Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Die größere Sterblichkeit des männlichen Geschlechtes vertheilt sich auf
zwei Perioden, von denen die eine nur kurz, die andere aber erheblich länger
ist. Zur Erklärung der größeren Sterblichkeit in der ersteren dieser Perioden
-- kurz nach der Geburt -- fehlt noch der Schlüssel, zur Erklärung der
größeren Sterblichkeit des männlichen Geschlechtes in der zweiten, längeren
Periode verweist man auf die anstrengendere Beschäftigung, auf die öfteren
Excesse in der Lebensweise, auf den Einfluß der Kriege und auf den selbst
im Frieden Menschen verschlingenden Militärdienst. Das sind Einflüsse,
welche die Cultur abschwächen kann. Aber dazu, daß unter den gleichzeitig
Lebenden das weibliche Geschlecht stärker vertreten ist, als das männ¬
liche, wirkt die größere Sterblichkeit beim männlichen Geschlecht in den
ersten Lebensjahren stärker mit. als die in den betreffenden späteren Alters¬
stufen. Und jener stärkere Factor hat mit Culturverhältnisfen nichts zu
schaffen.

Wir dürfen also annehmen, daß der Unterschied in den Zahlen der zu¬
gleich lebenden Personen männlichen und weiblichen Geschlechtes zwar abge¬
schwächt werden kann, aber nie ganz beseitigt werden wird.

Die häufigsten Eheschließungen fallen bei den Frauen in das Lebens¬
alter zwischen 17 und 25 Jahren und bei den Männern in das Lebensalter
zwischen 24 und 32 Jahren.

Fast bei allen Culturvölkern ist nun, wie die Zahl der Personen weib¬
lichen Geschlechtes überhaupt größer ist, als die Zahl der Personen männ¬
lichen Geschlechts, so auch die Zahl der Frauen im Alter von 17 bis
25 Jahren größer, als die Zahl der Männer im Alter von 24 .bis 32
Jahren.

Es zeigt sich also beinahe überall ein beträchtlicher Ueberschuß der hei--
rathssähigen Personen weiblichen Geschlechts über die Zahl der heiratsfähigen
Personen männlichen Geschlechtes.

Natürliche und bis zu einem gewissen Grade unabänderliche Verhältnisse
zwingen daher einen immerhin erheblichen Theil der weiblichen Bevölkerung
zur Ehelosigkeit.

Man hat sich vielfach schon mit dieser Erscheinung begnügt, um die
Unerläßlichkeit der Sorge für die Erweiterung des Gebietes weiblicher Er-
werbsfähigkeit zu begründen. Meines Bedünkens ist diese Begründung nicht
genügend. Denn keineswegs immer ist für die Frau die Ehe zugleich eine
Versorgung, noch ist der ehelose Zustand an sich ein Zustand der Hülfslosig-
keit, oder gar des Elendes.

Das aber ist freilich nicht in Abrede zu stellen, daß, wenn es sich um
Maßregeln zur Beseitigung wirthschaftlicher und gesellschaftlicher Uebelstände
handelt, unter denen ein Theil der weiblichen Bevölkerung leidet, auf jenen


Die größere Sterblichkeit des männlichen Geschlechtes vertheilt sich auf
zwei Perioden, von denen die eine nur kurz, die andere aber erheblich länger
ist. Zur Erklärung der größeren Sterblichkeit in der ersteren dieser Perioden
— kurz nach der Geburt — fehlt noch der Schlüssel, zur Erklärung der
größeren Sterblichkeit des männlichen Geschlechtes in der zweiten, längeren
Periode verweist man auf die anstrengendere Beschäftigung, auf die öfteren
Excesse in der Lebensweise, auf den Einfluß der Kriege und auf den selbst
im Frieden Menschen verschlingenden Militärdienst. Das sind Einflüsse,
welche die Cultur abschwächen kann. Aber dazu, daß unter den gleichzeitig
Lebenden das weibliche Geschlecht stärker vertreten ist, als das männ¬
liche, wirkt die größere Sterblichkeit beim männlichen Geschlecht in den
ersten Lebensjahren stärker mit. als die in den betreffenden späteren Alters¬
stufen. Und jener stärkere Factor hat mit Culturverhältnisfen nichts zu
schaffen.

