Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

ciren. Aber diese Forderung habe in unserer Zeit noch nicht einmal Aus¬
sicht gehabt, auch nur von den Gebildetsten gewürdigt zu werden; nicht jedoch
Geringschätzung der weiblichen Fähigkeiten, nicht die Eifersucht der bsati
possiäootös -- der politisch allein vollberechtigter Männer --, sondern ge¬
rechte Würdigung der specifischen weiblichen Fähigkeiten und der weiblichen
Neigungen sei der allgemeinen Billigung jenes Vindicationsversuches hinder¬
lich gewesen.

Ein solches Bild -- denke ich -- werden unsere Nachkommen, wenn sie
aus den ihnen zukommenden Ueberlieferungen zu lesen verstehen, von unseren
Anschauungen über die Aufgabe und Stellung des Weibes sich entwerfen.
Und. falls ihnen nicht treue Schilderungen unserer Wirklichkeit zur Seite
stehen, werden sie von unseren Idealen auf jene Wirklichkeit zurückschliehen.

Ob das so entstehende Bild gleich wahrheitsgetreu ausfallen wird, wie
das erste?

Man gestatte mir, einige flüchtige Blicke auf die Wirklichkeit zu
werfen, die uns ja Allen vor Augen steht!

In Wirklichkeit wird bei uns noch gar zu häufig und in allen Ständen
nicht nur jenes vorhin erörterte Naturgesetz ignorirt, demzufolge ein erheb¬
licher Theil der weiblichen Bevölkerung auf Eheschließung verzichten muß,
sondern auch die große Mehrzahl der Töchter so erzogen, als wenn der
Frauenberuf nur in der Stellung der Ehefrau erfüllt werden könne. Und
doch wird es mit dieser Erziehung in der Mehrzahl der Fälle so wenig genau
genommen, daß solcher Mangel häufig Ehen überhaupt, häufiger noch glück¬
liche Ehen unmöglich macht. Eine harmonische und gründliche Erziehung für
den Hausfrauenberuf würde ja auch dann vom größten Segen sein, wenn die
Wahl dieses Berufes schließlich außer Betracht bleiben muß. Denn unsere
Anforderungen an die Bildung einer deutschen Hausfrau sind groß und um¬
fassend. Aber nicht für den Beruf der Hausfrau, sondern auf den
Zufall hin. daß sie sich v er ehelichen werden, pflegt man die Töchter
zu erziehen. Treffe der gehoffte Zufall ein, dann -- so meint man -- werde
die Noth des Lebens, in welcher Form sie auch auftreten möge, das in der
Vorbereitung Versäumte rasch nachholen helfen. Und, wenn das Loos anders
fällt, als man hoffte, so hat man nichts zur Verfügung, als wohlfeiles Be¬
dauern über Verfehlen des Lebenszweckes. Gerechtfertigt ist das Mitleid
mit Frauen, welche nothdürftig darauf hin erzogen sind, daß sie sich ver-
heirathen werden, wenn diese Hoffnung fehlschlägt, stets und unter allen Um¬
ständen. Solche Frauen, wenn sie den ärmeren Classen der Bevölkerung an¬
gehören, fallen nur zu leicht noch größerem Elend, wenn den wohlhabenderen
Classen angehörig, mindestens dem Mißmuth und dem Lebensüberdruß oder
einer völlig verkehrten Lebensanschauung anheim.


ciren. Aber diese Forderung habe in unserer Zeit noch nicht einmal Aus¬
sicht gehabt, auch nur von den Gebildetsten gewürdigt zu werden; nicht jedoch
Geringschätzung der weiblichen Fähigkeiten, nicht die Eifersucht der bsati
possiäootös — der politisch allein vollberechtigter Männer —, sondern ge¬
rechte Würdigung der specifischen weiblichen Fähigkeiten und der weiblichen
Neigungen sei der allgemeinen Billigung jenes Vindicationsversuches hinder¬
lich gewesen.

Ein solches Bild — denke ich — werden unsere Nachkommen, wenn sie
aus den ihnen zukommenden Ueberlieferungen zu lesen verstehen, von unseren
Anschauungen über die Aufgabe und Stellung des Weibes sich entwerfen.
Und. falls ihnen nicht treue Schilderungen unserer Wirklichkeit zur Seite
stehen, werden sie von unseren Idealen auf jene Wirklichkeit zurückschliehen.

Ob das so entstehende Bild gleich wahrheitsgetreu ausfallen wird, wie
das erste?

Man gestatte mir, einige flüchtige Blicke auf die Wirklichkeit zu
werfen, die uns ja Allen vor Augen steht!

