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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band.

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für die materiellen Interessen herzustellen, mußte sich mit einem Handels¬
vertrage zufrieden geben; aber unheilvolle persönliche Einflüsse vermochten
Friedrich Wilhelm IV.. gegen den Rath der Fachmänner zwei bedeutungs¬
schwere Concessionen zu machen, nämlich, die künftige Zolleinigung im Ver¬
trage zu stipuliren und zu Gunsten Oestreichs eine Reihe von Differential¬
zöllen zuzugestehen. Herr von Manteuffel suchte zwar in den Kammern den
ersten Punkt abzuschwächen, indem er sagte, dies sei ein paetum as paeiseelläo,
aber bei dem französischen Vertrage ward gerade dieser Vorbehalt der Vor¬
wand des Widerstandes im Süden.

Bis zu dem Anstoß, welchen der Sturz des Prohibitivsystems in Frank¬
reich der ganzen Politik gab, ist nach Außen hin von einem weiteren Wachsen
des Zollvereins so wenig zu melden, als von einer inneren Reform des Ta¬
rifs oder der Verfassung. Aber auf der gewonnenen Grundlage entwickelte
sich inzwischen seine Industrie in jenen Friedensjahren mächtig weiter. Das
deutsche Eisenbahnnetz ward in seinen wesentlichsten Linien ausgebaut, das
Meer war gewonnen worden, die beiden großen deutschen Dampfschifffahrts¬
linien nach Amerika wurden gegründet; nach einander fielen der Sund¬
zoll, der Staber Zoll; die Durchgangsabgaben, die Elbzölle wurden neu regu-
lirt, die Rheinschifffahrtsabgaben aufgehoben, die hemmenden Fesseln der Ge¬
werbe, die Zunftschranken wurden in einem Lande nach dem anderen un¬
haltbar, die deutsche Industrie gewann an Sicherheit, Erfahrung, vor Allem aber
an Capital und bestand ehrenvoll den Wettstreit mit den vorgeschrittensten Neben¬
buhlern auf den Ausstellungen von London und Paris. Gleichzeitig hob sich auch
die wirthschaftliche Einsicht, das Prinzip der Finanzzölle gewann immer mehr
Anhänger, die volkswirthschaftlichen Versammlungen drängten aus Reform
des Tarifs und volle Entfaltung der materiellen Kräfte, vor Allem aber auf
eine bessere Organisation des Vereins und ein Zollparlament, das wirklich
die Nation in diesen Fragen vertrete, während bisher die einzelnen deutschen
Kammern bei jedem Anlaß nur die Wahl hatten, anzunehmen, oder die
mühsam erreichte Einigung der Regierungen unnütz zu machen.

Die Verhältnisse waren also für eine Reform reif, als der Abschluß des
englisch-französischen Handelsvertrages dieselbe zu einer Nothwendigkeit
machte. Bald nachher gab das Pariser Cabinet seine Bereitwilligkeit zu
einem ähnlichen Vertrage mit dem Zollverein zu erkennen, und nach langen
Verhandlungen kam es im März 1862 zu der Paraphirung eines umfassen¬
den Vertragswerkes, welches die gesammten handelspolitischen Beziehungen
zwischen beiden Ländern neu regelte. Es würde hier zu weit sichren, aus die
einzelnen Gesichtspunkte und Schwierigkeiten der Verhandlung einzugehen.
Der Verfasser hal sie zweckmäßig und übersichtlich resumirt, die Hauptanstoß-
punkte waren die Oestreich gewährten Begünstigungen. Im Ganzen aber war


Grenzboten II. 1869. 1-5

für die materiellen Interessen herzustellen, mußte sich mit einem Handels¬
vertrage zufrieden geben; aber unheilvolle persönliche Einflüsse vermochten
Friedrich Wilhelm IV.. gegen den Rath der Fachmänner zwei bedeutungs¬
schwere Concessionen zu machen, nämlich, die künftige Zolleinigung im Ver¬
trage zu stipuliren und zu Gunsten Oestreichs eine Reihe von Differential¬
zöllen zuzugestehen. Herr von Manteuffel suchte zwar in den Kammern den
ersten Punkt abzuschwächen, indem er sagte, dies sei ein paetum as paeiseelläo,
aber bei dem französischen Vertrage ward gerade dieser Vorbehalt der Vor¬
wand des Widerstandes im Süden.

Bis zu dem Anstoß, welchen der Sturz des Prohibitivsystems in Frank¬
reich der ganzen Politik gab, ist nach Außen hin von einem weiteren Wachsen
des Zollvereins so wenig zu melden, als von einer inneren Reform des Ta¬
rifs oder der Verfassung. Aber auf der gewonnenen Grundlage entwickelte
sich inzwischen seine Industrie in jenen Friedensjahren mächtig weiter. Das
deutsche Eisenbahnnetz ward in seinen wesentlichsten Linien ausgebaut, das
Meer war gewonnen worden, die beiden großen deutschen Dampfschifffahrts¬
linien nach Amerika wurden gegründet; nach einander fielen der Sund¬
zoll, der Staber Zoll; die Durchgangsabgaben, die Elbzölle wurden neu regu-
lirt, die Rheinschifffahrtsabgaben aufgehoben, die hemmenden Fesseln der Ge¬
werbe, die Zunftschranken wurden in einem Lande nach dem anderen un¬
haltbar, die deutsche Industrie gewann an Sicherheit, Erfahrung, vor Allem aber
an Capital und bestand ehrenvoll den Wettstreit mit den vorgeschrittensten Neben¬
buhlern auf den Ausstellungen von London und Paris. Gleichzeitig hob sich auch
die wirthschaftliche Einsicht, das Prinzip der Finanzzölle gewann immer mehr
Anhänger, die volkswirthschaftlichen Versammlungen drängten aus Reform
des Tarifs und volle Entfaltung der materiellen Kräfte, vor Allem aber auf
eine bessere Organisation des Vereins und ein Zollparlament, das wirklich
die Nation in diesen Fragen vertrete, während bisher die einzelnen deutschen
Kammern bei jedem Anlaß nur die Wahl hatten, anzunehmen, oder die
mühsam erreichte Einigung der Regierungen unnütz zu machen.

Die Verhältnisse waren also für eine Reform reif, als der Abschluß des
englisch-französischen Handelsvertrages dieselbe zu einer Nothwendigkeit
machte. Bald nachher gab das Pariser Cabinet seine Bereitwilligkeit zu
einem ähnlichen Vertrage mit dem Zollverein zu erkennen, und nach langen
Verhandlungen kam es im März 1862 zu der Paraphirung eines umfassen¬
den Vertragswerkes, welches die gesammten handelspolitischen Beziehungen
zwischen beiden Ländern neu regelte. Es würde hier zu weit sichren, aus die
einzelnen Gesichtspunkte und Schwierigkeiten der Verhandlung einzugehen.
Der Verfasser hal sie zweckmäßig und übersichtlich resumirt, die Hauptanstoß-
punkte waren die Oestreich gewährten Begünstigungen. Im Ganzen aber war


Grenzboten II. 1869. 1-5
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120686/105>, abgerufen am 24.07.2024.