Wir dürfen also annehmen, daß der Unterschied in den Zahlen der zu¬
gleich lebenden Personen männlichen und weiblichen Geschlechtes zwar abge¬
schwächt werden kann, aber nie ganz beseitigt werden wird.

Die häufigsten Eheschließungen fallen bei den Frauen in das Lebens¬
alter zwischen 17 und 25 Jahren und bei den Männern in das Lebensalter
zwischen 24 und 32 Jahren.

Fast bei allen Culturvölkern ist nun, wie die Zahl der Personen weib¬
lichen Geschlechtes überhaupt größer ist, als die Zahl der Personen männ¬
lichen Geschlechts, so auch die Zahl der Frauen im Alter von 17 bis
25 Jahren größer, als die Zahl der Männer im Alter von 24 .bis 32
Jahren.

Es zeigt sich also beinahe überall ein beträchtlicher Ueberschuß der hei--
rathssähigen Personen weiblichen Geschlechts über die Zahl der heiratsfähigen
Personen männlichen Geschlechtes.

Natürliche und bis zu einem gewissen Grade unabänderliche Verhältnisse
zwingen daher einen immerhin erheblichen Theil der weiblichen Bevölkerung
zur Ehelosigkeit.

Man hat sich vielfach schon mit dieser Erscheinung begnügt, um die
Unerläßlichkeit der Sorge für die Erweiterung des Gebietes weiblicher Er-
werbsfähigkeit zu begründen. Meines Bedünkens ist diese Begründung nicht
genügend. Denn keineswegs immer ist für die Frau die Ehe zugleich eine
Versorgung, noch ist der ehelose Zustand an sich ein Zustand der Hülfslosig-
keit, oder gar des Elendes.

Das aber ist freilich nicht in Abrede zu stellen, daß, wenn es sich um
Maßregeln zur Beseitigung wirthschaftlicher und gesellschaftlicher Uebelstände
handelt, unter denen ein Theil der weiblichen Bevölkerung leidet, auf jenen