In Wirklichkeit wird bei uns noch gar zu häufig und in allen Ständen
nicht nur jenes vorhin erörterte Naturgesetz ignorirt, demzufolge ein erheb¬
licher Theil der weiblichen Bevölkerung auf Eheschließung verzichten muß,
sondern auch die große Mehrzahl der Töchter so erzogen, als wenn der
Frauenberuf nur in der Stellung der Ehefrau erfüllt werden könne. Und
doch wird es mit dieser Erziehung in der Mehrzahl der Fälle so wenig genau
genommen, daß solcher Mangel häufig Ehen überhaupt, häufiger noch glück¬
liche Ehen unmöglich macht. Eine harmonische und gründliche Erziehung für
den Hausfrauenberuf würde ja auch dann vom größten Segen sein, wenn die
Wahl dieses Berufes schließlich außer Betracht bleiben muß. Denn unsere
Anforderungen an die Bildung einer deutschen Hausfrau sind groß und um¬
fassend. Aber nicht für den Beruf der Hausfrau, sondern auf den
Zufall hin. daß sie sich v er ehelichen werden, pflegt man die Töchter
zu erziehen. Treffe der gehoffte Zufall ein, dann — so meint man — werde
die Noth des Lebens, in welcher Form sie auch auftreten möge, das in der
Vorbereitung Versäumte rasch nachholen helfen. Und, wenn das Loos anders
fällt, als man hoffte, so hat man nichts zur Verfügung, als wohlfeiles Be¬
dauern über Verfehlen des Lebenszweckes. Gerechtfertigt ist das Mitleid
mit Frauen, welche nothdürftig darauf hin erzogen sind, daß sie sich ver-
heirathen werden, wenn diese Hoffnung fehlschlägt, stets und unter allen Um¬
ständen. Solche Frauen, wenn sie den ärmeren Classen der Bevölkerung an¬
gehören, fallen nur zu leicht noch größerem Elend, wenn den wohlhabenderen
Classen angehörig, mindestens dem Mißmuth und dem Lebensüberdruß oder
einer völlig verkehrten Lebensanschauung anheim.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0133" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/120820"/>
          <p xml:id="ID_359" prev="#ID_358"> ciren. Aber diese Forderung habe in unserer Zeit noch nicht einmal Aus¬<lb/>
sicht gehabt, auch nur von den Gebildetsten gewürdigt zu werden; nicht jedoch<lb/>
Geringschätzung der weiblichen Fähigkeiten, nicht die Eifersucht der bsati<lb/>
possiäootös &#x2014; der politisch allein vollberechtigter Männer &#x2014;, sondern ge¬<lb/>
rechte Würdigung der specifischen weiblichen Fähigkeiten und der weiblichen<lb/>
Neigungen sei der allgemeinen Billigung jenes Vindicationsversuches hinder¬<lb/>
lich gewesen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_360"> Ein solches Bild &#x2014; denke ich &#x2014; werden unsere Nachkommen, wenn sie<lb/>
aus den ihnen zukommenden Ueberlieferungen zu lesen verstehen, von unseren<lb/>
Anschauungen über die Aufgabe und Stellung des Weibes sich entwerfen.<lb/>
Und. falls ihnen nicht treue Schilderungen unserer Wirklichkeit zur Seite<lb/>
stehen, werden sie von unseren Idealen auf jene Wirklichkeit zurückschliehen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_361"> Ob das so entstehende Bild gleich wahrheitsgetreu ausfallen wird, wie<lb/>
das erste?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_362"> Man gestatte mir, einige flüchtige Blicke auf die Wirklichkeit zu<lb/>
werfen, die uns ja Allen vor Augen steht!</p><lb/>
          <p xml:id="ID_363"> In Wirklichkeit wird bei uns noch gar zu häufig und in allen Ständen<lb/>
nicht nur jenes vorhin erörterte Naturgesetz ignorirt, demzufolge ein erheb¬<lb/>
licher Theil der weiblichen Bevölkerung auf Eheschließung verzichten muß,<lb/>
sondern auch die große Mehrzahl der Töchter so erzogen, als wenn der<lb/>
Frauenberuf nur in der Stellung der Ehefrau erfüllt werden könne. Und<lb/>
doch wird es mit dieser Erziehung in der Mehrzahl der Fälle so wenig genau<lb/>
genommen, daß solcher Mangel häufig Ehen überhaupt, häufiger noch glück¬<lb/>
liche Ehen unmöglich macht. Eine harmonische und gründliche Erziehung für<lb/>
den Hausfrauenberuf würde ja auch dann vom größten Segen sein, wenn die<lb/>
Wahl dieses Berufes schließlich außer Betracht bleiben muß. Denn unsere<lb/>
Anforderungen an die Bildung einer deutschen Hausfrau sind groß und um¬<lb/>
