Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

derselben Branche in Thätigkeit treten, wenn gleichzeitig die Nachfragenach
dem Product so sehr steigt, daß sie statt zwei- dreitausend Arbeitern Be¬
schäftigung geben könnte? Wer hat die Kühnheit, zu behaupten, daß. Frei¬
heit der Arbeit, des Handels und Verkehrs vorausgesetzt, irgendwo die Ver¬
mehrung der thätigen Arbeitskräfte eine Theilung anstatt einer Vermehrung
der Arbeitsaufgaben zur Folge haben müsse? Ist nicht das Vorurtheil. daß
die Einführung von sogenannten arbeitsparenden Maschinen Arbeiter brodlos
mache, sowie das andere, daß die Zunahme der Bevölkerung Verarmung
zur Folge haben müsse, längst überwunden? Und beruhten nicht jene Vor¬
urtheile genau auf denselben fehlerhaften Grundlagen, wie das. mit welchem
man uns jetzt entgegentritt? --

Aber noch in einer anderen Beziehung hemmt die Unkenntniß der Ge¬
setze des Wirthschaftslebens die Beseitigung bestehender Mißstände auf dem
Gebiete der Frauenarbeit. Selbst da. wo das Vorurtheil gegen die Er¬
werbsthätigkeit der Frauen längst geschwunden ist. z. B. in manchen Zweigen
der Fabrik- und der manufacturmäßigen Großindustrie, gewahren wir solche,
und oft zwar himmelschreiende Mißstände und Gebrechen. 12- bis 15-stün-
dige Arbeit, Arbeit bei Tag und Nacht, Arbeit unter männlicher, anstatt
weiblicher Aufsicht, Arbeit im Zeitlohn statt im Stücklohn, äußerste Rück¬
sichtslosigkeit in der Behandlung der Arbeiterinnen, keine Sorgfalt für die
Wohnungs- und Ernährungsweise derselben, keine Fürsorge für angemessenes
Unterkommen und angemessene Unterhaltung in den spärlichen Freistunden!
Und worauf sonst, als auf die entsetzlichste Verblendung der Unternehmer,
welche in dem Wahne leben,, es fromme ihnen, die ihnen günstige Concur-
renz des Arbeitsangebotes maßlos auszubeuten, sind diese Mißstände zurück¬
zuführen? Ist es doch oft, als wenn für das Verständniß der einfachen
Wahrheit, daß -- ich will gar nicht sagen dem Lohne, aber der Art, wie
der Unternehmer seine wirthschaftliche Aufgabe seinen GeHülsen gegenüber
auffaßt und erfüllt, die Leistungen der Letzteren in Menge und Güte genau
entsprechen, als wenn -- sage ich ^-- sür das Verständniß dieser Wahrheit
auch den intelligentesten Unternehmern völlig das Organ fehlte. Denn auch
die augenscheinlichsten, handgreiflichsten Belege machen dafür nur ganz all¬
mählich und in seltenen Fällen wirksame Propaganda. --

Wir haben das Problem, welches unserer Zeit in der sogenannten
Frauenfrage gestellt ist, wir haben den Boden kennen gelernt, welchem jene
Zustände entwachsen sind, die es zu beseitigen gilt. Es bleibt uns die Frage
nach den Mitteln zur Lösung des Problems zu beantworten.

Irrthümer, Unkenntniß, Vorurtheile sind es, die wir zu bekämpfen
haben. Diese Feinde überwindet man nicht im ersten Ursprung. Allmälig
haben sie ihr Terrain besetzt, Allmählich, Schritt für Schritt, muß man sie


derselben Branche in Thätigkeit treten, wenn gleichzeitig die Nachfragenach
dem Product so sehr steigt, daß sie statt zwei- dreitausend Arbeitern Be¬
schäftigung geben könnte? Wer hat die Kühnheit, zu behaupten, daß. Frei¬
heit der Arbeit, des Handels und Verkehrs vorausgesetzt, irgendwo die Ver¬
mehrung der thätigen Arbeitskräfte eine Theilung anstatt einer Vermehrung
der Arbeitsaufgaben zur Folge haben müsse? Ist nicht das Vorurtheil. daß
die Einführung von sogenannten arbeitsparenden Maschinen Arbeiter brodlos
mache, sowie das andere, daß die Zunahme der Bevölkerung Verarmung
zur Folge haben müsse, längst überwunden? Und beruhten nicht jene Vor¬
urtheile genau auf denselben fehlerhaften Grundlagen, wie das. mit welchem
man uns jetzt entgegentritt? —

