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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band.

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in Anbetracht der Verhältnisse, auf welche Preußen den anderen Staaten des
Vereins gegenüber Rücksicht zu nehmen hatte, das Mögliche erreicht und nament¬
lich eine erhebliche Tarifherabsetzung erzielt. Aber eben dies war Oestreich und
der süddeutschen Schutzzollpartei ein Dorn im Auge und sie boten Alles aus,
den Vertrag zu Fall zu bringen. Bayern, Württemberg. Nassau, Darmstadt
und Hannover lehnten denn auch wirklich den Vertrag ab. offenbar nur aus
politischen Motiven, während bei Sachsen das Gewicht der Landesinteressen
doch stark genug war, um die Regierung zum sofortigen Beitritt zu bewe¬
gen. Ihm folgten Thüringen, Oldenburg, Baden und Braunschweig. Aus
den ablehnenden Erklärungen der Mittelstaaten nahm Oestreich Veranlassung,
auf Eröffnung von Verhandlungen zum Zweck der Zolleinigung, welche 1852
in Aussicht gestellt war, zu dringen und protestirte dagegen, daß Frankreich
eine gleich begünstigte Stellung eingeräumt werde. Die Ermäßigung der
vereinsländischen Außenzölle würde Oestreich nöthigen, seine Zwischenzölle für
die Erzeugnisse des Zollvereins zu erhöhen und dadurch die Kluft zwischen
sich und dem Zollverein zu erweitern; denn das Schutzbedürfniß der östrei¬
chischen Industrie erlaube eine Ermäßigung der eigenen Außenzölle nicht.
Preußen aber blieb fest, es erklärte sich zu neuen Unterhandlungen bereit,
aber mit der Maßgabe, daß es die Zolleinigung bestimmt ablehne, und
unterzeichnete seinerseits den französischen Vertrag definitiv und erklärte in
einer Depesche nach München, daß es die Ablehnung des französischen Ver-
. trags als den Ausdruck des Willens auffassen müsse, den Zollverein mit
Preußen nicht fortzusetzen. Die Mittelstaaten blieben vorläufig bei ihrer
Opposition, obwohl die Mehrzahl ihrer Landesvertretungen sich entschieden
gegen diese factiöse Politik aussprach; sie erreichten dadurch allerdings, daß
der Zollverein ein Jahr länger von den Vortheilen des französischen Marktes
ausgeschlossen blieb, aber sie hatten noch weniger Macht als 1852, ihre dy¬
nastische Opposition durchzuführen; schon auf dem im October 1862 berufe-
nen deutschen Handelstage siegte trotz der Agitation des Herrn v. Karstorff.
welche durch Hansemann in höchst tadelnswerther Weise heimlich begünstigt
wurde, die Sache des Fortschritts. Preußen lehnte jede Verhandlung mit
Oestreich ab. ehe nicht die Annahme des neuen Tarifs gesichert sei, und
schloß am 28. Juni 1864 einen neuen Zollvereinsvertrag mit Sachsen,
Baden, Kurhessen, Braunschweig, Thüringen und Frankfurt ab, stellte den
rennenden Staaten eine Präclusivfrist zum Beitritt bis 1. Oetober, wonach
denselben nur übrig blieb, sich zu unterwerfen. So ward der Zollverein auf
weitere 12 Jahre gesichert. Am 11. April 1865 ward denn auch ein neuer
Vertrag mit Oestreich geschlossen, welcher die Autonomie des Zollvereins her¬
stellte und die differentiellen Begünstigungen abschaffte. Oestreich war von
jetzt ab wie bis 1852 einfach wieder Ausland, das wie England, Belgien


in Anbetracht der Verhältnisse, auf welche Preußen den anderen Staaten des
Vereins gegenüber Rücksicht zu nehmen hatte, das Mögliche erreicht und nament¬
lich eine erhebliche Tarifherabsetzung erzielt. Aber eben dies war Oestreich und
der süddeutschen Schutzzollpartei ein Dorn im Auge und sie boten Alles aus,
den Vertrag zu Fall zu bringen. Bayern, Württemberg. Nassau, Darmstadt
und Hannover lehnten denn auch wirklich den Vertrag ab. offenbar nur aus
politischen Motiven, während bei Sachsen das Gewicht der Landesinteressen
doch stark genug war, um die Regierung zum sofortigen Beitritt zu bewe¬
gen. Ihm folgten Thüringen, Oldenburg, Baden und Braunschweig. Aus
den ablehnenden Erklärungen der Mittelstaaten nahm Oestreich Veranlassung,
auf Eröffnung von Verhandlungen zum Zweck der Zolleinigung, welche 1852
in Aussicht gestellt war, zu dringen und protestirte dagegen, daß Frankreich
eine gleich begünstigte Stellung eingeräumt werde. Die Ermäßigung der
vereinsländischen Außenzölle würde Oestreich nöthigen, seine Zwischenzölle für
die Erzeugnisse des Zollvereins zu erhöhen und dadurch die Kluft zwischen
sich und dem Zollverein zu erweitern; denn das Schutzbedürfniß der östrei¬
chischen Industrie erlaube eine Ermäßigung der eigenen Außenzölle nicht.
Preußen aber blieb fest, es erklärte sich zu neuen Unterhandlungen bereit,
aber mit der Maßgabe, daß es die Zolleinigung bestimmt ablehne, und
unterzeichnete seinerseits den französischen Vertrag definitiv und erklärte in
einer Depesche nach München, daß es die Ablehnung des französischen Ver-
. trags als den Ausdruck des Willens auffassen müsse, den Zollverein mit
Preußen nicht fortzusetzen. Die Mittelstaaten blieben vorläufig bei ihrer
Opposition, obwohl die Mehrzahl ihrer Landesvertretungen sich entschieden
gegen diese factiöse Politik aussprach; sie erreichten dadurch allerdings, daß
der Zollverein ein Jahr länger von den Vortheilen des französischen Marktes
ausgeschlossen blieb, aber sie hatten noch weniger Macht als 1852, ihre dy¬
nastische Opposition durchzuführen; schon auf dem im October 1862 berufe-
nen deutschen Handelstage siegte trotz der Agitation des Herrn v. Karstorff.
welche durch Hansemann in höchst tadelnswerther Weise heimlich begünstigt
wurde, die Sache des Fortschritts. Preußen lehnte jede Verhandlung mit
Oestreich ab. ehe nicht die Annahme des neuen Tarifs gesichert sei, und
schloß am 28. Juni 1864 einen neuen Zollvereinsvertrag mit Sachsen,
Baden, Kurhessen, Braunschweig, Thüringen und Frankfurt ab, stellte den
rennenden Staaten eine Präclusivfrist zum Beitritt bis 1. Oetober, wonach
denselben nur übrig blieb, sich zu unterwerfen. So ward der Zollverein auf
weitere 12 Jahre gesichert. Am 11. April 1865 ward denn auch ein neuer
Vertrag mit Oestreich geschlossen, welcher die Autonomie des Zollvereins her¬
stellte und die differentiellen Begünstigungen abschaffte. Oestreich war von
jetzt ab wie bis 1852 einfach wieder Ausland, das wie England, Belgien


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120686/106>, abgerufen am 24.07.2024.