ohne sich von der Be¬ fürchtung beschleichen zu lassen, daß es dabei weit mehr auf einseitige, schablo- nenmäßige Dressur, als auf gründliche und harmonische Durchbildung abge¬ sehen sei. Wir können in Paris lernen, welcher großen Ausdehnung das gewerb¬ liche Arbeitsgebiet der Frauen sähig ist; aber, wenn wir nach Vorbildern einer zweckmäßigen weiblichen Erziehungsmethode suchen, dürfen wir unsere Blicke gewiß nicht nach Frankreich wenden. Beschränken sich in Frankreich die auf die Verbesserung der Stellung des weiblichen Geschlechtes gerichteten Bestrebungen fast lediglich auf einige theils von gemeinsinnigen Privatpersonen, theils von Staatswegen unter¬ nommene und auf die weibliche Bevölkerung von Paris berechnete Versuche von noch ziemlich jungem Datum, so darf es nicht Wunder nehmen, daß jen¬ seits des Canals. in Großbritannien, die Bewegung Ungleich tiefere Wurzeln geschlagen, ungleich breiteren Boden gewonnen hat. Hat sich doch in Großbritannien schon seit geraumer Zeit die Stellung der Frau völlig an¬ ders gestaltet, als aus dem Continent! Spielen doch dort, keineswegs erst seit heute und gestern, die privatrechtlich stärker als irgendwo bevormundeten Frauen im öffentlichen Leben eine weitaus bedeutendere Rolle, als irgendwo sonst! Sind doch dort früher als anderwärts, und gründlicher, nach unse- 18"

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120686
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120686/147
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120686/147>, abgerufen am 24.07.2024.