Aber noch in einer anderen Beziehung hemmt die Unkenntniß der Ge¬
setze des Wirthschaftslebens die Beseitigung bestehender Mißstände auf dem
Gebiete der Frauenarbeit. Selbst da. wo das Vorurtheil gegen die Er¬
werbsthätigkeit der Frauen längst geschwunden ist. z. B. in manchen Zweigen
der Fabrik- und der manufacturmäßigen Großindustrie, gewahren wir solche,
und oft zwar himmelschreiende Mißstände und Gebrechen. 12- bis 15-stün-
dige Arbeit, Arbeit bei Tag und Nacht, Arbeit unter männlicher, anstatt
weiblicher Aufsicht, Arbeit im Zeitlohn statt im Stücklohn, äußerste Rück¬
sichtslosigkeit in der Behandlung der Arbeiterinnen, keine Sorgfalt für die
Wohnungs- und Ernährungsweise derselben, keine Fürsorge für angemessenes
Unterkommen und angemessene Unterhaltung in den spärlichen Freistunden!
Und worauf sonst, als auf die entsetzlichste Verblendung der Unternehmer,
welche in dem Wahne leben,, es fromme ihnen, die ihnen günstige Concur-
renz des Arbeitsangebotes maßlos auszubeuten, sind diese Mißstände zurück¬
zuführen? Ist es doch oft, als wenn für das Verständniß der einfachen
Wahrheit, daß — ich will gar nicht sagen dem Lohne, aber der Art, wie
der Unternehmer seine wirthschaftliche Aufgabe seinen GeHülsen gegenüber
auffaßt und erfüllt, die Leistungen der Letzteren in Menge und Güte genau
entsprechen, als wenn — sage ich ^— sür das Verständniß dieser Wahrheit
auch den intelligentesten Unternehmern völlig das Organ fehlte. Denn auch
die augenscheinlichsten, handgreiflichsten Belege machen dafür nur ganz all¬
mählich und in seltenen Fällen wirksame Propaganda. —

Wir haben das Problem, welches unserer Zeit in der sogenannten
Frauenfrage gestellt ist, wir haben den Boden kennen gelernt, welchem jene
Zustände entwachsen sind, die es zu beseitigen gilt. Es bleibt uns die Frage
nach den Mitteln zur Lösung des Problems zu beantworten.

Irrthümer, Unkenntniß, Vorurtheile sind es, die wir zu bekämpfen
haben. Diese Feinde überwindet man nicht im ersten Ursprung. Allmälig
haben sie ihr Terrain besetzt, Allmählich, Schritt für Schritt, muß man sie