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0130" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/120817"/>
          <p xml:id="ID_341"> Die größere Sterblichkeit des männlichen Geschlechtes vertheilt sich auf<lb/>
zwei Perioden, von denen die eine nur kurz, die andere aber erheblich länger<lb/>
ist. Zur Erklärung der größeren Sterblichkeit in der ersteren dieser Perioden<lb/>
&#x2014; kurz nach der Geburt &#x2014; fehlt noch der Schlüssel, zur Erklärung der<lb/>
größeren Sterblichkeit des männlichen Geschlechtes in der zweiten, längeren<lb/>
Periode verweist man auf die anstrengendere Beschäftigung, auf die öfteren<lb/>
Excesse in der Lebensweise, auf den Einfluß der Kriege und auf den selbst<lb/>
im Frieden Menschen verschlingenden Militärdienst. Das sind Einflüsse,<lb/>
welche die Cultur abschwächen kann. Aber dazu, daß unter den gleichzeitig<lb/>
Lebenden das weibliche Geschlecht stärker vertreten ist, als das männ¬<lb/>
liche, wirkt die größere Sterblichkeit beim männlichen Geschlecht in den<lb/>
ersten Lebensjahren stärker mit. als die in den betreffenden späteren Alters¬<lb/>
stufen. Und jener stärkere Factor hat mit Culturverhältnisfen nichts zu<lb/>
schaffen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_342"> Wir dürfen also annehmen, daß der Unterschied in den Zahlen der zu¬<lb/>
gleich lebenden Personen männlichen und weiblichen Geschlechtes zwar abge¬<lb/>
schwächt werden kann, aber nie ganz beseitigt werden wird.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_343"> Die häufigsten Eheschließungen fallen bei den Frauen in das Lebens¬<lb/>
alter zwischen 17 und 25 Jahren und bei den Männern in das Lebensalter<lb/>
zwischen 24 und 32 Jahren.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_344"> Fast bei allen Culturvölkern ist nun, wie die Zahl der Personen weib¬<lb/>
lichen Geschlechtes überhaupt größer ist, als die Zahl der Personen männ¬<lb/>
lichen Geschlechts, so auch die Zahl der Frauen im Alter von 17 bis<lb/>
25 Jahren größer, als die Zahl der Männer im Alter von 24 .bis 32<lb/>
Jahren.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_345"> Es zeigt sich also beinahe überall ein beträchtlicher Ueberschuß der hei--<lb/>
rathssähigen Personen weiblichen Geschlechts über die Zahl der heiratsfähigen<lb/>
Personen männlichen Geschlechtes.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_346"> Natürliche und bis zu einem gewissen Grade unabänderliche Verhältnisse<lb/>
zwingen daher einen immerhin erheblichen Theil der weiblichen Bevölkerung<lb/>
zur Ehelosigkeit.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_347"> Man hat sich vielfach schon mit dieser Erscheinung begnügt, um die<lb/>
Unerläßlichkeit der Sorge für die Erweiterung des Gebietes weiblicher Er-<lb/>
werbsfähigkeit zu begründen. Meines Bedünkens ist diese Begründung nicht<lb/>
genügend. Denn keineswegs immer ist für die Frau die Ehe zugleich eine<lb/>
Versorgung, noch ist der ehelose Zustand an sich ein Zustand der Hülfslosig-<lb/>
keit, oder gar des Elendes.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_348" next="#ID_349"> Das aber ist freilich nicht in Abrede zu stellen, daß, wenn es sich um<lb/>
Maßregeln zur Beseitigung wirthschaftlicher und gesellschaftlicher Uebelstände<lb/>
handelt, unter denen ein Theil der weiblichen Bevölkerung leidet, auf jenen</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0130] Die größere Sterblichkeit des männlichen Geschlechtes vertheilt sich auf zwei Perioden, von denen die eine nur kurz, die andere aber erheblich länger ist. Zur Erklärung der größeren Sterblichkeit in der ersteren dieser Perioden — kurz nach der Geburt — fehlt noch der Schlüssel, zur Erklärung der größeren Sterblichkeit des männlichen Geschlechtes in der zweiten, längeren Periode verweist man auf die anstrengendere Beschäftigung, auf die öfteren Excesse in der Lebensweise, auf den Einfluß der Kriege und auf den selbst im Frieden Menschen verschlingenden Militärdienst. Das sind Einflüsse, welche die Cultur abschwächen kann. Aber dazu, daß unter den gleichzeitig Lebenden das weibliche Geschlecht stärker vertreten ist, als das männ¬ liche, wirkt die größere Sterblichkeit beim männlichen Geschlecht in den ersten Lebensjahren stärker mit. als die in den betreffenden späteren Alters¬ stufen. Und jener stärkere Factor hat mit Culturverhältnisfen nichts zu schaffen. Wir dürfen also annehmen, daß der Unterschied in den Zahlen der zu¬ gleich lebenden Personen männlichen und weiblichen Geschlechtes zwar abge¬ schwächt werden kann, aber nie ganz beseitigt werden wird. Die häufigsten Eheschließungen fallen bei den Frauen in das Lebens¬ alter zwischen 17 und 25 Jahren und bei den Männern in das Lebensalter zwischen 24 und 32 Jahren. Fast bei allen Culturvölkern ist nun, wie die Zahl der Personen weib¬ lichen Geschlechtes überhaupt größer ist, als die Zahl der Personen männ¬ lichen Geschlechts, so auch die Zahl der Frauen im Alter von 17 bis 25 Jahren größer, als die Zahl der Männer im Alter von 24 .bis 32 Jahren. Es zeigt sich also beinahe überall ein beträchtlicher Ueberschuß der hei-- rathssähigen Personen weiblichen Geschlechts über die Zahl der heiratsfähigen Personen männlichen Geschlechtes. Natürliche und bis zu einem gewissen Grade unabänderliche Verhältnisse zwingen daher einen immerhin erheblichen Theil der weiblichen Bevölkerung zur Ehelosigkeit. Man hat sich vielfach schon mit dieser Erscheinung begnügt, um die Unerläßlichkeit der Sorge für die Erweiterung des Gebietes weiblicher Er- werbsfähigkeit zu begründen. Meines Bedünkens ist diese Begründung nicht genügend. Denn keineswegs immer ist für die Frau die Ehe zugleich eine Versorgung, noch ist der ehelose Zustand an sich ein Zustand der Hülfslosig- keit, oder gar des Elendes. Das aber ist freilich nicht in Abrede zu stellen, daß, wenn es sich um Maßregeln zur Beseitigung wirthschaftlicher und gesellschaftlicher Uebelstände handelt, unter denen ein Theil der weiblichen Bevölkerung leidet, auf jenen

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120686
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120686/130
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120686/130>, abgerufen am 24.07.2024.