fassend. Aber nicht für den Beruf der Hausfrau, sondern auf den<lb/>
Zufall hin. daß sie sich v er ehelichen werden, pflegt man die Töchter<lb/>
zu erziehen. Treffe der gehoffte Zufall ein, dann &#x2014; so meint man &#x2014; werde<lb/>
die Noth des Lebens, in welcher Form sie auch auftreten möge, das in der<lb/>
Vorbereitung Versäumte rasch nachholen helfen. Und, wenn das Loos anders<lb/>
fällt, als man hoffte, so hat man nichts zur Verfügung, als wohlfeiles Be¬<lb/>
dauern über Verfehlen des Lebenszweckes. Gerechtfertigt ist das Mitleid<lb/>
mit Frauen, welche nothdürftig darauf hin erzogen sind, daß sie sich ver-<lb/>
heirathen werden, wenn diese Hoffnung fehlschlägt, stets und unter allen Um¬<lb/>
ständen. Solche Frauen, wenn sie den ärmeren Classen der Bevölkerung an¬<lb/>
gehören, fallen nur zu leicht noch größerem Elend, wenn den wohlhabenderen<lb/>
Classen angehörig, mindestens dem Mißmuth und dem Lebensüberdruß oder<lb/>
einer völlig verkehrten Lebensanschauung anheim.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0133] ciren. Aber diese Forderung habe in unserer Zeit noch nicht einmal Aus¬ sicht gehabt, auch nur von den Gebildetsten gewürdigt zu werden; nicht jedoch Geringschätzung der weiblichen Fähigkeiten, nicht die Eifersucht der bsati possiäootös — der politisch allein vollberechtigter Männer —, sondern ge¬ rechte Würdigung der specifischen weiblichen Fähigkeiten und der weiblichen Neigungen sei der allgemeinen Billigung jenes Vindicationsversuches hinder¬ lich gewesen. Ein solches Bild — denke ich — werden unsere Nachkommen, wenn sie aus den ihnen zukommenden Ueberlieferungen zu lesen verstehen, von unseren Anschauungen über die Aufgabe und Stellung des Weibes sich entwerfen. Und. falls ihnen nicht treue Schilderungen unserer Wirklichkeit zur Seite stehen, werden sie von unseren Idealen auf jene Wirklichkeit zurückschliehen. Ob das so entstehende Bild gleich wahrheitsgetreu ausfallen wird, wie das erste? Man gestatte mir, einige flüchtige Blicke auf die Wirklichkeit zu werfen, die uns ja Allen vor Augen steht! In Wirklichkeit wird bei uns noch gar zu häufig und in allen Ständen nicht nur jenes vorhin erörterte Naturgesetz ignorirt, demzufolge ein erheb¬ licher Theil der weiblichen Bevölkerung auf Eheschließung verzichten muß, sondern auch die große Mehrzahl der Töchter so erzogen, als wenn der Frauenberuf nur in der Stellung der Ehefrau erfüllt werden könne. Und doch wird es mit dieser Erziehung in der Mehrzahl der Fälle so wenig genau genommen, daß solcher Mangel häufig Ehen überhaupt, häufiger noch glück¬ liche Ehen unmöglich macht. Eine harmonische und gründliche Erziehung für den Hausfrauenberuf würde ja auch dann vom größten Segen sein, wenn die Wahl dieses Berufes schließlich außer Betracht bleiben muß. Denn unsere Anforderungen an die Bildung einer deutschen Hausfrau sind groß und um¬ fassend. Aber nicht für den Beruf der Hausfrau, sondern auf den Zufall hin. daß sie sich v er ehelichen werden, pflegt man die Töchter zu erziehen. Treffe der gehoffte Zufall ein, dann — so meint man — werde die Noth des Lebens, in welcher Form sie auch auftreten möge, das in der Vorbereitung Versäumte rasch nachholen helfen. Und, wenn das Loos anders fällt, als man hoffte, so hat man nichts zur Verfügung, als wohlfeiles Be¬ dauern über Verfehlen des Lebenszweckes. Gerechtfertigt ist das Mitleid mit Frauen, welche nothdürftig darauf hin erzogen sind, daß sie sich ver- heirathen werden, wenn diese Hoffnung fehlschlägt, stets und unter allen Um¬ ständen. Solche Frauen, wenn sie den ärmeren Classen der Bevölkerung an¬ gehören, fallen nur zu leicht noch größerem Elend, wenn den wohlhabenderen Classen angehörig, mindestens dem Mißmuth und dem Lebensüberdruß oder einer völlig verkehrten Lebensanschauung anheim.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120686
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120686/133
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120686/133>, abgerufen am 24.07.2024.