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0142" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/120829"/>
          <p xml:id="ID_410" prev="#ID_409"> derselben Branche in Thätigkeit treten, wenn gleichzeitig die Nachfragenach<lb/>
dem Product so sehr steigt, daß sie statt zwei- dreitausend Arbeitern Be¬<lb/>
schäftigung geben könnte? Wer hat die Kühnheit, zu behaupten, daß. Frei¬<lb/>
heit der Arbeit, des Handels und Verkehrs vorausgesetzt, irgendwo die Ver¬<lb/>
mehrung der thätigen Arbeitskräfte eine Theilung anstatt einer Vermehrung<lb/>
der Arbeitsaufgaben zur Folge haben müsse? Ist nicht das Vorurtheil. daß<lb/>
die Einführung von sogenannten arbeitsparenden Maschinen Arbeiter brodlos<lb/>
mache, sowie das andere, daß die Zunahme der Bevölkerung Verarmung<lb/>
zur Folge haben müsse, längst überwunden? Und beruhten nicht jene Vor¬<lb/>
urtheile genau auf denselben fehlerhaften Grundlagen, wie das. mit welchem<lb/>
man uns jetzt entgegentritt? &#x2014;</p><lb/>
          <p xml:id="ID_411"> Aber noch in einer anderen Beziehung hemmt die Unkenntniß der Ge¬<lb/>
setze des Wirthschaftslebens die Beseitigung bestehender Mißstände auf dem<lb/>
Gebiete der Frauenarbeit. Selbst da. wo das Vorurtheil gegen die Er¬<lb/>
werbsthätigkeit der Frauen längst geschwunden ist. z. B. in manchen Zweigen<lb/>
der Fabrik- und der manufacturmäßigen Großindustrie, gewahren wir solche,<lb/>
und oft zwar himmelschreiende Mißstände und Gebrechen. 12- bis 15-stün-<lb/>
dige Arbeit, Arbeit bei Tag und Nacht, Arbeit unter männlicher, anstatt<lb/>
weiblicher Aufsicht, Arbeit im Zeitlohn statt im Stücklohn, äußerste Rück¬<lb/>
sichtslosigkeit in der Behandlung der Arbeiterinnen, keine Sorgfalt für die<lb/>
Wohnungs- und Ernährungsweise derselben, keine Fürsorge für angemessenes<lb/>
Unterkommen und angemessene Unterhaltung in den spärlichen Freistunden!<lb/>
Und worauf sonst, als auf die entsetzlichste Verblendung der Unternehmer,<lb/>
welche in dem Wahne leben,, es fromme ihnen, die ihnen günstige Concur-<lb/>
renz des Arbeitsangebotes maßlos auszubeuten, sind diese Mißstände zurück¬<lb/>
zuführen? Ist es doch oft, als wenn für das Verständniß der einfachen<lb/>
Wahrheit, daß &#x2014; ich will gar nicht sagen dem Lohne, aber der Art, wie<lb/>
der Unternehmer seine wirthschaftliche Aufgabe seinen GeHülsen gegenüber<lb/>
auffaßt und erfüllt, die Leistungen der Letzteren in Menge und Güte genau<lb/>
entsprechen, als wenn &#x2014; sage ich ^&#x2014; sür das Verständniß dieser Wahrheit<lb/>
auch den intelligentesten Unternehmern völlig das Organ fehlte. Denn auch<lb/>
die augenscheinlichsten, handgreiflichsten Belege machen dafür nur ganz all¬<lb/>
mählich und in seltenen Fällen wirksame Propaganda. &#x2014;</p><lb/>
          <p xml:id="ID_412"> Wir haben das Problem, welches unserer Zeit in der sogenannten<lb/>
Frauenfrage gestellt ist, wir haben den Boden kennen gelernt, welchem jene<lb/>
Zustände entwachsen sind, die es zu beseitigen gilt. Es bleibt uns die Frage<lb/>
nach den Mitteln zur Lösung des Problems zu beantworten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_413" next="#ID_414"> Irrthümer, Unkenntniß, Vorurtheile sind es, die wir zu bekämpfen<lb/>
haben. Diese Feinde überwindet man nicht im ersten Ursprung. Allmälig<lb/>
haben sie ihr Terrain besetzt,  Allmählich, Schritt für Schritt, muß man sie</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0142] derselben Branche in Thätigkeit treten, wenn gleichzeitig die Nachfragenach dem Product so sehr steigt, daß sie statt zwei- dreitausend Arbeitern Be¬ schäftigung geben könnte? Wer hat die Kühnheit, zu behaupten, daß. Frei¬ heit der Arbeit, des Handels und Verkehrs vorausgesetzt, irgendwo die Ver¬ mehrung der thätigen Arbeitskräfte eine Theilung anstatt einer Vermehrung der Arbeitsaufgaben zur Folge haben müsse? Ist nicht das Vorurtheil. daß die Einführung von sogenannten arbeitsparenden Maschinen Arbeiter brodlos mache, sowie das andere, daß die Zunahme der Bevölkerung Verarmung zur Folge haben müsse, längst überwunden? Und beruhten nicht jene Vor¬ urtheile genau auf denselben fehlerhaften Grundlagen, wie das. mit welchem man uns jetzt entgegentritt? — Aber noch in einer anderen Beziehung hemmt die Unkenntniß der Ge¬ setze des Wirthschaftslebens die Beseitigung bestehender Mißstände auf dem Gebiete der Frauenarbeit. Selbst da. wo das Vorurtheil gegen die Er¬ werbsthätigkeit der Frauen längst geschwunden ist. z. B. in manchen Zweigen der Fabrik- und der manufacturmäßigen Großindustrie, gewahren wir solche, und oft zwar himmelschreiende Mißstände und Gebrechen. 12- bis 15-stün- dige Arbeit, Arbeit bei Tag und Nacht, Arbeit unter männlicher, anstatt weiblicher Aufsicht, Arbeit im Zeitlohn statt im Stücklohn, äußerste Rück¬ sichtslosigkeit in der Behandlung der Arbeiterinnen, keine Sorgfalt für die Wohnungs- und Ernährungsweise derselben, keine Fürsorge für angemessenes Unterkommen und angemessene Unterhaltung in den spärlichen Freistunden! Und worauf sonst, als auf die entsetzlichste Verblendung der Unternehmer, welche in dem Wahne leben,, es fromme ihnen, die ihnen günstige Concur- renz des Arbeitsangebotes maßlos auszubeuten, sind diese Mißstände zurück¬ zuführen? Ist es doch oft, als wenn für das Verständniß der einfachen Wahrheit, daß — ich will gar nicht sagen dem Lohne, aber der Art, wie der Unternehmer seine wirthschaftliche Aufgabe seinen GeHülsen gegenüber auffaßt und erfüllt, die Leistungen der Letzteren in Menge und Güte genau entsprechen, als wenn — sage ich ^— sür das Verständniß dieser Wahrheit auch den intelligentesten Unternehmern völlig das Organ fehlte. Denn auch die augenscheinlichsten, handgreiflichsten Belege machen dafür nur ganz all¬ mählich und in seltenen Fällen wirksame Propaganda. — Wir haben das Problem, welches unserer Zeit in der sogenannten Frauenfrage gestellt ist, wir haben den Boden kennen gelernt, welchem jene Zustände entwachsen sind, die es zu beseitigen gilt. Es bleibt uns die Frage nach den Mitteln zur Lösung des Problems zu beantworten. Irrthümer, Unkenntniß, Vorurtheile sind es, die wir zu bekämpfen haben. Diese Feinde überwindet man nicht im ersten Ursprung. Allmälig haben sie ihr Terrain besetzt, Allmählich, Schritt für Schritt, muß man sie

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120686
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120686/142
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120686/142>, abgerufen am 24.07.2024.